Speicher als Schlüsseltechnologien für die Energiewende
Die Dekarbonisierung des Energiesystems hängt nicht zuletzt an einem weiteren Ausbau erneuerbarer Energieträger. Sonnen- und Windenergie sind aber nicht konstant verfügbar, was viel Fluktuation ins Netz bringt. Eine Schlüsselfrage der Energiewende ist für viele Experten daher die Weiterentwicklung und der geschickte Einsatz von Energiespeichern, die trotz schwankender Erzeugung eine sichere Versorgung gewährleisten sollen.
Die permanente Entwicklungsarbeit soll zumindest mittelfristig ökonomisch Früchte tragen. Das geht aus einer aktuellen Analyse der Marktbeobachter von Roland Berger hervor. Noch seien die meisten Speichertechnologien teuer, doch in den nächsten Jahren soll es laut der Erhebung zu kräftigen Verbilligungen kommen. Bis 2030 wird mit einem starken Innovationsschub gerechnet, was deutlich sinkende Kosten bringt und profitable Geschäftsmodelle möglich macht. Ein Zeithorizont, den auch andere Experten als realistisch einschätzen. Das US-Energieministerium geht sogar davon aus, dass sich die Kosten für elektrische Speicher in den nächsten fünf Jahren halbieren werden, erklärt Michael Stadler, Area Manager Smart und Microgrids des K1-Kompetenzzentrums Bioenergy2020+, der einige Jahre in den USA geforscht hat (siehe auch "Microgrids: Regionale Energie mit globalen Auswirkungen").
Durch die neuen Möglichkeiten entstehe zusätzlicher Wettbewerb für die Energieversorger, so Roland Berger. Etwa könnten digital vernetzte Batteriespeicher bei Netzbetreibern dezentrale Großspeicher schaffen, die zur Unterstützung bei Versorgungsengpässen dienen könnten. "Bei allen untersuchten Speichertechnologien erwarten wir durch die sinkenden Technologiekosten neue Konkurrenten im Markt. Ihre alternativen Geschäftsmodelle werden die Strategien der etablierten Energieversorger infrage stellen", so ein Analyst der Unternehmensberatung.
Speichertechnologien seien ein wesentlicher Punkt, wenn es um die notwendige Flexibilisierung des Energiesystems geht, sagte auch Helfried Brunner, Senior Engineer und thematischer Koordinator für den Forschungsbereich "Power System and Planning Operation" beim Austrian Institute of Technology (AIT). Hier brauche es auch viele neue Technologien. Ein großes Thema im Rahmen des Forschungsnetzwerks European Energy Research Alliance (EERA) sei momentan "Power-to-X" also die Umwandlung des Stroms in alle möglichen Formen, darunter neben Wärme und Elektromobilität beispielsweise auch Biogase. Das Spektrum reicht hier vom Haushalt, E-Autofahrer bis zu Industrieanlagen.
Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch die Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds, Theresia Vogel: "Erneut wurde klar, dass zur Stromspeicherung bereits seit vielen Jahren Pumpspeicherkraftwerke, Batterien und Schwungmassenspeicher zum Einsatz kommen, diese jedoch großteils nicht für die langfristige Speicherung geeignet sind, oder unter dem Aspekt der Netzdienlichkeit eingesetzt werden. Der Ausbau anderer Lösungswege, wie beispielsweise Power-to-Gas oder elektrothermischer Speicher gewinnt daher für die Zukunft immer mehr an Bedeutung", erklärte Vogel in ihrem Gastkommentar ("Der lange Atem zum Innovation Leader der Energiezukunft").
Österreich als "grüner Stromspeicher"
Als Wasserkraftland sei Österreich der "grüne Stromspeicher Europas", so Christian Bauer, Leiter des Instituts für Energietechnik und Thermodynamik der Technischen Universität (TU) Wien, im Gespräch mit APA-Science. Ist ein Wasserkraftwerk einmal errichtet, laufe es über Jahrzehnte praktisch CO2-neutral. Das Wachstum bei Photovoltaik, Windkraft und E-Mobilität bringe allerdings neue Anforderungen für die elektrischen Netze mit sich.
Für Bauer erhöht das die Bedeutung hydraulischer Pumpspeicherkraftwerke, die Strom erzeugen oder ihn durch Umwandlung speichern können, je nachdem ob ein Überschuss oder Bedarf an Strom herrscht. Das Prinzip: Wird Strom benötigt, fließt Wasser vom Oberbecken in das Unterbecken und treibt dabei eine Turbine an. Diese treibt wiederum einen Generator an und erzeugt so Strom. Herrscht ein Überschuss an Energie, wird das Wasser in das Oberbecken gepumpt, um es später wieder zur Stromerzeugung zu nutzen.
"Weltweit basieren 99 Prozent der Stromspeicherung auf der hydraulischen Speicherung", so Bauer, der darin weiterhin eine Schlüsseltechnologie innerhalb der Energiewende in Europa sieht. Hydraulische Pumpspeicheranlagen haben aufgrund ihrer mechanischen Trägheit eine Anfahrzeit von ca. ein bis vier Minuten. Sie seien daher für längere Zeiträume bis hin zu mehreren Tagen - abhängig von der Kapazität der Wasserspeicher - gut als Energiespeicher geeignet.
Für den kurzfristigen Speicherbedarf von Strom-Überschüssen könnten neuere Technologien wie Akkumulatoren, Schwungradspeicher oder Superkondensatoren ("Supercaps") sorgen. Kombiniert man Pumpspeicherkraftwerke mit solchen schnellen Speichern, könnten sich beide Technologien "hervorragend ergänzen", ist Bauer überzeugt. Grundsätzlich gehe es nicht um ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander aller Speichertechnologien. Genauer untersucht wurde dieser ganzheitliche Ansatz im soeben (Mai 2017) abgeschlossenen COMET-K-Projekt "Green Storage Grid" (GSG) unter der Leitung der TU Wien, dessen Ergebnisse nun ausgewertet werden.
Drei Systeme von Wärmespeichern
Unter die Lupe genommen wurden im GSG-Projekt etwa die verschiedenen Arten, thermische Energie zu speichern, wobei man im wesentlichen zwischen drei Systemen unterscheidet. Sogenannte sensible Wärmespeicher speichern Wärme über einfache Temperaturänderung, ähnlich einem Warmwasserspeicher, erklärt Andreas Werner, ebenfalls vom Institut für Energietechnik und Thermodynamik: "Seitens unseres Instituts wurden dazu eigene Wirbelschicht-Wärmetauscher entwickelt, die die Nutzung von preisgünstigem, Hochtemperatur-beständigem Schüttgut wie z.B. Sand erlauben."
Weiterentwickelt wurden im Zuge des Projekts auch "Latentwärmespeicher". Das sind Systeme, bei denen die Zufuhr (Einspeicherung) thermischer Energie mit einem Schmelzvorgang einhergeht. Lässt man die Materialien wieder erstarren, geben sie die Wärme wieder ab. Die große Herausforderung sei hier, die Entwicklung zyklenstabiler und kostengünstiger Verbindungen, die in Kombination mit der Speicherstruktur hohe Lade- und Entladeleistung bei hoher Speicherkapazität ermöglichen.
"Die dritte Variante, die intensiv bearbeitet wurde, sind die sogenannten thermochemischen Speicher", so Werner. Ein Beispiel dafür sei das abwechselnde "Brennen" und "Löschen" von Kalk. Bei dieser und vergleichbaren chemischen Reaktionen kann Wärme beinahe beliebig oft ein- und wieder ausgespeichert werden.
Mithilfe all dieser Entwicklungen sollen laut dem TU-Professor "Power-to-heat-to-power"-Konzepte zur Marktreife geführt werden. Dabei wird überschüssiger Strom in Hochtemperatur-Wärme umgewandelt und in den neu entwickelten Speichern gepuffert. Sobald der Strommarkt wieder Bedarf zeigt, wird aus dieser gespeicherten Hochtemperaturenergie wieder Strom erzeugt. "Wenn weiterhin entsprechende Forschungsanstrengungen unternommen werden, dann wäre die Umsetzung einer sichtbaren Anzahl an Großprojekten in ungefähr fünf Jahren realistisch", schätzt Werner.
Saisonale Speicherung wird wichtiger
Nachdenken muss man aber vor allem auch über längerfristige, saisonale Speicher, sagen Experten. Besonders im Winter steht das Energiesystem auf dem Prüfstand, wenn zunehmend auf Erneuerbare wie Solarenergie und Wind gesetzt wird. "Da sieht man schnell, dass im Winter sowohl auf der Wärme- wie auch auf der Stromseite die herkömmlichen Energieträger noch das System in Schwung halten", sagte Christian Fink von AEE Intec - Institut für Nachhaltige Technologien (ein Mitglied des Forschungsnetzwerks ACR - Austrian Cooperative Research) im Gespräch mit APA-Science.
Zukünftig werde man es eher mit einem Überhang an Wärme zu tun haben. "Wärme und Strom wird im Sommer, an manchen Tagen zu Mittag einfach relativ wenig kosten. Ganz im Gegenteil, wenn jemand ins Netz einspeist, wird es negative Preise geben", so Fink. Deshalb werde saisonale Speicherung zunehmend interessant. Generell ist Wärme leichter zu speichern als Strom, wo nach wie vor Forschungs- und Entwicklungsbedarf bestehe. "Bei Wärme ist man heute näher an einer realistischen Transferierung von Energie vom Sommer in den Winter."
Von zentraler Bedeutung sei es, dass man zukünftig nicht versuche, "zwangsläufig jeden Energieverbraucher, auch wenn es Wärme ist, mit elektrischem Strom abzudecken". Das führe etwa im Winter zu einem zusätzlichen Peak im Strombedarf, mit weiteren Belastungen für die Netze und Erzeugungsanlagen. Außerdem müssten für wenige Betriebsstunden fossile Erzeugungsformen herhalten, was generell sehr teuer für die Gesellschaft sei. Fink: "Unser Ansatz ist eher zu schauen, Wärmeverbraucher, wenn es irgendwie möglich ist, mit Wärmetechnologie zu versorgen. Denn Wärme kann man einfach besser speichern als Strom."
Als saisonale Speicher bereits im Einsatz sind Großwärmespeicher, die sommerliche Überschuss- bzw. Abwärme speichern und im Winter verfügbar machen. Größere Projekte mit Erdbeckenspeichern bestehen etwa bereits in Dänemark und Deutschland. Alternativen dazu wären kompakte Wärmespeicher, die auf Materialien mit höheren Energiedichten setzen als Wasser, zum Beispiel Salze, Zeolith oder Silikagel. "Theoretisch sind die Energiedichten im Vergleich zu Wasser bis zum Faktor 8 höher", so Fink.
Im Vorjahr hat AEE Intec das EU-Projekt COMTES abgeschlossen, bei dem drei verschiedene Technologien für die saisonale Speicherung von solarer Wärme parallel von drei Industrieunternehmen und sieben Forschungseinrichtungen untersucht und bis zu Testanlagen im Labor weiterentwickelt wurden. "Dabei ist es uns gelungen, einen Wärmespeicher mit Faktor 3 im Vergleich zu Wasser volumsbezogen in einem Real-Size-Versuch bei uns im Labor umzusetzen", stimmen die Ergebnisse Fink zuversichtlich, dass entsprechende markttaugliche Anwendungen zum Beispiel auf Basis des Alumosilikates Zeolith in wenigen Jahren folgen könnten.
Speicherinitiative erarbeitet Empfehlungen
Um den Status Quo und künftige Potenziale von Speichertechnologien und Einsatzbereiche festzustellen, hat der Klima- und Energiefonds 2015 die "Speicherinitiative" gestartet (siehe Abschlussbericht). Dabei behandelten im Rahmen einer ersten Phase 144 Experten in sechs Arbeitsgruppen verschiedene Fragestellungen unter dem Leitszenario "Fahrplan für ein CO2-armes Europa 2050" der EU-Kommission aus dem Jahr 2011. Eine zentrale Erkenntnis der Speicherinitiative ist, dass "nur Speicher künftig die Möglichkeit bieten werden, lokal erzeugte Energie (Strom, Wärme) möglichst vollständig vor Ort zu nutzen."
Federführend beteiligt an der Initiative war auch Christian Fink: "Wir haben das in der Phase 1 sehr stark von der technologischen und von der Marktseite behandelt. Das ist alles relativ klar und auch die Aktivitäten liegen auf der Hand." Dazu heißt es etwa in dem Bericht: "Neben der Technologieentwicklung sollte die Praxiserprobung virtueller Stromspeicher (Schwarmlösungen, Quartierspeicher, Vehicle-to-Grid), Speicher in Industrieanwendungen und die saisonale Speicherung im Wärmenetz über Großspeicher im Vordergrund stehen. Begleitend ist eine Anpassung des geltenden Rechtsrahmens für Speicher erforderlich." Für eine Phase 2 wäre es nun sehr wichtig, "Möglichkeiten oder Budgetmittel für die in der Phase 1 als Ergebnis definierten notwendigen Maßnahmen für Österreich anzugehen", so Fink.
Der Ruf nach mehr Fördermittel ist ein keineswegs ein einsamer: "Nur durch Weiterentwicklung aller Speichersysteme und durch Forschungsanstrengungen zu deren Integration in bestehende Strukturen wird es gelingen, die Klimaschutzziele auch nachhaltig zu erreichen", sagt auch TU-Professor Bauer.
Von Mario Wasserfaller / APA-Science