Energiewende - und keiner merkt es?
Smart Grids, Blockchain, neue Player und innovative Dienstleistungen: Die digitale Transformation hat auch die Energiebranche voll erfasst. Für den Privatkunden ist unterdessen noch nicht viel spürbar. Der Strom kommt aus der Steckdose und einmal im Jahr flattert eine Rechnung ins Haus. Welche Veränderungen in den nächsten Jahren in den Haushalten tatsächlich ankommen werden, hat APA-Science beim Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur, Peter Traupmann, nachgefragt.
E-Mobilität und Smart Home kombiniert mit einer Vielzahl an Tarifen – das sind die Hauptzutaten für den Cocktail an Neuerungen, die die heimischen Konsumenten dem Experten zufolge mittelfristig beschäftigen werden. Gerade der Bereich smarte Haushaltssteuerung biete viel Potenzial. "Es werden Systeme Einzug halten, die eine individuelle Steuerung – angepasst an den tatsächlichen Bedarf – ermöglichen. Ich probiere das selbst gerade aus und es bringt ein Viertel bis ein Drittel an Einsparung. Das darf man nicht unterschätzen", so Traupmann. Heute regle man die Temperatur meist für die ganze Wohnung, künftig werde die Heizung für jeden Raum individuell gesteuert. Smarte Anwendungen wie diese sollten sich in den kommenden fünf Jahren zu Standard-Produkten entwickeln und weite Verbreitung finden.
Vernetzte Geräte
Die Entscheidungsgrundlage für eine Veränderung des Nutzungsverhaltens könnten künftig die Haushaltsgeräte bieten, Aggregate sich sogar selbst optimieren. "Bei Permanentverbrauchern wie Kühlschrank oder Boiler werden die Geräte smart", erklärte der Manager. "Eine Tiefkühltruhe mit integriertem Chip kann den Verbrauch selbst messen und kommunizieren. Die Daten werden an eine zentrale Verbrauchsmesseinheit im Haus übermittelt, damit man weiß, wofür man die Energie "ausgegeben" hat. Das bietet einen Überblick und erlaubt Vergleiche." Der Tiefkühler könnte auch das Lademanagement von sich aus steuern und sich den günstigsten Tarif zu Schwachlastzeiten holen.
Es sei zudem zu erwarten, dass diese Geräte mit einem "Strom-Guthaben" verkauft werden. "Das heißt, man erwirbt eine Tiefkühltruhe und bekommt den Strom für fünf Jahre mitgeliefert", prognostizierte Traupmann. Sowohl die Strom- als auch die Wärmezähler würden eher an Bedeutung verlieren, weil die Aggregate selbst Zähler integriert hätten. Nützlich seien Smart Meter aber, um den Lastgang verfolgen und Verbrauchsvergleiche anstellen zu können. "Der Vorteil für den Netzbetreiber besteht im Verhaltensmuster, das sich aus den kumulierten Daten ergibt. Darauf kann er reagieren, das Netz besser managen und letztendlich maßgeschneiderte Tarife anbieten", erläuterte der Experte.
Tarife nach Maß
Das könnte beispielsweise ein günstigster Tarif für das Ferienhaus sein, das man nur am Wochenende nutzt – eine Zeit, zu der es ohnehin genug Energie im Netz gibt. "Wir leben in einer sehr heterogenen Gesellschaft, deshalb wird die Tariflandschaft sehr bunt werden", ist Traupmann überzeugt. Einen Vorteil hätten dabei "smarte" Kunden, die sich mit diesen Angelegenheiten auskennen und deshalb ihr Energiemanagement optimieren könnten. "Die werden sich die günstigsten Tarife vielleicht automatisiert suchen lassen, haben smarte Geräte installiert und werden auch eher zu den E-Mobilitäts-Usern gehören." Haushaltskunden, die dazu nicht in der Lage sind – sei es vom Einkommen oder der Bildung her – oder sich um nichts kümmern wollten, würden nach wie vor mit einem Standardtarif versorgt. "In den nächsten fünf Jahren wird ein Viertel bis ein Drittel der Konsumenten in der Lage sein, die neuen Systeme zu nutzen", schätzt Traupmann.
Die Digitalisierung insgesamt führe eher zu einem höheren Verbrauch, der durch Effizienz da und dort wieder eingespart werde. Er verweist auf den Rebound-Effekt, wenn man beispielsweise den alten Kühlschrank nicht wirklich austausche, sondern ihn in die Garage als Getränkekühlschrank stelle und dadurch letztendlich zwei Kühlschränke besitze. "Ein großes Wachstum in der Branche beim Energieverbrauch sehe ich aber nicht wirklich. Es ist ein Umverteilungskampf und Verdrängungswettbewerb", so Traupmann.
Verbrauchsplus durch E-Antrieb
Das "wirklich große neue Feld des Energieverbrauchs auf dem viele spielen wollen", sei aber die E-Mobilität. "Da kann sich der Energieverbrauch verdoppeln. Deshalb werden das die heiß umkämpften Kunden." E-Mobilität sei aber nicht auf das Auto beschränkt, verwies der Experte unter anderem auf E-Fahrrad oder E-Moped. Das Elektroauto werde sich jedenfalls rasch durchsetzen, weil die Preise sinken und die Fahrzeuge für den Normalverbraucher bestens geeignet seien – auch von den Reichweiten her.
"Wer am Land jeden Tag zehn bis 20 Kilometer in die Arbeit fährt, wird mit einem E-Mobil günstig fahren. Das muss noch in den Köpfen verankert werden", sagte Traupmann. Bei weiteren Distanzen werde der Verbrennungsmotor weiterhin ein Thema sein – kombiniert mit einem E-System, also beispielsweise Hybrid-Modellen. Im städtischen Bereich könnte sich eine Kombination aus verschiedenen Sharing-Modellen plus öffentliche Verkehrsmittel und für längere Fahrten Mietmodelle durchsetzen. Hier gehe der Trend dazu, Verbrennungsmotoren zu verbannen. "Sie sind durch den Stop-and-go-Verkehr innerstädtisch ja auch höchst ineffizient."
Neue Player am Markt
Ein Teil des höheren Energieverbrauchs durch E-Mobilität wird künftig wohl durch den verstärkten Trend zur Eigenversorgung abgedeckt. Im Neubau entwickle sich der Bau von Eigenversorgungsanlagen mit entsprechender Speichermöglichkeit zum Standard. Der Handel der Kunden untereinander – etwa wenn die PV-Anlage überschüssigen Strom produziert – könnte aber noch länger auf sich warten lassen. "Die rechtlichen Voraussetzungen werden voraussichtlich nicht in den kommenden fünf Jahren, eher in zehn Jahren geschaffen", so Traupmann. Ungemach droht den traditionellen Versorgern kurzfristig eher von branchenfremden Playern, die auf den Markt drängen. So könnten der Lebensmittelhandel, die Post oder Amazon und Co. Strom verkaufen. "In Berlin gibt es schon ein paar hundert Stromanbieter, von denen kaum einer ein Netz oder eine Erzeugeranlage hat." Die Energiebranche selbst sieht sich jedenfalls nicht als Profiteur der Digitalisierung, ergab auch eine Studie der Energieagentur.
Wie man dem entgegen tritt, wird bei vielen EVUs derzeit überlegt. Der Trend geht dahin, die Kunden mit Dienstleistungen und Zusatzangeboten an sich zu binden. Über Beteiligungsmodelle könnten private Anlagen mitbetreut und damit Teile von einem Großkraftwerk werden. "Manche versuchen die Kunden über Gegenverrechnungsmodelle zu binden und in ihr System zu integrieren", erklärte Traupmann. Denkbar seien auch Mobilitätsmanagement oder Contractingsysteme sowie Partnerschaften mit dem Gerätehandel. "Einige sind bei diesen Überlegungen sehr weit, manche grübeln noch. Viele sind mit internen strukturellen Veränderungen beschäftigt. Aber das Rittern um die Partner, wer ist dabei und wer nicht, läuft schon. Da wird sich sehr viel tun."
Von Stefan Thaler / APA-Science
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