Dezentrale Energie: Viele Praxisfragen noch offen
Ein wichtiger Bestandteil der sogenannten "Energiewende" ist die dezentrale Energieversorgung. Warum es in diesem Bereich großflächige Forschungsprojekte braucht, welchen Effekt höhere Netztarife hätten und wieso große Kraftwerke weiter notwendig sind, erklärte Reinhard Brehmer, Geschäftsführer der Forschungsgesellschaft Aspern Smart City Research (ASCR), im Gespräch mit APA-Science.
"In technischer Hinsicht gibt es eigentlich keine Hürden mehr. Wie sich die Umstellung auf eine dezentrale Erzeugung bzw. Einspeisung in der Praxis abspielen kann, dazu sind aber großflächige Forschungsprojekte erforderlich", verwies Brehmer neben ASCR in Wien auch auf die Modellregion Köstendorf in der Nähe von Salzburg. Im Gegensatz zu England, wo in den vergangenen fünf Jahren 100 Mio. Pfund (137 Mio. Euro) pro Jahr in solche Projekte gesteckt wurden, gebe es in Österreich noch Nachholbedarf. Die jetzige Situation sei einer schnellen Integration der Erneuerbaren in die Netze nicht unbedingt förderlich.
Aktuell würden nur 0,6 Prozent der Summen, die in Europa jährlich in die Subventionierung der Erneuerbaren fließen - in Deutschland über 20 Mrd., in Italien und Spanien zusammen über 30 Mrd. Euro - in Forschungsprojekte investiert, die sich mit den netzspezifischen Auswirkungen beschäftigen. "Da könnte man über schnelle großflächige Forschung die kostengünstigsten Maßnahmen umsetzen und das in Erneuerbare investierte Geld noch besser wirksam machen", ist der Manager überzeugt. Er plädiert zudem für eine "für jeden verkraftbare Netztariferhöhung". So könnte einerseits die großflächige Forschung angeschoben und andererseits der Netzausbau vorangetrieben werden.
Erneuerbare einbinden ist teuer
Im Laufe der letzten hundert Jahre sei man aus betriebswirtschaftlichen Gründen immer mehr in Richtung Großkraftwerke gegangen. "Wenn der Kunde jetzt selbst erzeugt, dann wird an Stellen ins Netz eingespeist, die dafür nicht geplant und gedacht worden sind. Das heißt, man muss es entsprechend adaptieren, die Einspeisung messen und Intelligenz - sogenannte Smart Grids - finanzieren und umsetzen", so Brehmer. Der österreichische Durchschnittshaushalt zahle derzeit mehr als 80 Euro im Jahr für die Förderung der Erneuerbaren, gleichzeitig würden aber die Netztarife sinken, obwohl dort Kosten durch die Einbindung der Erneuerbaren entstünden.
"Ich glaube, dass da jetzt durchaus eine Bereitschaft in gesellschaftlicher Hinsicht bestehen würde, zu sagen, ihr zahlt 80 Euro für die Erneuerbaren, das ersetzt umweltschädliche Altkraftwerke, aber es kostet halt noch ein paar Euro, jetzt die Netze so zu adaptieren, dass man das voll umsetzen kann", meint der Experte. Mit einer Belastung von zwei Cent pro Tag und Haushalt könnten die großflächige Forschung ausgebaut und die notwendigen Zusatzinvestitionen abgedeckt werden. "Denn wenn das Verteilnetz unterfinanziert ist, und sei es nur einige Jahre, kommt es zu Problemen bei der Versorgungssicherheit", so Brehmer.
Große Kraftwerke sind unverzichtbar
Was die Netzstabilität betrifft, werde man in absehbarer Zeit nicht auf große Erzeugungseinheiten verzichten können. "Wenn beispielsweise in Deutschland die Sonne aufgeht und dort 30 Gigawatt Photovoltaik installiert sind, dann ist das, wie wenn in kurzer Zeit 30 AKW zugeschaltet werden - beim Sonnenuntergang umgekehrt", erklärte Brehmer. Hier entgegenzuwirken, also etwa konventionelle Kraftwerke ab- oder zuzuschalten, sei sehr komplex. "Als 1986 der letzte große Stromausfall in Wien war, damals ist ein Atomkraftwerk in Deutschland mit 1,2 Gigawatt plötzlich ausgefallen, das hat große Netzbereiche in Mitteleuropa finster gemacht. Mittlerweile schafft man 30 Gigawatt in 20 Minuten. Aber Großkraftwerke wird es weiterhin brauchen", sagte der ASCR-Chef gegenüber APA-Science.
Aus betriebswirtschaftlichen Gründen würden diese derzeit aber nicht erneuert, "sie werden eher abgeschaltet, also da wird es schon zu Schwierigkeiten kommen". Deshalb müssten sich die Energieversorgungsunternehmen neue Geschäftsmodelle überlegen. "Das heißt, man wird mit Dienstleistungen versuchen müssen, hier neue Geschäftsfelder, wo man das jahrzehntelange Know-how verwenden kann, zu finden und auch entsprechend attraktiv zu machen, dass man davon leben kann", so der Experte. Fernwärme werde es beispielsweise weiter geben, aber die Wärme könnte dann weniger von fossilen Kraftwerken, sondern in großem Ausmaß aus erneuerbaren Quellen - in Wien aus Photovoltaik - stammen.
"Es wird sich viel ändern. So wie sich in den vergangenen zehn Jahren mehr geändert hat als in den 100 Jahren davor. Das Tempo wird eher noch zunehmen", prognostiziert Brehmer.
Von Stefan Thaler/APA-Science