Was uns in Zukunft bewegt
Die Mobilität der Zukunft ist geprägt von E-Mobilität, autonomen Fahrzeugen und der Urbanisierung. Geht man ins Detail, welche Technologien und Angebote sich durchsetzen und auch Akzeptanz finden, scheint aber noch vieles unklar. Das hat eine Experten-Befragung von APA-Science im Vorfeld der europaweit größten Verkehrsforschungskonferenz, der Transport Research Arena (16. bis 19. April 2018), in Wien ergeben.
Welche Wege legen wir zusammen mit anderen zurück, welche Fahrzeuge nutzen und welche teilen wir? Welche Bevölkerungsgruppe braucht welches Angebot, und wie motiviert man sie zum Umstieg auf umweltfreundliche Alternativen? Wo wechseln wir vom Öffentlichen Verkehr zum individuellen Fortkommen - Stichwort Microhubs? Wer sind die Dienstleister, die uns künftig ein Mobilitätspaket schnüren? Und wie verändern sich dadurch die Städte und Regionen? APA-Science versucht etwas Licht in diese Fragestellungen zu bringen.
Blick in die Glaskugel
In zehn Jahren werden die Menschen dank Digitalisierung und Home Office weniger unterwegs sein und dadurch weniger Verkehr verursachen, meint VCÖ-Verkehrsexperte Christian Gratzer. Wege werden verstärkt zu Fuß, mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Der Sharing-Gedanke bei Fahrzeugen erfahre stärker ausgeprägt sein, wir werden mehr elektrische Antriebe und umweltfreundliche Logistik, etwa Micro-Hubs - Anlieferung von Container mittels Lkw, Feinverteilung durch Cargo-Bikes - sehen.
Arnulf Wolfram, Leiter Mobility bei Siemens Österreich, sieht die größten Veränderungen auf die Städte zukommen. "Sie nehmen zwei Prozent der Erdoberfläche ein, beherbergen aber die Hälfte der Weltbevölkerung." Städte verbrauchen 75 Prozent der Energie und verursachen 80 Prozent aller CO2-Emissionen. Eine Notwendigkeit ist für ihn daher der Ausbau des schienengebundenen öffentlichen Verkehrs, von E-Mobilität und autonom fahrenden Systemen.
Das Wachstum der Ballungszentren ist auch für Arno Klamminger, Leiter des Center of Mobility Systems am Austrian Institute of Technology (AIT), einer der wichtigsten Trends. Hinzu komme der treibende Wunsch der Menschen nach Individualisierung, im Mobilitäts- und auch im Logistikbereich. Der Wandel in der Berufs- und Arbeitswelt, mehr internationale Projektarbeit und geforderte Schnelligkeit könnten virtuelle Reisen forcieren, um Kosten zu sparen und zur Dekarbonisierung beizutragen. "Simulationen und Vorhersagemodelle, um zu sehen, welche Änderungen in Bereichen der Urbanisierung, Zersiedelung oder dem Verkehrssystem auf uns zukommen, werden besonders wichtig werden", ist Klamminger überzeugt.
"Energieeffiziente Shuttles und Lkw-Konvois werden wir vermutlich als erstes sehen", schätzt Martin Russ, AustriaTech-Geschäftsführer. Assistenzsysteme im Fahrzeug, die temporär bestimmte Aufgaben übernehmen, sind ebenfalls in greifbarer Nähe. Sollte der Bestand von E-Autos auf 15 Prozent steigen, so hofft Russ, dass diese großteils in Services integriert sind, die in Richtung Mehrfachnutzung gehen: "Nur dann bringt uns das auch etwas in puncto Kapazität der Infrastruktur." Automatisierte Shuttles könnten rund um Einkaufszentren zum Einsatz kommen.
Stolpersteine ortet Christian Gratzer vom VCÖ beim "zu langsamen und falschen Infrastrukturausbau". Anstatt in die Zukunft zu blicken, orientiere man sich am Bedarf der Gegenwart und Vergangenheit. Der Umstieg auf E-Mobilität finde zu schleppend statt, es fehlten Steueranreize. Auch die indirekte und direkte Subventionierung von fossilen Brennstoffen wirke als Hemmschuh. Der Bau einer neuen Infrastruktur ist ein Langzeitprojekt und braucht durchaus 20 bis 30 Jahre, meint hingegen Wolfram. Allerdings lasse sich durch gesetzlich-regulative und ethische Fragestellungen der Zeithorizont für die Etablierung neuer Technologien entscheidend mitbestimmen. Für Russ ist die Akzeptanz etwa von elektrischen Fahrzeugen eine emotionale Angelegenheit, die von "Reichweitenangst" bestimmt werde. Dabei würden die meisten Leute mit 300 Kilometern gut auskommen, die Reichweite sei nicht mehr so das Thema. Herausforderungen sieht er weiters beim Ausbau der Ladeinfrastruktur und der Sensibilisierung der Bevölkerung für Umwelt- und Klimaschutz.
Stadt - Land - Umwelt
Gerade für ländliche Regionen bieten die neuen Entwicklungen der E-Mobilität und Automatisierung eine große Chance, meint Gratzer. Das typische Einfamilienhaus ermöglicht das Laden von E-Autos in der eigenen Garage, womöglich noch mit der Photovoltaikanlage am Dach. Auch privates Carsharing vom oft wenig genutzten Zweitauto würde sich anbieten. Daneben braucht es den Ausbau von Rad- und Fußwegen und von öffentlichen Verkehrsmitteln. Jedes der 124 regionalen Zentren sollte mit Bahn und Bus erreichbar sein, ergänzt um bedarfsorientierte Angebote wie Sammeltaxis oder selbstfahrende Busse.
Höchste Zeit wäre eine verkehrssparende Raumordnung und Siedlungspolitik: "Die Ortskerne müssen gestärkt werden", fordert der VCÖ-Experte. Natürlich brauche es an den Korridoren hochleistungsfähige Systeme, an die man die kleineren ankopple, so Russ. "Ich muss schon draußen in der Fläche anfangen, besser zu verteilen", betont er. Die Schaffung gut angebundener regionaler Zentren, die die weiteren Transportstrecken verkürzen, und die intelligente Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger, insbesondere auch sinnvolle "Last Mile"-Lösungen, sind für Wolfram und Klamminger weitere wesentliche Knackpunkte, um Menschen zum Umstieg auf umweltfreundliche Angebote zu motivieren. Man werde "neue Kleinteiligkeit und Vielfalt" erleben, betont Russ. Die öffentliche Hand und der öffentliche Verkehr seien weiterhin stark gefordert, insbesondere mit regionalen Anbietern zu kooperieren. Vorrangiges Ziel muss es laut Siemens-Experten Wolfram jedoch sein, die Nutzungsraten und die Auslastung der bestehenden Öffis zu steigern.
Digitalisierung
Ohne Digitalisierung ist die Lösung der Herausforderungen im Verkehrsbereich Wolfram zufolge gar nicht mehr denkbar. Um mehr Intelligenz, Wirtschaftlichkeit und Effizienz zu erreichen, brauche es Daten und die Analyse derselben.
International gesehen gilt Singapur als Vorreiter, was die Planung der Stadt der Zukunft anbelangt. Wolfram würde sich einen stärkeren Erfahrungsaustausch mit anderen Städten wünschen. "Asien, Amerika und Europa unterscheiden sich in ihrer Herangehensweise manchmal deutlich - wir sollten von den besten Konzepten und Teillösungen lernen", macht er klar.
Auf das steigende Verkehrsaufkommen, insbesondere in Europa, lässt sich seiner Meinung nach nur mit dem Ausbau der Öffis reagieren. "Hier kann Digitalisierung hilfreich sein, weil sie oft völlig neue Lösungen ermöglicht: Neben automatisierten U-Bahnen etwa die vorausschauende Wartung. Über Apps werden Fahrgäste und Verkehrsteilnehmer in Echtzeit mit Verkehrsinfos versorgt", so der Fachmann. Digitalisierung erleichtert auch die Anknüpfung zu Sharing-Angeboten, wo autonome Systeme ihre Vorteile ausspielen können.
Kultur und Gesellschaft
Nicht jede und jeder "kann" digital. "Es wird immer Gruppen geben, die weiterhin analoge Informationen und Angebote nutzen", weiß VCÖ-Experte Gratzer. Die einfachste und kostengünstigste Fortbewegungsform wird auch in Zukunft das Gehen sein, gefolgt vom Radfahren.
"Welchen Bedarf an Mobilität hat ein Mensch, ein soziales Milieu, und wie bringe ich ihn dazu, sein Mobilitätsverhalten zu ändern?" schildert Klamminger eine zentrale Forschungsfrage. Die beste technologische Lösung sei wertlos, wenn sie keine Akzeptanz finde. "Es braucht Anreize. Aber auch eine Flatrate, mit der sich jederzeit öffentliche Verkehrsmittel und On-Demand-Dienste nützen lassen, erzeugt keinen bewussten Umgang mit Mobilität - und den brauchen wir", stellt auch Russ fest. Und ob man Menschen bei autonomen Shuttles zur geteilten Nutzung motivieren kann, wird sich erst weisen. "Wir müssen besser vermitteln, dass jede Mobilitätsentscheidung eine unmittelbare Auswirkung auf den Einzelnen, aber auch auf die Umwelt hat."
Konsumenten kaufen ihm zufolge in Zukunft kein Fahrzeug mehr, sondern nehmen Mobilität in Anspruch. Noch sei diese Nische sehr klein, doch Kapazitätsengpässe in der Infrastruktur würden Sharing oder über Plattformen abgewickelte Services attraktiver machen. "Das System 'Freie Fahrt für freie Bürger' wird abgelöst von der freien Wahl, wo man stauen will", glaubt der Fachmann. Individualverkehr werde es weiterhin geben, aber umweltfreundlicher und energieeffizienter.
Für bestimmte Bevölkerungsgruppen - Ältere oder Menschen mit Behinderung - wird es spezielle Mobilitätsangebote geben müssen, auch und besonders im ländlichen Raum. "Es muss Anreize für Unternehmen geben, sich hier einzubringen und entsprechende Geschäftsmodelle zu etablieren." Der Schlüssel zum Erfolg liegt Russ zufolge in der mühelosen Kombinierbarkeit der Angebote.
Für eine nachhaltige Wirkung braucht es integrierte Angebote, die über einzelne Carsharing-Anbieter hinausgehen, ist AustriaTech-Chef Russ überzeugt: "Wohnen und Mobilität, Arbeit und Mobilität und Tourismus und Mobilität müssen vollkommen anders gedacht werden." So könnte ein Betrieb seinen Angestellten etwa Mobilitätskonzepte anbieten, oder Wohnbau-Entwickler stecken Geld statt in Stellplätze in eine "Mobilitätsgarantie" für die Bewohner, und forcieren damit "Mobility Hubs", so Russ.
Fokus in der Forschung
Für den Geschmack des VCÖ findet zu wenig Forschung im Bereich der klimaverträglichen Mobilitätsformen wie Gehen, Radfahren, Öffi-Verkehr statt, und zu sehr im Feld einzelner Antriebstechnologien und im Kfz-Bereich.
Auch AIT-Experte Klamminger findet es wenig zielführend, sich nur auf einzelne Technologien zu fokussieren. "Wesentlich ist das Zusammenspiel der Elemente, die Konvergenz der technologischen Bereiche, der Business-Segmente - und das heruntergebrochen auf die drei Säulen Individualverkehr, Logistik und Transport sowie Infrastruktur - gerade in diesem Bereich ist besonders viel Forschung notwendig." Speziell an den Schnittstellen brauche es besonders viel wissenschaftliche Expertise.
Die Stärke Österreichs sieht Russ in einer gewissen Systemintegrationskompetenz, also darin, einen Überblick über die Systembestandteile zu haben, und auch smarte Nischen zu besetzen. "Im Fahrzeugbereich, bei digitaler Infrastruktur gelingt uns das." Die Kompetenzzentren im Verkehrsbereich seien "gut aufgestellt", Österreich sei allerdings umsetzungsschwach. "Wir brauchen den Mut, Dinge auszuprobieren, und das kooperativ und verbindend. Auch unter Beteiligung der großen Mobilitätsakteure wie ÖBB, Wiener Linien oder Asfinag", fordert der Experte.
Antriebstechnologien
Was Antriebssysteme betrifft, will sich niemand festlegen, welches sich in den nächsten Jahren am stärksten durchsetzen wird. Es sei naheliegend, dass es für unterschiedliche Zwecke unterschiedliche Technologien geben wird, meint Arnulf Wolfram. Siemens arbeite derzeit daran, Züge mit Akkus auszustatten, damit Eisenbahnunternehmen ihre mit Diesel betriebenen Fahrzeuge ausmustern können. Und erweist sich ein gemeinsames Pilotprojekt mit Voestalpine und Verbund als erfolgreich, umweltfreundlich erzeugten Strom in Form von Wasserstoff zu speichern, dann könnte dieser "auch im Pkw-Bereich einen Schub erleben".
In zehn bis fünfzehn Jahren rechnet Russ mit einem Anteil von 15 Prozent bei elektrisch betriebenen Fahrzeugen. "Wünschen würde ich mir 30 Prozent", räumt er ein. Die Fahrzeughersteller wachen langsam auf, auch durch Anforderungen, die der chinesische Markt und der Einstieg chinesischer Investoren und großer Hersteller mit sich bringt. "Da sehen wir eine exponentielle Entwicklung", glaubt er. Bezüglich des Güterverkehrs hält Russ den elektrischen Lkw nicht nur im Zustellbereich in der City, sondern durchaus auch im Regionalverkehr für möglich. Auch Schiene und Schiff werden durch Leichtbauweise oder Elektrifizierung deutlich umweltfreundlicher.
"Ich persönlich glaube, dass alle Antriebssysteme über eine gewisse Zeit auch ihre Berechtigung in einem hybriden Umfeld haben werden", so Arno Klamminger. Von der Forschungsperspektive her betrachte man am AIT die E-Mobilität und deren Auswirkungen auf das Verkehrssystem.
Aus Sicht des VCÖ ist hinsichtlich des UN-Klimaabkommens klar, dass die Ära des Verbrennungsmotors zu Ende geht. "Im Bereich der Pkw wird sich aus heutiger Sicht der Elektro-Motor durchsetzen", so Gratzer. Bei Lkw und Bussen dagegen werde Wasserstoff die Nase vorn haben. Das Beispiel Zillertalbahn zeige, dass auch bei noch nicht elektrifizierten Regionalbahnen der Wasserstoff Zukunft habe.
Autonomes Fahren und Sicherheit
Der Stellenwert des autonomen Fahrens wird steigen, sind sich die Experten einig. "Auf der Straße werden autonome Fahrzeuge eher die herkömmlichen Autos verdrängen und dort Marktanteile erobern", schätzt Arnulf Wolfram. Zusätzlich würden autonome Systeme stark im Sharing-Bereich zum Einsatz kommen und dort ihre Vorteile ausspielen. Das Plus bei der Mobilität könne so abgefedert werden, ergänzend dazu sei aber der Ausbau attraktiver öffentlicher Verkehrsmittel unumgänglich.
"Keine Heilsversprechen" sieht Martin Russ in der Automatisierung. Entsprechende Angebote von Uber oder Lyft würden eher neue Verkehrsprobleme schaffen als alte lösen. Fahrzeuge zu automatisieren führe zu mehr Staus, "weil es die Convenience steigert und am Ende zu einem riesigen Problem hinsichtlich der Kapazität führt", weil der Verkehr nicht räumlich und zeitlich verflochten und besser verteilt werde. Letztlich müsse sich in Zukunft der Mobilitätsverhaltenskodex der Menschen an die neuen Möglichkeiten anpassen.
Erwartungen an die TRA
Großes Thema für die Branche ist die Transport Research Arena von 16. bis 19. April in Wien. Generell oszillieren die Erwartungen an die Konferenz zwischen einem "hoffentlich intensiven Austausch mit anderen Experten aus der Branche" (Wolfram) und der Hoffnung auf "Ideen und Impulse aus dem Ausland für neue Entwicklungen in Österreich" (Gratzer). Das AIT, das dort mit 120 Personen vertreten ist, setzt auf die Themen Digitalisierung und Dekarbonisierung und darauf, dass es im Dialog von Wissenschaft und Industrie "zu Meilensteinen kommt, die dann wieder in Forschungsprogramme und -projekte münden".
"Als Organisator der Forschungskonferenz TRA sehen wir: Das Motto Digitalisierung ist zeitgemäß und wir versuchen auch die gesamte Bandbreite zu zeigen", sagte AustriaTech-Chef Russ: "Wir müssen besser erklären und das nachvollziehbar machen, was eine bestimmte Mobilitätsentscheidung bewirkt - für mich, aber auch für meine Umgebung." Der Fokus der Konferenz liege daher darauf, wie man Forschungsergebnisse vermittelt.