"Wasser für die Großstadt: Joseph Skoda und die Wiener Hochquellenleitungen"
Die Bereitstellung von sauberem Wasser für die Bevölkerung war seit den ersten städtischen Zivilisationen Zeichen und Voraussetzung der kulturellen Entwicklung, ermöglichte sie doch erst das Zusammenleben immer größerer Zahlen von Menschen auf engem Raum. Wie wichtig die Qualität des Wassers für die Gesundheit der Bevölkerung war (und immer noch ist), brachte der Internist Joseph Skoda (1805-1881) - einer der Begründer der Zweiten Wiener Medizinischen Schule - folgendermaßen auf den Punkt: "Daß Gegenden, die stagnirendes Wasser in größeren Massen enthalten, zu den ungesunden zählen, und daß die Bewohner solcher Gegenden sehr häufig vom Wechselfieber befallen werden, ist allgemein bekannt." Die Denkschrift, aus der dieses Zitat stammt, verfasste Skoda im Jahr 1881, kurz vor seinem Tod. Es handelt sich dabei um eine der wenigen von ihm überlieferten Handschriften; das Original konnte kürzlich vom Josephinum (Sammlungen der Medizinischen Universität Wien) erworben werden.
Heute würde man in Bezug auf Wien in erster Linie nicht an das "Wechselfieber" (Malaria) denken, sondern an die Cholera, deren Verbreitung entscheidend mit der Hygiene der Wasserversorgung (und Kanalisation) zusammenhängt. Die Cholera hatte Europa zu Beginn er 1830er-Jahre erreicht und bis zur letzten größeren Epidemie im Jahr der Weltausstellung 1873 wiederholt zahlreiche Todesopfer unter der Wiener Bevölkerung gefordert.
Zwar verfügte Wien mit der Kaiser-Franz-Josef-Hochquellenleitung (heute I. Wiener Hochquellenleitung) seit 1873 über eine Versorgung mit hochwertigem Quellwasser aus dem Rax- und Schneeberggebiet, diese erwies sich jedoch schon bald als unzureichend, insbesondere während der Wintermonate. Die Wiener Gesellschaft der Ärzte stellte der Stadt medizinische Expertise für die Suche nach weiteren Versorgungsmöglichkeiten zur Verfügung, und Joseph Skoda war eines ihrer prominentesten Mitglieder. In seiner Schrift wandte er sich in drastischen Worten gegen den Plan, für die zukünftige Wasserversorgung der westlichen Gebiete der Stadt auf den Wienfluss zurückzugreifen: "Da die im Quellengebiete der Wien projektirten Wasserreservoirs hauptsächlich durch das bei Regengüßen und der Schneeschmelze in der Erdoberfläche abrinnende Wasser gefüllt würden, das durch mitgerissene erdige Massen, durch zahllose Cadaver kleiner Thierchen, durch frische und verwesende Pflanzentheile und durch thierische Excremente in hohem Grade verunreinigt in die Reservoirs anlangen würde, so müsste sich in diesen Reservoirs mit jedem neuen Zufluße eine Schlammschicht bilden, die in Bezug auf ihren Inhalt mit dem Schlamme der Sümpfe sehr wohl wetteifern könnte."
Neben gesundheitlichen Erwägungen ging es Skoda auch um den Geschmack des Trinkwassers. Schon damals diente der Vergleich mit anderen Großstädten dazu, die Lebensqualität in Wien positiv hervorzukehren: "Das durch die Wasserleitungen nach Paris und London gelieferte Wasser ist nicht bloß fade, es hat häufig auch einen widrigen Geschmack und wer an ein gutes Wasser gewohnt ist, wird das Wasser in Paris und London nur in der äußersten Noth herabschlingen."
Nach jahrzehntelangen Diskussionen und Vorbereitungen erfolgte die Sicherung der vollständigen Versorgung der Stadt mit hochwertigem Quellwasser erst mit der Eröffnung der II. Wiener Hochquellenleitung im Jahr 1910. Das System war dazu ausgelegt, den Bedarf einer Stadt mit damals bereits zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zu decken, wobei die Planer von einem starken weiteren Wachstum ausgingen. Der Erste Weltkrieg sollte den demografischen Höhenflug Wiens allerdings unterbrechen, der damalige Stand ist bis heute nicht wieder erreicht.
So wie viele andere Selbstverständlichkeiten des Alltags wird die Bedeutung des Wassers erst dann bewusst, wenn die Versorgung bedroht oder gar gestört ist. Dies war zuletzt durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg der Fall. Zwar konnte die in den letzten Kriegstagen bereits durch die SS vorbereitete Sprengung eines wichtigen Hütteldorfer Teilstücks der II. Hochquellenleitung in letzter Minute durch einen mutigen Arbeiter der Wiener Wasserwerke verhindert werden, die alliierten Luftangriffe hatten aber bereits zuvor ernste Schäden am Leitungsnetz angerichtet. Ein Bericht der westalliierten Geheimdienste, die im Juni 1945 das sowjetisch besetzte Wien inspizierten, gibt einen Einblick in die Lage. Die Wasserversorgung der Stadt war zwar grundsätzlich gesichert, die Leitungen waren aber an unzähligen Stellen beschädigt. Durch die parallel geführten Abwasserleitungen kam es zu ekelerregenden und gesundheitsgefährdeten Verunreinigungen. 40 Prozent der Bevölkerung hatte keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser. Auch das Abkochen des Wassers war schwierig, weil es an Gas und anderen Energiequellen mangelte. Durchfallerkrankungen waren daher in der unmittelbaren Nachkriegszeit verbreitet, es kam auch mehrmals zu kleineren Epidemien von Typhus und Bazillenruhr.
Die Angst um das Wasser spielte auch politisch immer wieder eine Rolle, so gab es seit dem Mittelalter in der antisemitischen Propaganda das Motiv des Juden als Brunnenvergifter. Im Vorfeld der Volksabstimmung über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1994 versuchten Beitrittsgegner, mit einer in der EU angeblich drohenden Enteignung des österreichischen Wassers zugunsten wasserärmerer Regionen Stimmung zu machen. Und auch im berüchtigten "Ibiza-Video", im Mai 2019 Auslöser für den Sturz der Regierung Kurz, spielte die Idee einer Privatisierung des Trinkwassers eine unrühmliche Rolle.