Süße Frage
Zucker spaltet die Geister. Ernährungsberater, -kommunikatoren und Wissenschafter kommen auf keinen grünen Zweig - zumindest auf einen, für den Endkunden erkennbaren. Die einen sehen darin die größte Lebensmittel-Geißel der modernen Menschheit, die anderen meinen, es gebe keine schlagenden Beweise für Zucker als Krankmacher, so lange man auf die Menge achtet.
Ein Argumentationsstrang besagt, ein einziges Lebensmittel oder ein einzelner Inhaltsstoff dürfe nicht verteufelt werden. Es komme auf den Gesamtmix an. Dagegenhalten könnte man: Warum versucht dann die Werbung dem Kunden weiszumachen, dass ein einzelnes Produkt so gut für seine Gesundheit sein sollte (probiotisch, Zucker-, Fett-, Salz-reduziert, kindertauglich, Immunsystem-stärkend usw.), wenn es denn nur auf das Gesamtpaket inklusive ausreichend Bewegung ankommt?
Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) beruft sich zum Beispiel auf eine Studie, nach der Menschen, deren Ernährung zu mehr als 25 Prozent aus Zucker besteht, drei Mal häufiger an einem Herzinfarkt sterben als Personen, die weniger als zehn Prozent zu sich nehmen. Laut der Harvard School of Public Health sei auch die Zahl der Diabetesfälle fast im Gleichschritt mit den Zuckeranteilen in der Nahrung angestiegen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) wiederum erklärt, dass der Kohlenhydrate-Anteil in keinem Zusammenhang mit Typ-2-Diabetes steht. Das Spiel ist also offen. "Hält man sich an die empfohlene Ernährungspyramide, erspart man sich weiteres Kopfzerbrechen darüber", meint ein Lebensmittelspezialist gegenüber APA-Science.
Übrigens laut WHO liegt der obere Richtwert des Zuckerkonsums bei 10 Prozent der gesamten Tageskalorienzufuhr. Die Österreicher sind da laut dem Ernährungsbericht 2012 mit neun bis zehn Prozent gut dabei.
Studien nicht auf den Menschen umlegbar
Zweifel wird im Zuge der Zucker- und Süßstoffdiskussion immer wieder an Studien mit Tierversuchen geäußert. Wissenschaftliche Ergebnisse aus derartigen Studien auf den Menschen zu übertragen, ist für Jürgen König vom Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien nicht zulässig. Aus Experimenten mit Mäusen abzuleiten, Menschen sollten weniger Zucker vertilgen, sei noch legitim. Empfehlungen zu Dosis und Zuckerart sind für den Forscher dann schon eher problematisch.
Trotz des Patts, das in der Wissenschaft zu bestehen scheint, werden weltweit immer häufiger steuernde Maßnahmen von staatlicher Seite gesetzt. So wurde etwa in Mexiko mit Anfang 2015 eine Steuer von zehn Prozent auf gezuckerte Getränke eingeführt. Erste Erfolge wurden bereits gemeldet: Die Mexikaner trinken laut einer Studie weniger Softdrinks. Demnach sei der Verkauf von gesüßten Getränken im ersten Jahr nach der Einführung um 12 Prozent zurückgegangen. Die Autoren weisen aber darauf hin, dass dabei kein Rückschluss auf Ursache und Wirkung gezogen werden könne.
Dass Steuern als Einzelmaßnahmen die Probleme beseitigen, sei illusorisch, merkt man seitens der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) an. Sie würden nur in einer Gesamtstrategie Sinn machen. "Es muss genau abgewogen werden, wie groß der Aufwand, die Erfolge sind, und wie weit in die individuelle Freiheit eingegriffen wird", so König, der in diesem Fall zu wenig positiven Output bei zu viel Aufwand gegeben sieht.
Andere Experten weisen wiederum darauf hin, dass der Lenkungseffekt derartiger Steuern multipliziert werde, wenn die Einnahmen zweckgebunden eingesetzt würden, etwa in der Prävention und Aufklärung. Das will man zum Beispiel in Großbritannien, das ab 2018 zuckerhaltige Getränke besteuert. Die Einnahmen, die sich auf immerhin 660 Millionen Euro belaufen sollen, sollen in präventive Maßnahmen investiert werden wie etwa mehr und besserer Sportunterricht, besseres Kantinenessen, Aufklärung usw.
Das US-amerikanische Tabu der Besteuerung von Softdrinks hat mittlerweile Philadelphia gebrochen. Künftig sollen pro Liter 50 US-Cent eingehoben werden. Kurios wirkt der Weg, den Chile geht. Ein neues Gesetz verbietet es Produzenten, Kindern durch die Beigabe von Spielzeug den Konsum von zuckerhaltigen Speisen schmackhaft zu machen.
Das Tauziehen um die Schädlichkeit von Zucker und Verwandtschaft wird wohl weitergehen. Die Positionen "Iss weniger Zucker und Co." gegen "Iss prinzipiell weniger" werden sich nicht so schnell auflösen. Konsumzurückhaltung und den bekannten Ernährungsempfehlungen folgen, ist schon aus reinem Selbstschutz sinnvoll.
Salzstreuer
Ähnlich verhält es sich beim Salz. Österreichs Männer nehmen im Schnitt neun Gramm, Frauen acht Gramm Salz pro Tag zu sich (Österreichischer Ernährungsbericht 2008). Häufig werden allerdings 12 Gramm, nicht selten 15 Gramm, erreicht. Österreich lebt also zu salzig, egal, welche Empfehlung man heranzieht. Die WHO spricht von nicht mehr als 5 Gramm am Tag. Die American Heart Association (AHA) ist mit 3,8 Gramm noch strenger. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung mit sechs Gramm etwas milder.
Ein Dilemma: keine klare Aussagen also, was die Diskussion am Leben hält. Auch König meint, die Frage, ob Empfehlungen (konkret die der WHO) zum Salzkonsum wirklich zielführend im Sinne einer besseren "Volksgesundheit" sind, kann derzeit nicht beantwortet werden. "Letztlich glaube ich, dass diese Frage wissenschaftlich korrekt nie wird beantwortet werden können", verweist er auf den vorherrschenden Dogmatismus in der Debatte.
Von Hermann Mörwald / APA-Science