Wenn Tausende forschen - Plattform vernetzt Citizen Science-Projekte
Mit dem Aufbau einer Online-Plattform für österreichische Citizen Science-Projekte möchte eine Arbeitsgruppe an der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku) die Methode und die damit verbundenen Chancen für Bürger und Wissenschafter in den Fokus rücken. Die Forscher um Johann Zaller vom Institut für Zoologie zeigten sich im Gespräch mit APA-Science davon überzeugt, dass Forschung in Kooperation mit Laien Berührungsängste abbaut und neue Blickwinkel eröffnet. Die Umsetzung solcher Projekte sei in jedem Fall nicht trivial, aber lohnend, so der Tenor.
In Österreich gebe es durchaus eine Tradition in Bezug darauf, was heute zunehmend als "Citizen Science", "partizipative Wissenschaft" oder "Bürgerwissenschaft" bezeichnet wird. Es sei den handelnden Personen nur nicht immer klar gewesen, erklärte Zaller. So wurden etwa im Rahmen eines Bildungs- und Forschungsprojekts von Landwirten über Jahre hinweg Daten zur Biodiversität gesammelt und auch die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) bezieht schon seit vielen Jahrzehnten Laien in ihr "Phänologie"-Projekt ein.
Dass es potenziell mehr Forschungsprojekte gibt, auf die der Terminus zutrifft, wurde Zaller und seinen Kollegen in den vergangenen Jahren bewusst. Sie reagierten mit der Einrichtung eines Projektteams, mit dem Ziel, solche Projekte unter dem Dach einer Online-Plattform zu vernetzen. Auf www.Citizen-Science.at finden sich momentan acht Forschungsvorhaben - Tendenz steigend, so Florian Heigl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut und Plattform-Koordinator.
Je mehr die Menschen über wissenschaftliches Arbeiten und Wissenschafter als solche erfahren, desto weniger Berührungsängste gebe es, erklärte Zaller. "Die Leute werden kritischer" und das Interesse steige insgesamt, so der Professor für Ökologe, der darin auch einen Weg sieht, um das mancherorts vorherrschende Bild vom "unfehlbaren Wissenschafter" zurechtzurücken. "Es hat auch einen 'Volksbildungscharakter' - um es mit einem etwas veralteten Begriff auszudrücken."
Mehr als Daten sammeln
Manchmal werde darunter aber reines Datensammeln durch Bürger ohne Einbeziehen der Laienforscher in die darauf folgende wissenschaftliche Auswertung verstanden. "Für uns verbindet der Begriff 'Citizen Science' aber immer beides", so Benjamin Dauth von der Arbeitsgruppe "Citizen Science" an der Boku. Um tatsächliche Partizipation am Projekt und den Anspruch des Informations- und Bildungstransfers zu ermöglichen, muss man immer wieder mit den Beteiligten in Kontakt treten und wissenschaftliche Inhalte verständlich machen, gibt wiederum Heigl zu bedenken, der gerade seine Dissertation zu dem Thema schreibt. Man dürfe sich jedenfalls "nicht einsperren mit seinen Ergebnissen und Daten".
Damit einher gehe natürlich auch ein gewisser administrativer Aufwand. Forscher, die glauben, durch Citizen Science lediglich billig und schnell an gute Daten kommen zu können, würden vermutlich enttäuscht. Ohne ein Kümmern um die Beteiligten, könne es sehr schnell gehen, dass viele ihr Interesse verlieren. "Wir können nicht ein Jahr Daten sammeln und uns nie rühren", so Heigl. Schon ein einfaches "Dankeschön" reiche manchmal.
Vor einer Konkurrenzsituation zwischen ausgewiesenen Wissenschaftern und Laienforschern fürchten sich die Boku-Forscher nicht. "Wir sehen das eher ergänzend", denn zu untersuchen gebe es immer mehr als genug, so Heigl. Im Bereich der Ökologie seien eher Forscher, die von Auftragsarbeiten abhängig sind, skeptisch gegenüber Citizen Science. Hier gebe es eine gewisse Angst, dass es zu einem schleichenden Ersetzen durch Bürgerforscher kommen könnte.
"Roadkill"-Projekt als Ausgangspunkt für Plattform
Trotz des Zusatzaufwandes zahle sich Bürgerbeteiligung aus: "Wir können zum Beispiel in unserem Projekt "Roadkill" mit den Bürgern Daten in ganz Österreich erheben, also in die Breite gehen. Das könnten wir uns sonst nie leisten." Im Zuge dieses Mitmachprojekts wollen die Boku-Forscher mehr darüber erfahren, welche und wie viele Tiere auf Österreichs Straßen ihr Leben lassen. Über eine Online-Plattform können sogenannte "Roadkills" zentral gemeldet werden. So will man mehr über die heimische Fauna erfahren und in weiterer Folge für Tiere besonders gefährliche Straßenabschnitte identifizieren.
Mittlerweile habe das Projekt viel Eigendynamik entwickelt. Es gebe sogar eine Art Qualitätskontrolle innerhalb der Community: "Die Leute schauen auch die Daten anderer durch. Wir habe schon oft Meldungen von Teilnehmern bekommen, die auf Einträge hingewiesen haben, die möglicherweise nicht stimmen. Wir lernen auch von den Teilnehmern", erklärt Heigl.
Wer die beteiligten Laienforscher sind, können die Wissenschafter nicht genau sagen. Über die Mitglieder der Facebook-Gruppe des Projekts lasse sich jedenfalls sagen, dass ihr Alter über dem Schnitt der Facebook-Nutzer insgesamt liege und dass aktuell Frauen etwa 60 Prozent der Roadkill-Reporter ausmachen.
Neue Einsichten durch die Community
An allen momentan auf der Dach-Plattform befindlichen Projekten arbeiten zurzeit zehntausende Menschen mit. Wenn so viele Leute an einem Bündel Fragestellungen arbeiten, schwirren automatisch viele Ideen, Hypothesen und Erkenntnisse im virtuellen Raum herum. Vieles könne natürlich auch von dem abweichen, was ausgewiesenen Wissenschaftern einfällt. Im besten Fall bringe das dann neue Einsichten in die untersuchte Materie mit sich, ist die Arbeitsgruppe überzeugt. Es gelte daher, die Augen und Ohren für Anregungen aus der Community offen zu halten. Auch inhaltliche Kritik, etwa zur Validität der Methode und der Aussagekraft der erhobenen Daten, aus der stark erweiterten Forschungsgruppe bringe einen weiter.
"Es gibt etwa ein riesiges Wissen, was Artenkenntnis betrifft, dort draußen", erklärte Zaller. An den Universitäten verfüge man in einigen Bereichen gar nicht mehr über derart detaillierte Expertise. "Da gibt es zum Beispiel Leute, die in Pension sind, und eine Tiergruppe bis ins letzte Detail analysieren. Die sind auf höchstem Niveau", so der Wissenschafter. Er habe etwa einmal ein Foto eines einzelnen Flügels eines überfahrenen Vogels gemacht, das an der Universität niemand eindeutig zuordnen konnte. Im Forum der Plattform konnte innerhalb weniger Stunden ein Hobby-Ornithologe eindeutig nachweisen, um welche Art es sich handelte. "Das war eine super Erfahrung", zeigte sich Zaller begeistert. Gleichzeitig bietet die ständige Vernetzung auch die Möglichkeit, immer wieder nachzufragen, was an dem Projekt und dessen technischer Umsetzung verbessert werden sollte.
Methode für viele Forschungsfragen
Mit "Wiener Gebäudebrüter", "Wildkatze", "Bienenstand.at", "naturbeobachtung.at", "C.S.I. Pollen", "Stunde der Wintervögel" und eben "Roadkill" kommen sieben der aktuell acht auf www.Citizen-Science.at befindlichen Projekte aus dem Bereich Natur, Biologie und Ökologie. Dass sich gerade diese Art der Forschung besonders gut zur Bürgerbeteiligung eignet, sei klar. Im Rahmen des achten Projekts "Geo-Wiki" ruft eine Arbeitsgruppe am Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien zur Mithilfe bei der großflächigen Erstellung von Landnutzungskarten auf. Forschungsgebiete, wo solche Ansätze auch eine gewisse Tradition haben, seien zudem die Archäologie oder die Astronomie. Aus Deutschland kennt Heigl beispielsweise auch Projekte im Bereich der Familiengeschichtsforschung oder zur frühkindlichen Entwicklung.
Zaller und Heigl haben anlässlich eines Vernetzungstreffens in London auch Citizen-Science-Ansätze aus der Ägyptologie kennengelernt, wo Wissenschafter Interessenten eine große Anzahl an Inschriften zu Verfügung stellen und sich dann jeweils eigene Gruppen auf die Suche nach einzelnen Buchstaben machen. So werden die Texte Hieroglyphe für Hieroglyphe schneller entschlüsselt, als es ein Forscher jemals tun könnte. Eine Software sorge hier für einen spielerischen Zugang, erklärte Zaller. Auf eine derart interessierte Community könne natürlich auch nicht jedes Forschungsgebiet zurückgreifen. Wenig populäre Fachrichtungen hätten es hier bestimmt schwieriger, waren sich die Forscher einig.
Ein Citizen-Science-Projekt müssen man jedenfalls nicht immer komplett neu entwickeln. Von den zahlreichen Erfahrungen, die im angloamerikanischen Raum gemacht wurden, könne man lernen. Es gebe auch bereits Anleitungen, die die Wiener Arbeitsgruppe übersetzen will, um sie anderen Interessenten zur Verfügung zu stellen und damit Überzeugungsarbeit zu leisten.
Internationaler Trend
Der Start der Plattform erfolgte auf Eigeninitiative, mit einer bescheidenen Finanzierung durch das Institut von lediglich 2.000 Euro. Der Aufbau habe den Beteiligten entsprechend viel Engagement und Freizeitarbeit abverlangt und auch jetzt noch müsse vieles einfach nebenbei erledigt werden. "Das Ziel ist aber schon, dass wir uns über Drittmittel auf eigene Beine stellen können. Aktuell wurde auch schon ein Projekt mit Citizen-Science-Ansatz vom Lebensministerium gefördert", warf Zaller ein.
Die Herausforderung sei momentan, möglichst alle, die in dem Bereich tätig sind oder sein wollen, auf die Plattform zu holen. Denn Citizen Science liege im Trend und schwappe langsam nach Europa und teilweise auch Österreich über. Den Initiatoren geht es nun um die Etablierung eines gemeinsamen Auftritts, der Interessierten als zentrale Anlaufstelle dienen soll. "Auch das wording 'Citizen Science' als Bezeichnung für diese Methode wollen wir etablieren", erklärte Dauth. Daher sei man auch Gründungsmitglied der erst im April 2014 ins Leben gerufenen "European Citizen Science Association" (ECSA). Heigl: "Man sieht, da ist gerade sehr viel im Entstehen."
Damit die Methode auch in der Fachwelt anerkannter wird, müsse man darauf achten, dass die Qualität der Projekte hoch bleibt und Ergebnisse in anerkannten wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert werden. "Nur so kann man die Wissenschafter überzeugen, die jetzt noch skeptisch sind", so Zaller. Trotzdem werde es immer auch Forscher geben, für die diesem Methode nicht geeignet ist. "Man sollte nicht zu introvertiert sein, wenn man sich mit Citizen Science beschäftigt", so der Ökologe.
Von Nikolaus Täuber/APA-Science