"Intelligente Stromnetze für die Energiewende"
In Europa ist die Energiewende bereits in vollem Gang. In der Stromversorgung spielen Wind- und Sonnenenergie eine immer wichtigere Rolle. Die fluktuierende Einspeisung dieser oft auch dezentralen Energiequellen kann zu Kapazitätsproblemen auf unterschiedlichen Netzebenen führen. Intelligente Stromnetze, so genannte "Smart Grids", nutzen durch laufende Abstimmung zwischen Erzeugern, Verbrauchern und Speichern die Systemkapazität optimal aus und erlauben so ein intelligentes Energiemanagement. Global betrachtet geht es darum, ein Bündel von Maßnahmen zu setzen, das die wichtigsten Zielparameter für die smarten Netze erfüllt: maximale Integration erneuerbarer Energieträger, höchste Versorgungssicherheit und ein volkswirtschaftlich optimales Funktionieren der Energiemärkte.
In den letzten Jahren wurde im Themengebiet Smart Grids umfangreiche Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Technologie- und Systeminnovation geleistet. Speziell in Österreich arbeitet die Forschung bereits seit etwa zehn Jahren unter aktiver Beteiligung von Netzbetreibern und der Industrie an Lösungen zum intelligenten Verteilnetzbetrieb. Auf simulationsbasierte Analysen folgten prototypische Technologieentwicklungen, die aktuell in Pilot- und Demoprojekten umgesetzt werden, beispielsweise in der Smart Grid Modellregion Salzburg oder im Stadtentwicklungsgebiet Aspern. Ziel dieser Projekte ist es, öffentliche Sichtbarkeit und Akzeptanz zu schaffen. Vor allem werden aber auch die Funktionalität und Wirtschaftlichkeit von innovativen Einzeltechnologien und Systemarchitekturen validiert und untersucht, inwieweit sich diese Lösungen auf andere Rahmenbedingungen übertragen und großflächig umsetzen lassen.
Konkret könnte die Fragestellung beispielsweise lauten, wie die Aufnahmefähigkeit von Niederspannungsverteilnetzen für Photovoltaikanlagen erhöht werden kann und ob hier der Einsatz intelligenter und mit dem Netz interagierender Photovoltaikwechselrichter sinnvoller wäre als der herkömmliche Netzausbau. Die dafür erforderlichen Basistechnologien (d.h. neue Wechselrichter, neue Kommunikationstechnologien, etc.) und neuen Systemarchitekturen (d.h. wer regelt was?) wurden bereits entwickelt. Eine Pilotumsetzung in einem kleinen Dorf in Österreich lieferte erste positive Ergebnisse hinsichtlich Funktionalität und Wirtschaftlichkeit dieser intelligenten Ansätze. Vereinfacht gesprochen wird in aktuellen und künftigen Projekten untersucht, ob sich diese Maßnahmen etwa auch für eine ganze Region in Spanien verwenden ließen und ob eine Umsetzung dort immer noch wirtschaftlich sinnvoll wäre.
Die Fragestellungen sind vor allem auch durch die Verschränkung verschiedener Ebenen - Einzeltechnologien, Systemarchitekturen, Märkte und sozioökonomische Fragestellungen - so komplex, dass Pilot- und Demonstrationsprojekte zwingend notwendig sind. Im Sinne von Innovationszyklen befindet man sich aktuell im "Valley of Death" zwischen grundlagennaher Forschung und industrieller Umsetzung, dessen Überwindung noch einen hohen öffentlichen Ressourceneinsatz und ein schrittweises Anpassen der Rahmenbedingungen erfordert. Beim Thema Smart Grids betreffen diese vor allem Regelungen für das Zusammenwirken von Verbrauchern, Erzeugern und Infrastrukturbetreibern. In Österreich werden diese Fragestellungen beispielsweise auf Ebene der Technologieplattform Smart Grids Austria bearbeitet und zwischen den involvierten Stakeholdern diskutiert. Einige umsetzungsnahe Projekte werden in naher Zukunft unter Einbindung der Regulationsbehörde starten können.
Mit zunehmender Klarheit über die künftigen Systemarchitekturen entsteht bei den Technologieanbietern konkreter Forschungsbedarf im Bereich der Basistechnologien. Ziel ist es vor allem, Effizienz und Zuverlässigkeit sowohl im Produktentwicklungsprozess als auch in der Phase der Produktlebensdauer sicherzustellen. Beide Punkte betreffen Maßnahmen, die zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Technologieführerschaft der österreichischen Wirtschaft beitragen.
Um die Energieinfrastruktur für die künftigen Herausforderungen zu rüsten und die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie zu stärken, benötigt es das Zusammenwirken zwischen industriellem Know-how und wissenschaftlicher Exzellenz sowie kritische Massen an bestens ausgebildeten Wissenschaftlern und modernste Forschungsinfrastruktur. Ein Beispiel für letzteres ist das europaweit einzigartige Smart Electric System and Technologies (SmartEST) Labor, das vor zwei Jahren am AIT installiert wurde und als Entwicklungsplattform für Innovationen rund um intelligente Stromnetze dient. Die Weiterentwicklung dieser Infrastruktur und der damit verbundenen wissenschaftlichen Methoden ist damit zentrales Forschungsthema am AIT.
Eine wichtige Rolle zur Schaffung kritischer Massen in der Wissenschaft spielen auch die Doktoratsstudienprogramme, die das AIT mit ausgewählten Universitätsinstituten durchführt. So wurde vor kurzem die akademische Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich mit einem Kooperationsvertrag besiegelt. Ab 2016 soll im Rahmen dieser Kooperation zwischen universitärer und anwendungsorientierter Forschung ein gemeinsames PhD-Programm starten, das wissenschaftlich fundierte Grundlagen und industrielle Anforderungen für leistungselektronische Komponenten - dem Gehirn der künftigen Smart Grids - vermitteln wird.