Wo der Mensch ins Spiel kommt: Soziale Innovation in der Energiepolitik
Um die Energiewende zu erreichen, muss der Mensch - der einzelne Endverbraucher ebenso wie bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Branchen in der Wirtschaft - mitwirken. Wie soziale Innovationen und Transitionsprozesse den Energiewandel begünstigen und beschleunigen können, erklären Theresia Vogel, Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds, und Sigrid Stagl, Leiterin des Instituts for Ecological Economics an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien, im Gespräch mit APA-Science.
Beide Expertinnen nahmen an der Arbeitsgruppe "Transitionsprozesse und soziale Innovationen" teil, einem der sechs Schwerpunktthemen der neuen Energieforschungs- und Innovationsstrategie des Infrastrukturministeriums (BMVIT), welche gemeinsam mit dem Energie- und Klimafonds erarbeitet wurde (siehe auch der Gastkommentar von René Albert). Soziale Innovationen sind "neue Praktiken zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen, die von betroffenen Personen, Gruppen und Organisationen angenommen und genutzt werden", so eine Definition von Josef Hochgerner vom Zentrum für Soziale Innovation (ZSI), der der Arbeitsgruppe vorstand.
Menschen wollen involviert werden
Soziale Innovationen seien in der Energie nichts Neues, Stichwort Bürgerbeteiligung und Crowdsourcing, betont Vogel. "Wir wissen aber noch zu wenig darüber, wie ein kreativer Schöpfungsprozess überhaupt entsteht und welche Begegnungsräume es dafür braucht. Welche Aspekte muss man berücksichtigen? Wir wollen ja kein Top-down-Diktat, sondern Bottom-up-Methoden", so die Expertin. Noch sei die Energiewende quasi ein "Luxus- und Elitenthema: Die Leute, die mitmachen, sind extrem engagiert und interessiert", meint sie. Die Herausforderung bestehe darin, die Neugier und Beteiligung der breiten Masse zu wecken.
Als Beispiel im Bereich Smart Grids nennt sie die Wohnanlage "Rosa Zukunft" in Salzburg, wo Benutzerfreundlichkeit groß geschrieben werde. "Da geht es auch um das Wohlbefinden der Menschen. Es wurde ein neuer Job geschaffen, eine 'Architekturpsychologin', so eine Art 'Kümmerer' - das ist eine neue soziale Funktion. Manchmal braucht es eben eine Übersetzung zwischen den Betroffenen und jenen, die die Projektideen liefern", sagt Vogel. Überhaupt habe man beim Energie- und Klimafonds sehr gute Erfahrungen mit Smart City-Projekten gesammelt. "Die Leute lassen sich darauf ein, sind neugierig. Etwa in der Smart City Wien, wo spätere Bewohner in der Planungs- und Konzeptionsphase eingebunden waren, auch in Villach oder St. Pölten - dort ist unter anderem ein Glücksforscher beteiligt", erläutert sie.
Umweltschutz ohne Aufwand
Damit Menschen auf umweltfreundliche Alternativen umsteigen, müsse man es ihnen leicht machen. "Wie kann ich Leute beteiligen - an Energiesparvorhaben, an Carsharing-Modellen, es gibt ja auch Aggregate-Sharing oder gemeinsam genutzte Rasenmäher. Wie muss ein Wohn- und Arbeitsumfeld gestaltet sein, damit solche Modelle genutzt werden? Das ganze muss komfortabel sein und wenig Aufwand bedeuten", betont Vogel.
"Das Ziel soll gleich bleiben, etwa wie komme ich von A nach B - aber der Weg dorthin wird sich verändern", veranschaulicht Stagl. Das könne durch Elektromobilität geschehen, aber auch durch neue Handlungsmöglichkeiten: "Wenn sich am Land etwa Leute auf einmal - womöglich über eine technische Plattform - zu Fahrgemeinschaften organisieren."
Nicht zielführend sei es, Menschen etwas zu verbieten oder den Verzicht in den Vordergrund zu stellen, meint sie. "Stattdessen geht es um das Aufzeigen von attraktiven Optionen, die gleichzeitig die Umwelt schützen." Beim Thema Mobilität etwa sollte sich jeder idealerweise in jeder Situation überlegen, welcher Transportmodus jetzt gerade am besten passe. Sie sieht die Zukunft in Energiediensten. "Bei der Mobilität heißt das etwa: Carsharing und der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes in Kombination mit Bewusstseinsarbeit, dass auch Gehen und Radeln alternative Fortbewegungsmittel sind anstatt eines Autos für jeden Einzelnen."
Zu wenig wisse man noch über Milieus, Subkulturen, und wer in dem Bereich überhaupt etwas vorantreiben könnte, meint Vogel. "Bei sozialen Innovationen geht es viel um Lebensstil und Rebound-Effekte (Anm.: Durch gesunkenen Energieverbrauch spart man Geld, kauft aber dafür weitere Geräte, die wiederum Energie verbrauchen. Unter Umständen ist die Bilanz sogar negativ). Hier bräuchte es noch viel Grundlagenrecherche und Versuche im echten Leben, meint Vogel, die übrigens an der Technischen Universität Wien Bauingenieurwesen studiert hat.
Wer profitiert von der Energiewende?
Derzeit sind Häuslbauer und Grundstücksbesitzer klar im Vorteil, wenn sie auf Erneuerbare umsteigen möchten, und können Fördersummen für Wärmepumpen oder Photovoltaikanlagen lukrieren. "Solche Anlagen setzen voraus, dass man Platz dafür hat - wo bleiben hier die Mieter?", zeigt Vogel eine grundlegende Ungerechtigkeit auf. Während Vermögendere eher die Möglichkeit haben, Energie-Selbstversorger zu werden, in Grünlage zu wohnen oder den Wohnsitz leichter zu wechseln, bliebe Wenigverdienern oft keine Wahl. "Wer am Gürtel wohnt, hat eine schlechtere Umweltqualität. Er würde von Elektroautos profitieren, muss aber nicht notwendigerweise selber eines fahren."
Soziale Ungleichheit spiele in der Umweltpolitik eine große Rolle. Ungleiche Vermögensverteilung habe Auswirkungen auf umweltpolitische Maßnahmen, erläutert die Ökonomin Stagl, weil Umweltschutz nicht durchsetzbar sei, wenn er die sozial Schwächeren treffen würde. Sie plädiert deshalb für eine Umverteilung von Vermögen und die Ausweitung von Förderungen für Erneuerbare, etwa auch auf Mehrfamilienhäuser.
Eine Frage, mit der man sich - wie bei jeder Veränderung - auseinandersetzen müsse, sei jene nach den Profiteuren der Energiewende. "Klarerweise profitieren etwa Investmentfonds, die sich bei Anlagen eingekauft haben", stellt Vogel fest. Vor wenigen Jahren war Energieversorgung noch rein in staatlicher Hand. "Das hat sich geändert. Wie wird es künftig aussehen? Sind Regulierungen notwendig?", so die Überlegungen. Die Politik könne über Steuern, Grenzwerte und regulatorische Rahmenbedingungen zwar lenken. "Die Erfahrungen der Vergangenheit können in diesem Bereich aber nicht in die Zukunft übertragen werden, weil alles vollkommen anders ist", weist Vogel auf die herausfordernde Rolle der politisch Verantwortlichen hin.
"Müssen die breite Masse erreichen"
Derzeit macht der Strombedarf ein Fünftel des Energieverbrauchs aus. Die Annahme ist, dass der Strombedarf steigen wird, allein durch die Umstellung fossil betriebener auf elektrische Fahrzeuge. Während Energieeffizienz, also der möglichst sinnvolle Einsatz von Energie, natürlich eine prominente Rolle einnimmt, ist Stromsparen an sich kein wirkliches Thema, "höchstens, um das eingesparte Geld woanders auszugeben", meint Vogel. Um alle auf fossiler Energie basierenden Energieträger einzusparen - durch den Umstieg auf Erdgas, Biogas, Wasserstoff, Power-to-gas etc. -, bedürfe es gewaltiger Anstrengungen. Vogel: "Erreichen müssen wir das Mittelfeld - nicht die besonders Umweltbewussten, nicht diejenigen, denen die Umwelt völlig egal ist, sondern die breite Masse dazwischen."
Damit eine 100-prozentige Dekarbonisierung gelingt, brauche es außerdem "Leitplanken", die Orientierung böten, erklärte Stagl. "Aber in Österreich gibt es keine festgelegten Emissionspfade jenseits von 2020 - das bedeutet, wir haben keine konkreten Vorgaben und Zahlen zur CO2-Reduktion, weder kurz- noch langfristig. Und leider muss man auch ganz offen sagen: Die EU-Vorlage für 2030 ist weniger ambitioniert als das, was wir hierzulande in den vergangenen Jahren bereits geschafft haben. Das ist nicht Paris-kompatibel", so die Ökonomin, die die Alpenrepublik weitaus lieber in einer Vorreiterrolle sähe.
Generell werden fossile Energieträger nach wie vor auf vielfältige Weise unterstützt (siehe auch Hehre Energieziele - und versteckte "umweltschädliche Subventionen"). Was in den 50er-Jahren sicher seine Berechtigung hatte - damals stand Armutsbekämpfung durch Schaffung von Wachstum und Beschäftigung an vorderster Stelle - sei nun einfach nicht mehr sinnvoll, zeigt sich Stagl überzeugt. Der Energieverbrauch hänge vom Wirtschaftssystem ab. Alles, was als wirtschaftspolitischer Erfolg angesehen werde, werde in Relation zum Wirtschaftswachstum gesetzt. "Etwa Wohlbefinden und BIP-Wachstum. Auch die Annahme, dass mehr Wachstum zu besseren Technologien führt, mit denen man die Umwelt stärker schützen kann - mittlerweile weiß man, dass das nicht mehr stimmt."
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science