Von Sparkling Science zu Citizen Science
Wenn Laien an umfangreichen Forschungsprojekten mitwirken, muss das noch nicht Citizen Science sein - aber es kann dazu werden. Ausgehend vom Programm Sparkling Science, welches die Vernetzung von Schule und Forschung zum Ziel hat, wurde vom Wissenschaftsministerium (BMWFW) die beim Young Science-Zentrum im OeAD angesiedelte Plattform "Young Citizen Science" entwickelt. Sieben Pilotprojekte sollen ab dem Frühjahr 2015 den Weg für eine künftige Förderinitiative zur Bürgerwissenschaft bereiten.
Das mit Sparkling Science geschaffene Netzwerk ist eindrucksvoll: Mit einem Gesamtbudget von 28,2 Mio Euro wurden seit 2007 insgesamt 202 Forschungsprojekte gefördert, an welchen rund 15.000 Schülerinnen und Schüler mitgearbeitet haben; 178 Forschungseinrichtungen und 463 Schulen waren bisher beteiligt. Dieses Netzwerk wolle man für die Umsetzung von Citizen Science-Projekten nun gezielt weiter ausbauen und eine breitere Öffentlichkeit erreichen, erklärt Celine Loibl, Sparkling Science-Programmleiterin, gegenüber APA-Science. An den Details, etwa wie man das jeweilige Publikum ansprechen wolle, werde aber noch gearbeitet.
Neben der Einrichtung einer "Public Participation Zone" auf der Webseite des jeweiligen Basisprojektes ist auch die Vernetzung mit internationalen Projekten vorgesehen. Als strategischer Kooperationspartner fungiert der Vorreiter im Bereich Citizen Science, das Commons Lab am Wilson Center (USA).
Im Prinzip jedes Thema geeignet
"Grundsätzlich eignet sich so gut wie jedes Thema für die Bürgerwissenschaft", ist Gabriele Gadermaier vom Christian Doppler Laboratory for Biosimilar Characterization im Gespräch mit APA-Science überzeugt. "Manchmal müssen wir vielleicht nur eine Spur kreativer sein", meint sie. Die Wissenschafterin leitet seit eineinhalb Jahren das interdisziplinäre Sparkling Science-Projekt ALRAUNE zur Allergieforschung. Auf ALRAUNE basiert eines der sieben Young Citizen Science-Pilotprojekte.
Das Thema Allergie sei sehr präsent - "jeder kennt jemanden mit einer Allergie oder hat zumindest eine Meinung dazu" - und wäre als Citizen Science-Projekt "sicher interessant, da noch wenig erprobt", meint Gadermaier. Meist würden sich diese Großprojekte, in denen Forschung unter Mithilfe oder durch die alleinige Arbeit von Laien stattfindet, ja mit Tieren, Pflanzen bzw. der Natur beschäftigen. "Durch das Einbinden einer nicht-wissenschaftlichen Community kann man erwarten, dass auch ungewöhnliche Thematiken aufgeworfen werden, die ansonsten möglicherweise nicht berücksichtigt würden", so ihre Einschätzung. Die im Rahmen von Citizen Science erforderliche Auseinandersetzung von Wissenschaftern mit dem Wissenstransport abseits von Publikationen befürwortet Gadermaier. "Es müssen allgemein verständliche Fragen formuliert werden, die dennoch nicht schon im Vorhinein das Ergebnis beeinflussen - expect the unexpected", laute das Motto.
Wenn viele Menschen in ein Projekt involviert seien, könne der Datenpool sehr groß werden, unterstreicht sie einen Vorteil. Allerdings: "Daten, die über komplizierte Labormessungen erhoben werden, eignen sich nur bedingt, weil dafür neben einer speziellen Ausrüstung eine Fachausbildung nötig ist."
Zwangsverpflichtung versus Spezialistentum
ALRAUNE bedient sich zwar auch der Mithilfe von Laien (in dem Fall 700 Schülern), läuft aber streng genommen dennoch nicht unter Citizen Science. Dafür fehlt zum einen die Freiwilligkeit, die die Bürgerwissenschaft auszeichnet, zum anderen sind der Grad der Durchorganisiertheit und der institutionelle Rahmen von Sparkling Science sowie die Anforderungen seitens des Fördergebers eigentlich nicht typisch für die Bürgerwissenschaft.
"Sparkling Science kann zu Citizen Science werden", meint auch Thomas Schauppenlehner vom Institut für Landschaftsentwicklung an der Universität für Bodenkultur (Boku) gegenüber APA-Science. "Citizen Science lebt jedoch vorwiegend von einer 'diffusen' Masse an Personen, die sich von sich selbst aus engagiert. Das sind meist Leute, die einfach großes Interesse an einer Sache oder an Naturschutz haben und sich über die Jahre zu echten Spezialisten entwickelt haben, die tief in der Materie drin stecken. Das teilweise enorme Fachwissen erkennen auch die Wissenschafter neidlos an", erklärt Schauppenlehner.
Die zentrale Aufgabe von Sparkling Science sieht der Forscher darin, eine grundsätzliche Sensibilisierung für Wissenschaft und Forschung und deren Relevanz für gesellschaftliche Prozesse zu erreichen. "Es kann nicht nur darum gehen, Igel zu zählen, sondern es muss den Schülern klar werden, was es braucht, damit dieser Igel überhaupt hier leben kann."
Zum Datensammler "degradiert"
Kritisch sieht er den Pauschal-Stempel "Citizen Science", sobald Laien eingebunden werden: Ist jedes Projekt auch gleich Bürgerwissenschaft? Die Mitwirkenden würden oft nur als Datenquelle genutzt und seien in weitere wissenschaftliche Schritte nicht eingebunden - eine Gefahr, die bei Sparkling Science aufgrund der Rahmenbedingungen des Forschungsprogramms weitgehend vermeidbar sei. Auch die Frage der Datenverlässlichkeit gelte es zu beleuchten. "Wenn es wie bei uns in der Landschaftsplanung um die Schnittstelle zwischen Natur- und Sozialwissenschaften geht, ist bei vielen Forschungsfragen jeder 'Experte für seine Lebenswelt', und das bringt durchaus valide Daten." Schwieriger sei das wohl bei medizinischen Forschungsprojekten oder technischen Versuchsanordnungen zu beurteilen.
Der Landschaftsplaner hat in dem zweijährigen Projekt "I AM HERE!", das unter der Leitung von Andreas Muhar stand, raumbezogene Aktivitätsmuster von Jugendlichen in Wien erhoben. Darauf aufbauend wurden Vorschläge für eine jugendgerechte Stadtentwicklung und Freiraumplanung abgeleitet. Die Einbindung der jungen Leute von Anfang an war enorm wichtig. "Es hat wenig Sinn, mit einem vorgefertigten Fragen-Set zu kommen. Dabei würde viel Interessantes verloren gehen", erklärte er.
So maßen die Jugendlichen privaten und halbprivaten Räumen wie Einkaufszentren eine überraschend hohe Bedeutung bei. "Die Bedeutung dieser Räume für Jugendliche ist zwar nicht unbekannt, deren Wichtigkeit war uns jedoch so nicht bewusst." Jugendzentren wiederum waren wenig attraktiv, weil sie in den Augen der Schüler von bestimmten sozialen und ethischen Schichten dominiert werden und dadurch auch Konflikte zu erwarten sind. Da die Stadt Wien in Form der MA 18 als Projektpartner involviert war, fand zu Projektende ein Workshop mit der Stadt statt, in welchem die Ergebnisse diskutiert wurden. "Es war sicher lehrreich für die Schüler zu sehen, wie Stadtplanung eigentlich funktioniert. Sie haben gelernt, zu diskutieren und politische Rahmenbedingungen zu erkennen. Sie haben vielleicht auch erkannt, dass Anliegen gut aufbereitet sein müssen und es breite Unterstützung braucht, bis etwas umgesetzt wird."
Vom Datenlieferanten zum Gestalter
Mit "Think Spatial" startet mit Jahresbeginn 2015 ein neues Sparkling Science-Projekt unter Schauppenlehners Leitung. Ein Großteil aller Daten hat einen Raumbezug, so der Wissenschafter. Im Rahmen des Projekts entwickeln und testen Jugendliche Werkzeuge zum räumlichen und visuellen Forschen und Lernen. "Damit wollen wir Lehrern und Schülern ein Werkzeug in die Hand geben, um Daten zu visualisieren und zu analysieren, also Methoden für wesentliche Forschungs- und Gestaltungsprozesse bereitstellen", erläutert der Forscher.
Die dabei entwickelte Anwendung soll eine Plattform für die Erfassung, Beschreibung, Darstellung und Auswertung raumbezogener Punktdaten sein mit dem Ziel, "vom Datenlieferanten zu Gestaltern ihres Lebensumfeldes zu werden", so Schauppenlehner. Die Online-Karte kann im Prinzip in allen Fächern zum Einsatz kommen, etwa in Deutsch, um die Entwicklung von Dialekten räumlich darzustellen, um die Ausbreitung eingewanderter Pflanzen im Biologieunterricht zu dokumentieren oder wie im laufenden Sparkling Science-Projekt "Natur vor der Haustür" Gärten hinsichtlich ihrer Naturnähe zu beschreiben und beobachtete Arten einzutragen.
Die Vorteile einer Webplattform liegen auf der Hand: "Der Einsatz ist zeitlich flexibel, das Tool kann in jeder Schulklasse verwendet oder mit mobilen Endgeräten auch direkt im Feld eingesetzt werden."
Breitenwirkung erwünscht
Bei Sparkling Science hat die nachhaltige Verankerung und Breitenwirkung der Projekte einen großen Stellenwert. So wird bei ALRAUNE die Akzeptanz von Wissenschaft in den Reihen der Schüler, die eng in die Forschung einbezogen waren, in einer Studie untersucht. Weiters findet eine Lehrveranstaltung an der School of Education der Uni Salzburg und eine Lehrerfortbildung an der PH statt.
"Durch die verschiedenen Kompetenzen der Partner - Uni Salzburg, Fachhochschule Salzburg, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Pädagogische Hochschule (PH) Salzburg und neun Schulen - konnte sehr viel Neues und Innovatives gestartet werden", zeigt sich Gadermaier hochzufrieden mit dem Verlauf des Projekts, das im Februar 2015 endet. Ziel war es, von 500 Schülern in Salzburg eine Blut- und Staubprobe sowie einen ausgefüllten Fragebogen zu erhalten. "Dies ist gelungen, derzeit wird die statistische Auswertung der Messdaten finalisiert."
Die bisherigen Ergebnisse sind nicht unerheblich: Insgesamt waren 53,5 Prozent aller Teilnehmer zumindest auf ein Allergen reaktiv - das heißt, sie haben allergieauslösende Antikörper vom Typ Immunglobulin-E (lgE) im Blut. Die meisten Schüler reagierten auf Allergene aus Graspollen, Birkenpollen, Hausstaubmilben und Katzenhaare. Etwa ein Viertel gab an, bereits eine vom Arzt diagnostizierte allergische Erkrankungen zu haben. Weitere Erkenntnisse: Wenn bereits Allergien in der Familie bekannt sind, ist das Risiko, auch an einer Allergie zu erkranken, bedeutend höher. Schüler, die in höheren Lagen oder auf einem Bauernhof wohnen, weisen eine geringere Sensibilisierung gegen Allergene aus Birkenpollen und Hausstaubmilbenallergene auf. Unter den Rauchern war die allergische Sensibilisierung signifikant höher als unter den Nichtrauchern.
Nachhaltigkeit garantiert
Die Ergebnisse von ALRAUNE wurden bereits mit mehreren Beiträgen auf drei internationalen Kongressen vorgestellt. Zumindest zwei im Peer Review-Verfahren begutachtete Publikationen sollen zudem in allergologischen Fachjournalen publiziert werden, Teile der Daten seien bereits in einen Review-Artikel eingeflossen. Auch rechne man mit Publikationen in didaktischen Fachjournalen. Eine Bachelor- und eine Masterarbeit entstand aufgrund des Projekts, zwei weitere Masterarbeiten und eine Dissertation seien im Entstehen, so das positive Resümee der Forscherin.
Von Sylvia Maier-Kubala/APA-Science
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