Was dezentrale Energiequellen zum Sprudeln bringt
Dass die dezentrale Energieversorgung alle Probleme löst, hält Franz Kok von der Universität Salzburg für Apologetik, die mit der Euphorie, mit der noch vor 50 Jahren die Atomkraft beworben wurde, vergleichbar ist. Er thematisiert gegenüber APA-Science Vermachtungsstrukturen, verfehlte Energiepolitik und regulatorischen Nachholbedarf.
"Mein Zugang ist jenseits dessen, was die Technikoptimisten oder Ökonomen aus einem modellhaften Denken heraus oft entwickeln. Es geht nicht immer nur um alleinige Alternativen. Dezentral ist wichtig, aber es muss berücksichtigt werden, was ökologisch, ökonomisch und sozial gescheit ist. Es ist nicht notwendigerweise der Ersatz für all das, was wir unter Großtechnik zum Beispiel im Strombereich kennen", so Kok, der in vielen Bereichen die politische, aber auch gesellschaftliche Innovationskapazität als limitierenden Faktor sieht.
Nicht immer einfach sei es auch, die Vermachtungsstrukturen und Interessenslagen des zahlungskräftigen Energiemarkts zu dechiffrieren. So habe man beim Projekt Desertec rein aus legitimatorischen Gründen gesagt, dass ein Teil des in der Wüste produzierten Stroms ohnehin vor Ort bleibe. "Das wiederum wurde sofort herangezogen, um beispielsweise zu sagen: Diese Photovoltaik-Anlage oder dieses Windrad in xy brauchen wir gar nicht, weil die Windenergie wird in Zukunft in der Tundra produziert und die Sonnenenergie in der Sahara."
Dezentral und regional versus Netzausbau
Ein weiteres Beispiel sei die Diskussion über den Ausbau einer 380-kV-Leitung in Salzburg. "Da ist auch sehr oft das Argument gekommen, wir machen alles regional und dezentral. Wir brauchen die Leitung nicht. Wenn man sich aber mit der regionalen Energiewirtschaft in Salzburg auseinandersetzt, stellt man fest, dass wir jetzt schon Wasserkraft, die wir im Innergebirg haben, gar nicht mehr in den Zentralraum transportieren, weil wir da eine bestehende 220kV-Leitung jenseits der Sicherheitsstandards betreiben müssen. Das ist die empirische Ebene, die in der Diskussion, in der es eher darum geht, Bekenntnisse auszutauschen, dann oft untergeht."
Denn auch wenn es gelinge, hohe regionale, dezentrale Versorgungsgrade zu erreichen, würde man allein aufgrund der Schwankungen des Angebots der erneuerbaren Energie starke Stromnetze brauchen. "Da werden wir in nächster Zeit mehr investieren müssen als den Menschen lieb oder ihren Augen recht ist", so Kok.
Gemessen an den politischen Bekenntnissen zur dezentralen Energieversorgung laufe derzeit einiges schief, konstatierte der Politikwissenschafter, der sich seit vielen Jahren mit erneuerbaren Energien und Projektentwicklungen in dem Bereich befasst, in der Politikberatung tätig war und die Kolowind GmbH für Windkrafträder auf dem Lehmberg bei Thalgau gegründet hat. "Das beginnt bei den Energiepreisbörsen und endet bei diversen bürokratischen und rechtlichen Problemen."
Im Bereich der erneuerbaren Energieversorgung sei ein wesentlicher Teil der Aufbringung der Produktionstechnologie privatisiert worden. "Diese Technologie liegt jetzt in den Händen von dezentralen, kleinen, lokalen Einheiten - Privatpersonen, Unternehmen, Genossenschaften, Beteiligungsgesellschaften." Nun ginge es darum, die Dienstleistung, die zwischen der Produktion und dem eigenen Verbrauch steht, technisch und wirtschaftlich zu optimieren. Ein Beispiel dafür sei, im Winter die Energie einer im regionalen Verbund stehenden Windkraftanlage nutzen zu können, um die Minderleistung der eigenen PV-Anlage zu kompensieren.
"Aber da sind wir momentan noch in einem irrsinnig hierarchischen System. Sobald ich mit meinem Nachbarn Energie tauschen muss, ist es quasi nicht mehr wirtschaftlich, weil ich den PV-Überschuss zu einem Spottpreis einem Energiehändler verkaufen muss. Der verkauft ihn weiter und dazwischen wird die Netzgebühr kassiert", plädiert der Experte für die Etablierung von möglichst niedrigschwelligen Ökostrombörsen bzw. Börsen für erneuerbare Energie im Niedrigspannungsnetz.
Regulierung verhindert kleinräumige Lösungen
Es gebe zwar technische Konzepte für kleinräumige, smarte Lösungen, regulatorisch hinke man aber noch hinterher. Hier gehe es auch um eine Beherrschungsstellung. "Das ist die einfachste Form wie ein Netzbetreiber als verbleibendes, natürliches Monopol über eine gesicherte Rendite, die ihm die Regulierungsbehörde zugesteht, seine Investitionen zurückbekommt", so Kok.
Bisher seien Ökostrombörsen - wie es sie in Vorarlberg, Salzburg oder der Oststeiermark gibt - beschränkt auf die Verwaltung von freiwilligen Mehrzahlungen von Ökostromkunden, die eine bestimmte ökologische Stromqualität haben wollen. Es gehe also um eine freiwillige Aufzahlung auf den Strompreis. Die Ökostrombörse selber fördere mit dem eingenommenen Geld wieder Ökostromanlagen. "Weitergehende Aktivitäten sind nicht möglich, weil man dafür eine Stromhandelskonzession braucht, so als ob man die Voest beliefern wollte. Und das ist ein bisschen außerhalb der Symmetrie", monierte der Politikwissenschafter im Gespräch mit APA-Science.
"Man sollte einem Gastgewerbebetrieb und dem Betreiber einer Schlosserei auf derselben lokalen Netzknotenebene erlauben, ihre Leitungsbegrenzungen ökonomisch abzutauschen. Weil während der eine sein Schweißgerät hochfährt, nicht notwendigerweise der Gastwirt seinen Kühlgenerator auf voller Leistung fahren lassen muss. Da gäbe es viel, was möglich wäre", so Kok.
Dienstleistungen als Option für Netzbetreiber
Die Netzbetreiber würden unterdessen aus dem technischen Monopol eine Wertschöpfungsperspektive entwickeln, indem sie ihr Netz nicht nur als ein Liefersystem, sondern als Managementsystem - Stichwort Smart Grid - definieren. "Nur muss man sich wirtschaftspolitisch überlegen, wo man hinwill. Will man eine Funktion allein dem Innovationsgeist und Willen eines Monopolunternehmens überlassen oder können wir dem privaten Bereich einen Organisationsraum geben, um solche Funktionen zu erfüllen - Stichwort Ökostrombörsen. Das muss nicht notwendigerweise in Konkurrenz zu einem EVU sein", meint der Politikwissenschafter.
Er verweist auf die kleine Gemeinde Köstendorf in der Nähe von Salzburg, in der jedes zweite Haus eine Photovoltaik-Anlage hat und jedes zweite Auto ein Elektroauto ist. Das sei "ein klassisches Exzellenz-Modell eines Monopolisten, der seine Marktfunktion ausweiten will: die Produktionstiefe sozusagen im Markt als Netzversorger nicht nur durch die Lieferung von Kilowattstunden abzudecken, sondern in neue Dienstleistungen zu gehen".
In Köstendorf seien zwar viele Möglichkeiten aufgezeigt worden. "Was im Projekt aber nicht vorgesehen war, ist eine regulierungspolitische Schlussfolgerung daraus zu ziehen. Das wäre notwendig. Sonst verkommen diese innovativen Projekte zu gut gepflegten Sandkisten, bei denen der Fördergeber schöne Berichte über tolle Ideen vorlegen kann. Was wir aber brauchen ist eine Breitenwirkung", forderte Kok.
Wenn man jedem Teilnehmer an dem Projekt ein Elektroauto zu sehr tollen Konditionen anbiete, müsse man den Unterschied zu den Marktgegebenheiten - Stichwort allgemeine Zulassungszahlen - beachten. "Und diese Diskrepanz ist groß." Der politische Wille müsste sein, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen "und beispielsweise zu sagen, wir wollen neben jedem zweiten Haus mit PV-Anlage ein E-Auto stehen sehen. Dieser Anspruch müsste eigentlich Energiepolitik sein. Den vermisse ich ein bisschen."
Von Stefan Thaler/APA-Science