KI im Bildungssystem: „Größte Disruption seit Erfindung des Internets“
Chatbots, maschinelles Lernen, automatisierte Leistungs- und Lernempfehlungen – Künstliche Intelligenz (KI) stellt die klassische Welt der Bildung auf den Kopf. APA-Science hat sich unter Hochschulen und Forschungseinrichtungen umgehört, wie mit dieser neuen Situation und dem Transformationsdruck umgegangen wird.
Noch scheint das Pendel zwischen Chancen und Risiken hin- und herzuschwingen. Einerseits braucht es eine entsprechende KI-Kompetenz bei Lehrenden und Lernenden, die notwendigen Tools und Infrastrukturen sowie die Klärung rechtlicher und ethischer Aspekte, etwa bei der Bias- und Stereotyp-Problematik. Andererseits tun sich gänzlich neue Möglichkeiten auf, Lehr- und Lernprozesse zu individualisieren und zu verbessern. Darüber hinaus gibt es aber viele weitere Aspekte, die laut den Verantwortlichen geklärt und berücksichtigt werden müssten.
Die Bedeutung des kritischen Denkens als „Werkzeug der Zukunft“ strich Christa Schnabl, Vizerektorin an der Universität Wien, hervor. Bildung sei mehr als das bloße Hantieren „mit Maschinen“ und ermögliche das Heranreifen zu einem selbstständig denkenden und selbstbestimmt agierenden Menschen. Man habe Guidelines für den Umgang mit KI in der Lehre herausgegeben, es gebe aber auch eine Mitverantwortung der Studierenden. Klar sei, dass nur ein „human in the loop“ qualitativ hochwertige, kreative und verantwortungsvolle Ergebnisse sicherstelle.
Lerninhalte an Lernbedürfnisse anpassen
Lerninhalte könnten mittels KI beispielsweise so an die persönlichen Lernbedürfnisse angepasst werden, dass Schülerinnen und Schüler in ihrem eigenen Tempo vorankommen, erklärte Martin Bauer, Chief Digital Officer im Bildungsministerium. An Pilotschulen würden entsprechende didaktische Potenziale bereits ausgelotet. Zur Stärkung der KI- und Datenkompetenzen von Studierenden und Lehrenden gebe es Schulungsprogramme, Lehrveranstaltungen und frei zugängliche Online-Kurse. Letztere würden etwa auf der nationalen MOOC-Plattform iMooX.at angeboten – unter anderem ein Kurs, der zur Gänze von KI erstellt worden ist, um die Möglichkeiten und Machbarkeiten zu reflektieren, so Martin Ebner von der TU Graz.
Künftig könnten KI-gesteuerte Chatbots Studierende individuell im Lernprozess unterstützen, führte das Management Center Innsbruck (MCI) an. Lehrende wiederum würden durch den Einsatz von KI im Beurteilungsverfahren profitieren. Dafür brauche es aber entsprechende Kompetenzen. „Mit KI umgehen und nicht KI umgehen!“, forderte auch Andreas Breinbauer, Rektor der Fachhochschule (FH) des BFI Wien. Er verwies auf die „größte Disruption des Bildungsbereiches seit der Erfindung des Internets“.
Folgerichtig ist auch der Vorschlag zur Schaffung eines nationalen KI-Kompetenzzentrums durch den Rat für Forschung, Wissenschaft, Innovation und Technologieentwicklung (FORWIT). Dieses Zentrum soll über umfangreiche Expertise und Ressourcen verfügen, um unter anderem die „KI Literacy“ in der Gesellschaft zu fördern – und insbesondere Lehrkräfte und Schulen zu unterstützen.
Lehrkräfte setzen KI-Tools noch selten ein
Aktuell werden KI-Tools nur von einem eher kleinen Teil – etwa 10 bis 15 Prozent – der Lehrkräfte bewusst im Unterricht eingesetzt, verwies Christoph Helm von der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz auf entsprechende Studien. Rund 25 Prozent empfinden die Nutzung digitaler Medien im Unterricht sogar als (eher) belastend, erläuterte der Leiter der „School of Education“. Dennoch würden immer mehr Lehrkräfte die Potenziale von KI-Tools, insbesondere als Lernhilfen, erkennen.
Im Idealfall gebe es Synergien, wenn etwa die Lehrkraft ihre Erfahrung mit den Besonderheiten der Schülerinnen und Schüler einbringt und die KI basierend auf den Unterrichtsplänen Feedback darüber gibt, ob der eingeschlagene Weg zum Erfolg führt, ergänzte Tobias Ley von der der Donau-Uni Krems. Ähnliche Synergien könnten sich ergeben, wenn intelligente Tutorensysteme im Unterricht eingesetzt werden, die Lehrkraft aber über den Lernstand ihrer Klasse informiert wird, um auf individuelle Probleme eingehen zu können.
„Schummeln“ wurde deutlich leichter
Diskutiert wird häufig auch das „Schummeln“ mit KI. Mit den frei verfügbaren KI-gestützten Technologien habe sich das Problem der Vortäuschung von Leistungen wesentlich verschärft, heißt es von Fachleuten der Universität Innsbruck. Lehrkräfte könnten allerdings künftig verstärkt als Wegweiser fungieren, die Lernende dabei begleiten, ihre individuellen Lernprozesse zu steuern. Bei der Leistungsbeurteilung würden mündliche (Zwischen-)Präsentationen mehr Bedeutung bekommen und der Prozess der Erstellung einer Abschlussarbeit stärker in den Fokus rücken als nur das Ergebnis, befand Lisa David von der FH St. Pölten.
„KI sichtet, dichtet, richtet“ ist Martina Gaisch von der FH Oberösterreich in Hagenberg überzeugt. Deshalb würden Studierende, Forschende und Lehrende technisches Know-how sowie ein kritisches Bewusstsein für die Grenzen und Risiken von KI benötigen. Ohne diese Fähigkeiten bestehe die Gefahr, den technologischen Wandel zu verschlafen oder KI unreflektiert zu übernehmen. Denn eines bleibe bestehen: „A fool with a tool is still a fool.“