"Verkehrspolitik in der Falle"
Warum wir uns von drei ganz grundlegenden Denkfehlern befreien müssen, wenn wir dem Umwelt- und Klimaschutz im Verkehr zum Durchbruch verhelfen wollen.
Selbst wenn man nur einen flüchtigen Blick in die heimische Klimaschutz-Bilanz wirft, springt einem der größte Problembereich sofort ins Auge: der Verkehr. Während alle anderen Sektoren in den letzten drei Jahrzehnten leichte bis nennenswerte Treibhausgas-Reduktionen erzielt haben, sind die Emissionen im Verkehr seit 1990 um zwei Drittel gestiegen. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht.
In kaum einem Bereich ist die Politik so unentschlossen und so wenig ambitioniert wie im Verkehrswesen. Auch das Programm der neuen schwarz-blauen Bundesregierung ist diesbezüglich voller Widersprüche: Einerseits hat man sich das Ziel gesetzt, eine "nachhaltige und klimaverträgliche Mobilität sicherzustellen" und man spricht von "Dekarbonisierung", also von einem ohne CO2-Emissionen funktionierenden Verkehrssystem. Andererseits plant man, die dritte Piste am Flughafen Wien Schwechat zu errichten und weitere Ausbau-Investitionen ins hochrangige Straßennetz - also das genaue Gegenteil.
Da sich die neue Bundesregierung explizit zu den Zielen des UN-Klimavertrages von Paris bekennt, sollte es doch wohl das Mindeste sein, alles zu unterlassen, was das Erreichen der dort enthaltenen Vorgaben erschwert. Und wären wir uns über diese Selbstverständlichkeit einig, könnten wir uns die Frage stellen, woran auch die Verkehrspolitik aller vorangegangenen Regierungen gescheitert ist bzw. was sich prinzipiell ändern müsste, um der Umwelt- und Klimazerstörung durch den Verkehr endlich Einhalt zu gebieten.
Unsere Verkehrspolitik sitzt nämlich in drei verhängnisvollen Fallen, ohne deren Überwindung der notwendige Paradigmenwechsel ausbleiben wird:
Die Grundbedürfnis-Falle
Kaum ein Satz fällt in der Verkehrspolitik öfter als jener, dass die Mobilität "ein Grundbedürfnis des Menschen" sei. Und kaum ein Satz ist dümmer als dieser. Die wenigsten Verkehrsbewegungen dienen einem reinen Selbstzweck. In der Regel ist Mobilität kein Bedürfnis, sondern das Symptom eines Mangels, nämlich die tatsächlichen Grundbedürfnisse (Arbeiten, Einkaufen, Erholung etc.) nicht in der Nähe befriedigen zu können. Genau deshalb müssen die Menschen mit hohem Energie- und Zeitaufwand sowie zunehmendem Stress immer weitere Strecken zurücklegen.
Eine tatsächlich "nachhaltige Mobilität" (Zitat Regierungsprogramm) bestünde also hauptsächlich darin, dass sie gar nicht stattfindet. Anstatt ständig neue Autobahnen, Straßen und Flugpisten zu errichten, die alles verschlimmern, sollten wir uns Gedanken machen, durch welche Raumordnungs- und Infrastrukturmaßnahmen sowie durch welche Steuer- und Wirtschaftspolitik Verkehrsbewegungen in Zukunft so weit wie möglich minimiert werden.
Die Gleichbehandlungs-Falle
Der zweite verkehrspolitische Denkfehler handelt vom gedeihlichen Nebeneinander aller VerkehrsteilnehmerInnen. In der Verkehrsmittelwahl müsse selbstverständlich "absolute Wahlfreiheit" herrschen, alle Verkehrsträger müssten "gut miteinander auskommen" und die "freie Fahrt für freie Bürger" dürfe keinesfalls eingeschränkt werden.
Wohin das führt, sieht man im engen Straßenraum historisch gewachsener Städte: Eine Politik, die keine Entscheidungen trifft und alle Verkehrsmittel vermeintlich "gleich" behandelt, ebnet bloß der stärksten und mächtigsten Mobilitätsform den Weg - dem Autoverkehr. Anders formuliert: Wer die aus dem Verkehr resultierenden Umweltbelastungen reduzieren und die Innenstädte wieder zu attraktiven Lebensräumen machen möchte, muss genau diese Gleichbehandlung aufgeben. Nur so wurde das dänische Kopenhagen zur weltweit bewunderten "Fahrrad-Hauptstadt": durch die jahrzehntelange konsequente Bevorzugung des Radverkehrs gegenüber dem Autoverkehr.
Da die innerstädtischen Straßenquerschnitte eine unveränderliche Rahmenbedingung sind, kann das Fördern des Fußgeher- und Radverkehrs nur durch das räumliche Zurückdrängen des Autos gelingen. Und da auch Geld nicht unbegrenzt vorhanden ist, muss man Investitionen aus dem Straßenbau in umweltfreundliche Mobilitätsformen wie den öffentlichen Verkehr umlenken. Wie groß die Gestaltungsspielräume der österreichischen Landeshauptstädte sind, zeigen die recht unterschiedlichen Detailergebnisse des Greenpeace-Städte-Rankings (https://bit.ly/2pIRPuN) aus dem Jahr 2017.
Die Technologie-Falle
Nicht zuletzt sitzen wir einer fast naiven und fast unerschütterlichen Technologie- und Fortschrittsgläubigkeit auf: Wie in allen Bereichen glauben wir, dass auch im Verkehr der Zukunft menschengemachte Probleme durch Forschung und Entwicklung gelöst würden und wir ungebremst weiterfahren können wie bisher. "E-Mobilität" und "autonomes Fahren" lauten hier die aktuellen Zauberworte.
Da jedoch Rohstoffe, Energie und der zur Verfügung stehende Raum auch bei neuen Antriebstechnologien äußerst knappe Güter bleiben werden, müssen künftig soziale und kulturelle Innovationen die Hauptrolle spielen. In der "Mobilitätswende" sind neue Technologien zwar eine wertvolle Unterstützung, der wahre Fortschritt muss aber darin bestehen, dass wir weniger fahren, von privaten auf öffentliche Fahrzeuge umsteigen und die verbleibenden Autos teilen anstatt sie zu besitzen. Alles Dinge, die vollkommen technologieunabhängig sind.
Um diese gravierenden aber notwendigen Veränderungen, die auch Einschnitte in unseren persönlichen Lebensstil bedeuten, miteinander auszuhandeln und auf den Weg zu bringen, werden wir auch neue Formen der demokratischen Partizipation benötigen. Die Verkehrspolitik muss jedoch diese drei Fallen überwinden, um die Klimaziele von Paris zu erreichen, wertvolle Agrar- und Naturlandschaften nicht für weitere Verkehrsflächen zu versiegeln und unsere verkehrsgeplagten Städte wieder lebenswert zu machen.
Nur mit einer Methode ist ein Scheitern in jedem Fall vorprogrammiert: Wenn die Verkehrspolitik weiterhin so zögerlich und mutlos agiert wie bisher.