Fahren und gefahren werden
Steuern in Zukunft Algorithmen oder Menschen die Autos? Die meisten technischen Fragen des autonomen Fahrens scheinen in absehbarer Zeit lösbar. Wie fragil die weitere Entwicklung jedoch ist, zeigt der jüngste tödliche Unfall mit einem Uber-Roboterauto, der vorläufig die Einstellung weiterer Tests zur Folge hatte. In Österreich befindet sich das steirische "ALP.Lab" als zentrale Einheit zur Erforschung des autonomen Fahrens noch in der Aufbauphase.
Derzeit werden exakte Karten der für Tests bestimmten Autobahnabschnitte erstellt. Ab Juli soll die Prüfung der Sensorik und Kamerasysteme beginnen, beschrieb Geschäftsführer Thomas Zach auf APA-Nachfrage die nächsten Schritte des ALP.Lab. Tatsächliche Testfahrten auf der Südautobahn (A2) und voraussichtlich auch auf einer geplanten Erweiterung auf der Pyhrnautobahn (A9) zwischen St. Michael und Spielfeld liegen wohl noch Jahre in der Zukunft. Grund dafür sind die hohen Sicherheitsanforderungen, schilderte Zach. Erst müssen die Sensorik und Systeme einwandfrei zusammenarbeiten, dann prüft ein Expertenrat die Sicherheit, ehe das Verkehrsministerium die Tests freigeben wird - so der Plan.
Eine spürbare Verunsicherung für künftige Tests brachte der jüngste tödliche Unfall von Uber mit einem seiner selbstfahrenden Autos mit sich. Ein solcher Unfall könne generell für die Freigabe solcher Tests nach Einschätzung von Zach ein "extremer Hemmschuh" sein und diese um Jahre verzögern. Der Geschäftsführer betonte aber, dass ein derartiger Unfall derzeit in Österreich mit den gegebenen Rahmenbedingungen praktisch nicht möglich gewesen wäre. Momentan laufende sogenannte User-Cases schreiben stets einen Fahrer vor, der das Geschehen beobachtet und notfalls eingreift. Selbst der mit nur wenig Tempo selbstfahrende Minibus in Salzburg hatte einen Fahrer mit an Bord. "Sicherheit hat in Österreich oberste Priorität", fasste er zusammen. Bevor etwa neue Techniken überhaupt im Echtbetrieb getestet werden, müssen nachweislich 10.000 Testkilometer in Simulatoren gefahren werden, so Zach.
Auszeit für Uber
Uber stellt sich nach dem tödlichen Unfall mit einem seiner selbstfahrenden Autos auf eine längere Auszeit für sein Roboterwagen-Programm ein. Der Fahrdienst-Vermittler wird die Ende März auslaufende Lizenz zum Testen autonomer Fahrzeuge vorerst nicht verlängern. Ein Grund sei, dass die Wagen "in nächster Zukunft" nicht auf öffentlichen Straßen unterwegs sein würden, erklärte eine Sprecherin dem Technologieblog "Recode". Der Roboterwagen von Uber tötete bei einer nächtlichen Testfahrt in der Stadt Tempe im US-Bundesstaat Arizona eine Frau, die die mehrspurige Straße überquerte.
Der Unfall-Hergang warf die Frage auf, warum der Wagen weder abbremste noch auswich, obwohl die Sensoren die Fußgängerin, die ein Fahrrad neben sich schob, erkannt haben müssten. Uber setzte daraufhin alle Fahrten mit seinen Roboterwagen aus, Arizona verbannte die Wagen zudem bis auf weiteres von der Straße. Neben Arizona und San Francisco war Uber bisher auch in Pittsburgh und Toronto unterwegs.
Andere Entwickler wie Toyota und das Start-up NuTonomy stoppten ihre Fahrten vorsichtshalber auch. Hinzu kam dann auch der Grafikchip-Spezialist Nvidia. Man wolle erst aus dem Uber-Unfall lernen, hieß es. Zugleich sei Nvidia weiterhin überzeugt, dass Roboterwagen auf lange Sicht viel sicherer als menschliche Fahrer sein würden.
"Man weiß ja noch nicht genau was, aber da muss etwas Gröberes schiefgelaufen sein", sagte Horst Bischof, Vizerektor der TU Graz, die ALP Lab koordiniert, über den Uber-Unfall zu APA-Science. Seitens des ALP.Lab sehe man sich darin bestätigt, verstärkt zu testen und speziell auch seltene Testfälle zu sammeln, um sie später virtuell nachstellen zu können.
Erste Tests für Sensorik
Ab Sommer will das ALP.Lab mit den bis dahin erstellten Karten erste Tests für Sensorik durchführen. Dabei gehe es noch weniger um autonomes Fahren, sondern um das "Abtesten", ob die Sensoren alles richtig erkennen und die passenden Rückschlüsse ziehen, sagte Zach.
Die Aufbauphase des "Austrian Light Vehicle Proving Region for Automated Driving" laufe bisher nach Plan und ohne Überraschungen. Die Gesellschaft arbeitet vorrangig mit den fünf Hauptpartnern zusammen: AVL List, Magna Steyr, das Kompetenzzentrum Virtual Vehicle (vif), Joanneum Research und der TU Graz. Magna und AVL betreiben übrigens eigene Teststrecken, die aber ausschließlich für autonom fahrende Autos geschlossen sind. Das ALP.Lab plant bisher mit den einzigen in Österreich zugelassenen Teststrecken im realen Umfeld. Laut Zach wurde erst vor wenigen Wochen im Raum Linz eine weitere Testumgebung namens "DigiTrans" in Angriff genommen. Sie konzentriert sich aber auf autonomes Fahren beim Gütertransport.
200 bis 300 Testfahrten
Dass man erst dabei sei, mit den Partnern Geschäftsmodelle zu entwickeln, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass bereits zahlreiche Tests durchgeführt wurden. "Es haben sicher schon in Summe 200 bis 300 Testfahrten stattgefunden", sagte Bischof. Die TU Graz bringt ihr Know-how unter anderem im Bereich Sensorik und Computer Vision ein und ist als Koordinatorin die physische Heimat des ALP.Lab. Freilich seien die Fahrten nicht immer mit einem konkreten Testfall und nicht immer mit Datenaufzeichnung verbunden, so Bischof: "Wir müssen auch unserer Funktionalitäten testen bevor wir das einem Kunden zur Verfügung stellen. Wir sind mitten in der Aufbauphase."
Von der Infrastruktur des ALP.Lab ist außer ein paar einzelnen Büros nicht viel zu sehen. Das liege vor allem daran, dass man starke Partner mit entsprechender Infrastruktur an Bord habe. Das Innovationslabor versuche man bei einem Budget von 4,8 Mio. Euro für fünf Jahre bewusst klein zu halten. Die Rolle und der Mehrwert von ALP Lab liege in erster Linie darin, "digitale Durchdringlichkeit" zu gewährleisten und die entsprechenden Schnittstellen zur Verfügung zu stellen. So könnten Kunden Tests gleichzeitig auf der Straße und virtuell durchführen.
Technische Herausforderungen
Oft wird Bischof bei Vorträgen gefragt, wann denn das autonome Fahren tatsächlich käme. Er gibt dann zwei Antworten darauf: "Das eine ist die technische Antwort. 2022 bis 2025 werden wir das technisch weitgehend im Griff haben. Da werden wir das erste Mal wahrscheinlich auch nachweisen können, dass die Zahl der Todesfälle sinken würde, wenn alle Autos autonom fahren würden." Das allein werde aber für die gesellschaftliche Akzeptanz nicht genug sein, schätzt der Experte. Das statistische Argument allein reiche wohl nicht aus. Roboterautos müssten in der Unfallstatistik viel besser werden als der Mensch, nahe zu Null kommen.
Technisch relativ bald gelöst werden dürften laut dem TU Graz-Vizerektor typische Autobahnsituationen bei relativ gutem Wetter. Regen bereitet den Sensoren und sonstigen Systemen keinerlei Probleme, "Allwetterbedingungen sind aber sicher noch eine große Hürde", Der nächste Level sei dann der Stadtverkehr, wo von der Dichte der Objekte und der Vorhersagbarkeit der Situationen alles noch einmal komplexer - und daher auch noch dauern - werde. Der nächste und ebenso schwierig zu lösende Bereich sind dann Umgebungen ohne Infrastruktur, etwa eine Landstraße auf einen Berg hinauf, wo es vielleicht nur schlechte Karten gibt.
Von den Regulierungen her könnte es in Österreich besser sein, so Bischof. Vieles sei zu kompliziert geregelt, was Hersteller abschrecken könne, Tests hierzulande zu machen. Das betreffe etwa den Umstand, dass man aus Datenschutzgründen im Auto keine Dashcam zum Aufzeichnen von Testfahrten verwenden dürfe. "Da muss man einfach Freiheiten genau für diese Tests schaffen", fordert der Professor vom Institut für Maschinelles Sehen und Darstellen.
In der Diskussion um automatisierte Fahrzeuge dominieren technische oder moralische Fragen, die Auswirkungen auf den Menschen und dessen Verhalten sind hingegen noch ziemlich unterbelichtet. Am Austrian Institute of Technology (AIT) beschäftigt sich die Mobilitätsverhaltensforscherin Alexandra Millonig mit diesen Fragen. Wenn jeder fahre, "werden wir in erster Linie einen Verkehrszuwachs haben", mit allen bekannten Folgen. Die positiven Aspekte könnten damit wieder aufgehoben werden (siehe: "Forscherin: Einsatz autonomer Fahrzeuge sorgfältig planen").
Österreich im Mittelfeld
Wenn es um das Bereitsein für die Zukunft mit selbstfahrenden Fahrzeugen geht, liegt Österreich laut einer Analyse von KPMG zufolge im Mittelfeld. Die besten Voraussetzungen für automatisiertes Fahren bestehen demnach in den Niederlanden, in Singapur und in den USA. Österreich wurde auf Rang 12 von 20 gereiht. Zu den Stärken der Niederlande gehören die hohe Akzeptanz von Elektrofahrzeugen, die große Dichte an Ladestationen, das solide Telekommunikationsnetz sowie eine Vielzahl geplanter Praxistests, so KPMG.
Verglichen wurden die Länder anhand der Voraussetzungen in den vier Bereichen Politik und Gesetzgebung, Technologie und Innovation, Infrastruktur sowie Kundenakzeptanz. Immerhin hinsichtlich der Infrastruktur belegt Österreich mit Platz 8 eine Top-10-Platzierung.