"Grundwasser - unbekannter Lebensraum und lebenswichtige Ressource in Gefahr"
Österreich ist ein wasserreiches Land. Aus Sicht des Grundwassers liegt das vorwiegend daran, dass es ausreichend Niederschlag gibt - vor allem in den Gebirgsregionen - und dieser zu einem beträchtlichen Anteil in den Untergrund versickert. Das versickernde Wasser füllt die durchlässigen Hohlräume im Fels und in den Lockergesteinsablagerungen der Flusstäler und bildet so unterirdische Ozeane voll mit süßem Wasser - Grundwasser. Nimmt man alle oberirdischen Gewässer (Bäche, Flüsse und Seen) zusammen, machen sie nur ungefähr ein Hundertstel der unterirdischen Wassermassen aus. Diese Ozeane unter unseren Füßen sind jedoch nicht nur unsere wichtigsten Trinkwasserreserven, sondern auch Lebensräume für eine verborgene Vielfalt an faszinierenden Organismen.
In der Grundwasserökologie befassen wir uns heute mit Forschungsthemen unterschiedlichster Ausrichtung. Unser Interesse gilt zum einen der noch unzureichend beschriebenen Vielfalt an Grundwassertieren. Ähnlich den ausgedehnten Regenwäldern im Amazonasgebiet oder der Tiefsee kann man jeden Tag neue Tierarten entdecken. Zeitgleich beschäftigen uns die zunehmenden anthropogenen Einflüsse auf die Qualität des Grundwassers. Schließlich kommt in Österreich sämtliches Trinkwasser aus dem Untergrund. Ein weiterer Fokus ist der Klimawandel, der auch vor dem im Untergrund verborgenen Grundwasser nicht halt macht. Zu guter Letzt sind es neue Nutzungsformen wie etwa oberflächennahe Geothermie, die der Ökologie Fragen um die Nachhaltigkeit aufgeben. Aber eines nach dem anderen.
Gerade erst hat uns der IPBES-Bericht zum Verlust der Artenvielfalt vor Augen geführt, dass 1 Million Arten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vom Aussterben bedroht sind, wenn es zu keinen grundlegenden Änderungen bei der Landnutzung, beim Umweltschutz und der Eindämmung des Klimawandels kommt. Diese Gefahr betrifft gleichermaßen Grundwasserökosysteme. Nur zum Unterschied zu vielen anderen Lebensräumen kennen wir das Arteninventar im Untergrund noch wenig. Etwa 1.500 grundwasser-spezifische Tierarten sind bisher für Europa beschrieben; wir rechnen allerdings mit zumindest zehn Mal so vielen. Die neue Arbeitsgruppe für Grundwasserökologie an der Universität Wien wird in den nächsten zehn Jahren eine erste Bestandsaufnahme der österreichischen Grundwasserfauna durchführen. Ähnliches gilt für die enorme Vielfalt an Mikroorganismen im Grundwasser. Sie sind nicht nur wegen noch unbekannter Arten, sondern ganz besonders wegen ihrer metabolischen Fähigkeiten von großem Interesse. Mikroorganismen sind im Wesentlichen für die Reinigung des Wassers zuständig: Eine Ökosystemleistung von unschätzbarem Wert.
Es macht Sinn, für die Trinkwassergewinnung auf Grundwasser zurückzugreifen. Auf dem Weg durch Boden- und Sedimentschichten wird der Niederschlag, aber auch infiltrierendes Oberflächenwasser physikalisch, chemisch, vor allem aber biologisch gereinigt. Bakterien bauen organische Schadstoffe ab, immobilisieren Schwermetalle, rezyklieren Nährstoffe und wirken systemfremden pathogenen Keimen entgegen. Einmal gereinigtes Wasser wird im Grundwasserleiter in seiner guten Qualität über Jahrzehnte und noch länger gespeichert. Doch auch im Grundwasser, obwohl durch Boden- und Sedimentschichten überdeckt, finden sich zunehmend Stoffe, die dort nichts verloren haben. Im Fachjargon sagt man, das Grundwasser ist ubiquitär überprägt.
Wir Menschen haben auch den unterirdischen Wasserreserven mittlerweile flächendeckend einen anthropogenen Fingerabdruck verpasst. Stoffausträge aus Deponien, Pestizide und Düngermittel aus der Landwirtschaft, Schwermetalle und Salz aus dem Straßenabfluss, zudem Pharmazeutika, künstliche Süßstoffe, Stoffe aus Körperpflegeprodukten und Mikroplastik, um nur einige prominente Beispiele zu nennen, dringen über den Abwasserpfad in unsere Gewässer und somit auch ins Grundwasser ein. Nicht zu vergessen, antibiotika-resistente Keime aus Krankenhausabwässern und der Gülle, die auf den Feldern landet.
Noch sind die meisten dieser Schadstoffe im Grundwasser niedrig konzentriert und unterhalb der für Trinkwasser festgelegten Grenzwerte. Aber wie lange noch. Andere Klassiker unter den Schadstoffen, wie etwa Nitrat, belasten unser Grundwasser schon seit Jahrzehnten ohne große Hoffnung auf Besserung. Die Zeit drängt. Obwohl die Natur eine erstaunliche Kraft zur Selbstreinigung hat, ist dieses Potenzial vielerorts durch übermäßige Einträge und komplexe Belastungssituationen überfordert. Überfordert auch mit chemischen Verbindungen, die eigens gemacht wurden (chemical engineering), um möglichst lange in einer biologisch aktiven Umgebung stabil zu bleiben (z.B. Röngtenkontrastmittel, Imprägnierstoffe, Flammschutzmittel, ...). Man darf nie vergessen, Grundwasser hat ein langes Gedächtnis. Einmal verunreinigt braucht es Jahrzehnte oder länger, bis die Schadstoffe abgebaut werden oder das System wieder verlassen.
Auch der anhaltende Klimawandel setzt dem Grundwasser und seinen Lebensgemeinschaften zu. Denken sie an die häufiger auftretenden Hitzewellen und Dürreperioden. Zusätzliches Wasser wird benötigt zur Bewässerung. Sehnsüchtig erwartete Niederschläge fallen zunehmend heftiger aus - viel Regen in kurzer Zeit - und im Schlimmsten Fall landet der Regen auf trockenem Boden. Dann fließt er oberirdisch ab und versickert nur zu einem Bruchteil. Niederschläge verschieben sich zunehmend in die Wintermonate. Vielerorts wird bereits eine Abnahme der Grundwasserneubildung beobachtet. Obwohl das Grundwasser gut abgeschirmt im Untergrund lagert, erwärmt es sich stetig, wenn auch etwas verzögert, mit der Atmosphäre mit. So kann zukünftig das Grundwasser auch in einem wasserreichen Land wie Österreich knapp werden.
Sowohl der Mensch als auch die unterirdischen Lebensgemeinschaften sind auf Grundwasser in ausreichender Menge und guter Qualität angewiesen. Ändern wir zukünftig unsere Lebensweise nicht dramatisch, ist beides, Qualität und Quantität, gleichermaßen in Gefahr. Um unsere Grundwasserreserven und die darin enthaltene faszinierende Lebewelt zu erhalten, braucht es ein rasches Umdenken und tiefgreifende politische Entscheidungen. Meiner ganz persönlichen Meinung nach muss man raus aus einem System der Agrarsubventionen und Handelsabkommen, die jeden kleinen Bauern zum Spielball der großen Agrarkonzerne machen und keinen Spielraum für nachhaltiges Wirtschaften lassen. Sofortiges Verbot für alle Chemikalien, die im Verdacht stehen schädlich für die Gesundheit des Menschen und die der Ökosysteme zu sein. Und nicht zuletzt maximale Anstrengungen gegen den Klimawandel.