"Mobilität als Daseinsvorsorge"
Bis zum Jahr 2050 werden zwei Drittel der Menschheit in Städten leben, so die Prognose des UN Weltbevölkerungsberichts 2015 (1). Dieser Trend zur Urbanisierung geht einher mit ambitionierten Umweltzielen, wie bspw. dem Pariser Abkommen (2), dem Weißbuch zum Verkehr der Europäischen Kommission (3) und dem Fachkonzept Mobilität der Stadt Wien (4) sowie einer zu beobachtenden Veränderung des Mobilitätsverhaltens der Bevölkerung im urbanen Raum.
Der Besitz eines eigenen PKW verliert vor allem bei jungen Menschen an Stellenwert. Die "persönliche Onlinevermarktung" - abgebildet durch die Anzahl an "Likes" und "Friends" - gewinnt immer mehr an Bedeutung. Gleichzeitig wird der Sharing-Gedanke immer wichtiger, ein Trend der sich im wachsenden Angebot und der zunehmenden Nachfrage nach Car- und Bikesharing widerspiegelt. All das und vor allem der Trend der Digitalisierung wird die künftige Entwicklung der Mobilität prägen.
Für nahezu jedes Fortbewegungsmittel existiert mittlerweile eine digitale Zugangsmöglichkeit. Das Resultat sind allerdings unzählige isolierte Lösungen ohne gemeinsame Infrastruktur. Eine Neugestaltung der Zugangsmöglichkeiten ist im Zuge der ständig wachsenden Anzahl von unterschiedlichen Angeboten notwendig, um dem Wunsch nach der einfacheren Nutzung alternativer, umweltschonender und bedarfsgerechter Mobilitätsformen Rechnung zu tragen.
Digitalisierung & Mobilität als kommunale Verantwortung
Diese Notwendigkeit haben die Wiener Stadtwerke und die Wiener Linien erkannt und daher 2016 die Tochtergesellschaft Upstream - next level mobility GmbH gegründet.
Die Zielsetzung von Upstream ist es, im Sinne der Daseinsvorsorge und zur Sicherstellung von nachhaltiger Mobilität, digitale Mobilitätsservices auf einer kommunalen Plattform zu vereinen. Basierend auf dieser Plattform können maßgeschneiderte Funktionen sowie individualisierte Applikationen, wie beispielsweise "WienMobil", entwickelt werden.
Die digitale Plattformlösung, so wie sie in Wien im Eigentum der Stadt umgesetzt ist, wird im europäischen Raum unter den Experten bereits als "das Wiener Modell" bezeichnet und hat somit international Vorbildwirkung. Kennzeichnend für das "Wiener Modell" ist einerseits der Know-how-Aufbau und die Stärkung der Innovationskraft innerhalb des kommunalen Dienstleisters und Eigentümers Wiener Linien und andererseits die Bündelung bzw. der Wissensaustausch mit anderen, nationalen und internationalen ÖPNV- (Öffentlicher Personen Nahverkehr) Anbietern. Ein ebenso wichtiges Ziel des Modells ist es, die Wertschöpfungskette vom Entstehen der Daten bis zur Verwertung im öffentlichen Interesse sicher zu stellen um damit wieder Mobilität im Sinne der Daseinsvorsorge zu gewährleisten.
Kundendaten, Bewegungsdaten, Mobilitätsdaten
Mit der Entwicklung von digitalen Mobilitätsplattformen beschäftigen sich globale Player, wie IT-Dienstleister oder die Automobilbranche, intensiv.
Der Markt ist aktuell geprägt von einem hohen Wettbewerb um Kundenkontakt und Kundendaten. Einerseits ermöglichen diese gezielt Produkte zu entwickeln und Kunden zu adressieren, andererseits bilden diese die Grundlage für die zukünftige Mobilitätssteuerung. Es ist daher von besonders großer Bedeutung, dass digitale Mobilitätsplattformen und daraus generierte Daten in öffentlicher Hand liegen, um einen sensiblen Umgang mit Kundendaten zu gewährleisten.
Reinhard Birke, Geschäftsführer von Upstream - next level mobility GmbH, sagt zu diesem Thema: "Rein privatwirtschaftliche Modelle schaffen Angebotsvielfalt in kaufkraftstarken Gebieten, und führen zu einer Angebotsarmut in strukturschwächeren Regionen. Die Mobilität der Zukunft braucht daher einen sozioökonomisch ausgewogenen Finanzierungstransfer im öffentlichen Interesse, um auch langfristig nachhaltig und diskriminierungsfrei im Sinne aller BürgerInnen flächendeckend betrieben werden zu können. Die Nutzung von Datengeschäftsmodellen und kooperativer Plattformökonomie in öffentlicher Hand wird bei dieser Aufgabe der zentrale Erfolgsfaktor sein."
Ein wesentliches Ziel der Entwicklung zukünftiger Mobilität muss es sein, Angebote auch dort zu schaffen, wo Mobilität wirklich gebraucht wird. Dies trifft insbesondere den ländlichen Raum oder jene Personen, die sich Mobilität nicht uneingeschränkt leisten können. Nach wie vor hat die Einschränkung der Mobilität enorme Auswirkungen auf die Möglichkeit der Berufstätigkeit und somit auf die soziale Stellung. Dieses Thema hat auch der VCÖ im "Factsheet 2018-02-Mobilitätsarmut nachhaltig verringern" aufgegriffen.
Keine Zukunft ohne Forschung und Entwicklung
Im Bereich der Forschung und Entwicklung liegt es in unserer Verantwortung, rasch Prototypen für die Mobilität der Zukunft umzusetzen und technologische Lösungen aufzuzeigen. Ziel ist es, kleinzellig neue Technologien und neue Services zu entwickeln, um im öffentlichen Interesse das Know-how von beispielsweise "On-demand Services", "selbstlernenden Systemen", "Blockchain-Entwicklungen" und "autonomen Fahren" aufzubauen.
Im Falle von Mobilitätsplattformen, die auf Blockchain-Technologie basieren, müssen wir in komplett anderen Geschäftsmodellen denken. In den kommenden zehn Jahren ist es nicht mehr die Plattformtechnologie, die den Unternehmenswert bildet, da es sich bei Blockchain-Entwicklungen um Open Source und Open Access-Technologien handelt. Also um eine Technologie, auf die jeder zugreifen kann. Zukünftige Geschäftsmodelle werden sich auf dieser Basis ganz stark in die Experten- und Dienstleisterrolle entwickeln. Der marktwirtschaftliche Stellenwert von Daten wird abnehmen, da die Daten zukünftig direkt bei den Nutzern liegen und diese von sich aus den Zugriff auf ihre Daten gewähren und auch wieder entziehen. Hier hat die öffentliche Hand die Chance, als vertrauenswürdige Stelle die Nutzeridentität und Nutzerdaten zu zertifizieren. Diese digitale Zertifizierung wäre vom Prozess her ähnlich einer heute schon genutzten digitalen Signatur.
Im Bereich des autonomen Fahrens kann nicht genau gesagt werden, wann vollautonome Busse auf unseren Straßen unterwegs sein werden. Die für die dahinter liegenden (lernenden) Systeme notwendigen Algorithmen können wir jedoch schon heute entwickeln und trainieren sowie mit historischen, Echtzeit- und Prognosedaten anreichern, um im ersten Schritt ein dynamisches Mobilitätsmanagement zu entwickeln und die optimale Route an den Lenker zu kommunizieren. In weiterer Folge wird diese optimale Route an autonome Fahrzeuge kommuniziert und diese somit gesteuert.
Die zukunftsorientierte Zielsetzung von F&E im Bereich digitaler Infrastruktur für die Mobilität ist klar: Die Städte und ÖV-Betreiber sollten nicht auf internationale privatwirtschaftlich orientierte Konzerne warten, bis diese aktuelle Fragen in ihrem eigenen Sinn beantwortet haben und die ÖV-Fahrzeuge lenken, sondern selbst in der Lage sein, Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs im Sinne der Mobilität als Daseinsvorsorge zu steuern.
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(1) https://esa.un.org/unpd/wup/default.aspx?aspxerrorpath=/unpd/wup/Highlights/Default.aspx
(2) http://www.cop21paris.org/about/cop21
(4) https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008390b.pdf