Zug um Zug weg vom Auto
Der Hund, der beste Freund des Menschen? Sein ständiger Begleiter? Mitnichten. In Österreich gibt es rund eine halbe Million Hunde - dafür aber fast 5 Millionen PKWs. Doch dieser neue beste Freund ist heimtückisch und bringt Stau und Smog mit sich. Es liegt auf der Hand, dass etwas geändert gehört.
Lösungsansätze, die Verkehrsbelastung durch Autos zu reduzieren, sind vielfältig: Von Elektrobussen über Wiens neue fünfte U-Bahn-Linie bis zu Anreizen für Urlauber, vermehrt die Bahn zu nutzen. Eines haben sie gemeinsam: sie alle setzen auf andere Transportmittel. APA-Science hat sich ein paar der Verkehrslösungen näher angesehen.
Sinn und Sinnlosigkeit
Der Countdown läuft. 2018 starten die Bauarbeiten der neuen U-Bahnlinie 5 und die Verlängerung der U2. Das 950-Millionen-Euro-Projekt soll die Stadt enger vernetzen, Menschen dazu animieren, ihr Auto stehen zu lassen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Klingt gut - ist es aber nicht unbedingt.
"Ich denke, dass diese Verbindung nicht so verkehrswirksam ist, dass sie eine so große Investition rechtfertigt", sagt Harald Jahn im Gespräch mit APA-Science über die kommende Netzerweiterung. Der Verkehrsexperte und Autor von "Die Zukunft der Städte" verfolgt den U-Bahnausbau seit Jahrzehnten. "Der U-Bahnbau ist eine große Kompetenz der Wiener Linien. Aber die wirkliche Verkehrswirksamkeit zweifle ich einfach an, den Mehrwert."
Denn Bau und Erhaltung einer U-Bahn sind teuer: man benötigt Tunnels, Aufzüge, Rolltreppen, aufwendige Beleuchtung. Das rentiert sich nicht, findet Jahn: "Wenn man sich mit Vernetzung, Stadtstruktur beschäftigt, kommt man drauf, dass es nicht immer der beste Entschluss ist, eine U-Bahn zu bauen. Es gibt viele feingliedrige Verkehrsmittel, die der Stadt besser tun, die viel billiger sind, die Straßenbahn zum Beispiel." Auf die Seite der Straßenbahn schlägt sich auch Horst Prillinger, Fachreferent für Technik und Verkehr an der Universitätsbibliothek Wien: "Man könnte die Kapazität auch auf andere Art und Weise erhöhen. Die U-Bahn ist eine Möglichkeit - allerdings die teuerste." Stattdessen wäre es sinnvoller, das Straßenbahnnetz zu verdichten.
Sehnsucht Endstation
"[Es] stellt sich ... bei dieser Planung die Frage nach dem nachhaltigen Verkehrswert einer so kurzen Linie. Zwar ergänzt die Linie in dieser Form das Straßenbahnnetz in durchaus vernünftiger Weise und könnte theoretisch die Straßenbahn in den Bezirken 9, 17 und 18 entlasten, aber in der Praxis ist das Problem, dass sie nirgendwo hinfährt und es auch keine vernünftige Verlängerungsmöglichkeit gibt. So geht schon beim Umsteigen von der Straßenbahn in die U5 einiges an Zeit verloren, und dann endet die Linie bereits am Karlsplatz, wo erneut umgestiegen werden muss, was die Attraktivität dieser Linie deutlich einschränkt", schreibt Prillinger auf seiner Webseite.
Auch Jahn positioniert sich auf seiner Webseite tramway.at als Fan der Straßenbahn: "Vor allem in Frankreich erhielten Regionalstädte neue Tramwaysysteme, die mit den schwerfälligen Betrieben der 50er-Jahre nichts mehr zu tun haben. In Wien setzt man dagegen weiterhin auf den Ausbau der U-Bahn; die Wiener Straßenbahn ist ein ungeliebtes Stiefkind der Politik."
Die Kosten für den Bau einer U-Bahn betragen ungefähr das Zehnfache des Baus einer Straßenbahn. Das ist für Jahn nur dann gerechtfertigt, wenn genügend Leute transportiert und das System zu einem gewissen Grad ausgelastet ist. Diese nötige Dichte fehlt aber in den Gebieten jenseits der Donau. So wurde beispielsweise die U2 2013 von der Aspernstraße bis zur Seestadt verlängert, die drei zusätzlichen Stationen sind aber bei weitem nicht ausgenützt. Nur jede zweite U-Bahn fährt die Stationen Hausfeldstraße, Aspern Nord und Seestadt an.
Tief, tiefer, U5
Die geplante Strecke der U5 verläuft vom Elterleinplatz bis zum Karlsplatz und übernimmt ab der Station Rathaus den Weg der Linie U2. Zeitgleich wird die U2 vom Rathaus bis nach Inzersdorf verlängert. Aufgrund diverser Parameter wie der Beschaffenheit des Untergrunds, von unterirdischen Gewässern, Tiefgaragen, und auch von den Gebäuden wird die U2 zwischen den Stationen Neubaugasse und Pilgramgasse in 37 Metern Tiefe verlaufen. Sie wird somit die tiefste U-Bahn Wiens.
"Das heißt, man hat eine sehr tief liegende U-Bahn. Das ist sehr unpraktisch, weil man weit hinuntergehen muss. Dadurch wird das Umsteigen unattraktiv. 40 Meter, das ist ein siebenstöckiges, achtstöckiges Haus, das dauert sehr lang, das kostet viel, und so weiter", sagt Jahn. "Das Ganze ist meiner Meinung nach eine ziemlich an den Haaren herbeigezogene Lösung, die bautechnisch sehr anspruchsvoll, komplex und sehr teuer ist, und dem Kunden letztendlich nicht so viel an Zeitgewinn bringt. Das Ziel ist ja immer, dass wir Zeit gewinnen."
Geisterfahrer in Türkis
Nicht nur Autos, auch die U-Bahn befindet sich auf dem Weg der Emanzipation von seinem Fahrer. Ein Großteil der neu konzipierten Züge der türkisen U5 soll fahrerlos fahren. Schon jetzt sind die Garnituren fast vollständig von Computern gesteuert; außer beim Start sowie beim Einfahren in die Station ist ein menschlicher Fahrer kaum noch vonnöten. Ab 2024 geschieht auch das dann voll automatisch.
Statt auf noch mehr U-Bahn-Strecken und dementsprechend weite Distanzen zu setzen, sollte stattdessen mit einem Ausbau des Straßenbahnnetzes eine Stadt der Regionalität und der kurzen Wege geschaffen werden. Grätzel würden gestärkt und gleichzeitig der Autoverkehr zurückgedrängt werden. Wenn das passiert, so Prillinger, würden die Anrainer von alleine auf Straßenbahnen und Buslinien umsteigen. "Das System Verkehr ist als solches selbstregulierend. Wenn es mit dem Auto zu mühsam ist und man im Stau steht, dann suchen sich die Leute einen anderen Weg. Sie jammern halt davor irrsinnig.", sagt Prillinger.
Gear Viewer: Mobilität sichtbar machen
Wo die Wiener Lienen auf die U-Bahn setzen, bauen die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) lieber weiter ihr Schnellbahn-Netzwerk aus. Ab 2020 soll im Laufe von fünf Jahren die Verbindungsbahn ausgebaut werden. Auf ihrem Weg quer durch Wien knüpft sie an sämtlichen U-Bahnlinien an. Durch die streckenweise Anhebung der Bahntrasse soll der Verkehr entlastet und Staus vorgebeugt werden.
Bei dem Projekt unter dem Namen "Attraktivierung der Verbindungsbahn Hütteldorf-Meidling" wird die ÖBB vom Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung (VRVis) mit dem Visualisierungs-Framework "GearViewer" unterstützt. GearViewer ist ein Verkehrs-Monitoring-System, welches Mobilität sichtbar macht. Es fasst sämtliche Untersuchungen, Planungsergebnisse und Maßnahmen der Fachplaner und Experten in einer interaktiven Szene, also in einem virtuellen 3D-Modell, visuell aufbereitet zusammen. So können Verkehrslösungen in Stadtentwicklungsgebieten oder großräumige Infrastrukturbauten visualisiert werden.
Digital und interaktiv
"Der GearViewer basiert auf dem High-Performance Visualisierungs-Framework Aardvark des VRVis und kann sehr komplexe Szenen interaktiv darstellen, die aus umfangreichen raumbezogenen Daten erzeugt werden. Dazu gehören hochauflösende Geländemodelle, georeferenzierte Modelle von Gebäuden, Planungsprojekten und Vegetation, sowie eine Verkehrs- und Tageslichtsimulation. Bestimmte 3D-Modelle können auch prozedural aus GIS-Daten erzeugt werden, wie zum Beispiel Lärmschutzwände oder Straßentrassen", erklärt Senior Researcher und Projektleiter Christoph Traxler.
Mit dem GearViewer kann man Animationen steuern, an Datum und Tageszeit anpassen und digitale Verkehrswege interaktiv erkunden. So lasse sich realistisch begutachten, wie sich geplante Infrastrukturprojekte auf die bestehende Umgebung auswirken können, so Traxler. Dazu werden sämtliche baulichen Maßnahmen sowie die damit einhergehenden Auswirkungen visuell dargestellt, beispielsweise durch eine animierte Simulation des prognostizierten Verkehrs.
Da der GearViewer meist im Straßenbau- und Schienenverkehr Verwendung findet, wie eben bei den ÖBB, umfassen die Szenen alles von kilometerlangen Landschaftszügen über Stadtteile bis hin zu lokal begrenzten Architekturen. Zu den Kunden zählen neben der ÖBB unter anderem die Wiener Linien, die GearViewer bei der Verlängerung der U1 nach Oberlaa verwendeten. Es ist aber auch in Deutschland im Einsatz.
Easy Travel: Einfach in der Urlaub
Auch im Urlaub soll in Zukunft auf das Auto verzichtet werden - zumindest wenn es nach dem Institut für Infrastruktur, Arbeitsbereich Intelligente Verkehrssysteme, der Universität Innsbruck geht. Mit dem Projekt Easy Travel wollen die Forscher zusammen mit ihren Forschungspartnern, etwa der Technischen Universität (TU) Wien oder der Standortagentur Tirol, ein "Rundumsorglospaket" entwickeln, das einen Urlaub ohne Pkw ermöglicht. Dabei sollen im Sinne eines nachhaltigen Tourismus neben forcierter Bahnanreise beispielsweise Carsharing-Systeme und Gepäcktransporte zum Einsatz kommen.
Als Beispielregion dient hier das Ötztal. Die Lösungen sollen sich auch auf andere Regionen in Tirol und im alpinen Bereich übertragen lassen. Das im Herbst 2016 gestartete Projekt, läuft noch bis Juli 2018.
"Easy Travel soll Lösungen für jene Probleme bereitstellen, die Gäste vom Bahnfahren abhalten", erklärt Projektleiter Markus Mailer. "Das sind vor allem Gepäcktransport, Vor-Ort-Mobilität und die Planung und Buchung von Reiseoptionen im Zuge der Urlaubsplanung - dazu haben wir auch entsprechende Ergebnisse und Anforderungen aus Befragungen von Gästen und Reisenden ermittelt. Diese Maßnahmen sollen die Anreise ohne eigenes Auto attraktiver machen."
"Da heute der Großteil der UrlauberInnen angibt, dass die Themen Gepäcktransport und Mobilität am Urlaubsort für die Wahl des eigenen PKW als bevorzugtes Verkehrsmittel zur An- und Abreise ausschlaggebend sind, werden im Projekt insbesondere innovativen, integrierten Lösungen zu Gepäcktransport und zur flexiblen Mobilität am Urlaubsort bearbeitet. Als weiterer wesentlicher Baustein wird die Möglichkeit der Buchung von entsprechenden (Mobilitäts-)angeboten im Rahmen einer lückenlosen Mobilitätskette in einer integrierten Buchungsplattform betrachtet", heißt es auf der Webseite des Instituts.
Mit Zuversicht der Zukunft entgegen
Obwohl der Tourismus nur einen Teil des gesamten Verkehrs ausmacht, ist Mailer zuversichtlich, dass der erarbeitete Maßnahmenmix längerfristig auch ganzheitlich den Verkehr entlasten kann: "Lösungen, für die der Impuls aus dem Tourismus kam, haben Einheimischen schon oft Vorteile gebracht. Auch in Easy Travel wird bei der Entwicklung der Lösungen darauf geachtet, die Angebote so zu gestalten, dass sie auch für Einheimische und Beschäftigte im Tourismus attraktive Lösungen darstellen." So soll das Projekt auch auf die Zeit zwischen Urlauben umgelegt werden können. Hier stellt allerdings die starke Saisonalität der Branche eine Herausforderung dar.
Easy Travel beschäftigt sich nicht nur mit inländischen, sondern auch mit ausländischen Urlaubern. Mit den neuen Verkehrskonzepten sollen beide Gruppen zum Umdenken bewogen werden. "Natürlich beginnt jede Urlaubsreise im Herkunftsland der Gäste. Daher ist nicht nur die letzte sondern auch die erste Meile und eine durchgehend attraktive 'Reise- bzw. Servicekette' wichtig. Es gibt aus vielen Ländern/Städten bereits attraktive Zugverbindungen nach Tirol. Bei guten Angeboten in der gesamten Reisekette und in der Urlaubsdestination, entsprechender Information und Bewerbung, kann das Ziel, die Anreise mit der Bahn aus diesen Ländern und Städten zu stärken, erreicht werden", so Mailer.
Damit das Auto in Zukunft nicht mehr Verkehrsmittel Nummer Eins ist, braucht es Veränderung - in der Infrastruktur, aber auch im Kopf. Zeit, sich einen neuen besten Freund zu suchen. Vielleicht diesmal einen auf Schienen?
Von Anna Riedler / APA-Science