"Nahaufnahme - Forschung im Kunsthistorischen Museum"
Ein Museum gilt manchmal als beschaulicher, vielleicht sogar "verstaubter" Ort, an dem Kunstwerke wohlgeordnet präsentiert sind, von denen man "eh schon alles weiß". Ein Blick hinter die Kulissen zeigt aber, dass dieser Eindruck täuscht: Das Kunsthistorische Museum ist Österreichs größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung für kunsthistorische Fächer. Hier arbeiten KuratorInnen, RestauratorInnen und NaturwissenschaftlerInnen an der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Dokumentation der herausragenden Sammlungsbestände.
Die Ägyptisch-Orientalische Sammlung betreibt etwa "Ausgrabungen im Museum" und beschäftigt sich mit Funden von Feldarbeiten, die vor dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr publiziert werden konnten. Besonderes Augenmerk liegt auf der Kontextualisierung und Visualisierung der Funde und Befunde. In Kooperation mit der TU Wien wurde ein 3D-Modul entwickelt, in dem sich heute der Besucher interaktiv bewegen kann.
Die Antikensammlung beherbergt Funde aus den frühesten Grabungsjahren der österreichischen Arbeiten in Ephesos. In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Archäologischen Institut, Lizenzträger der Grabung, wird zur Zeit der Fries des Theaters von Ephesos erforscht. Die überaus hohe Qualität der Arbeiten lässt Verbindungen zu Rom vermuten. Farbspuren an den Reliefs wurden gemeinsam mit dem Naturwissenschaftlichen Labor des Kunsthistorischen Museums und der IAEA analysiert und ergeben einen völlig neuen Eindruck einer bunten, lebendigen Bilderwelt.
Die bedeutenden Bestände griechischer Vasen der Antikensammlung werden in Kooperation mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in einem internationalen Corpus vorgelegt. Zur genauen Dokumentation dienen hier 3D-Laser-Scans, die die TU Wien durchführt.
Die Gemäldegalerie hat in Kooperation mit der Getty Foundation im Rahmen der Getty Panel Initiative das Projekt begonnen, die Tafelbilder Pieter Bruegels des Älteren zu untersuchen. Der Wiener Bestand ist ja der bei weitem größte weltweit. Der Fokus liegt auf der Analyse der strukturellen Beschaffenheit der Tafelbilder und ihrer Auswirkung auf den Erhaltungszustand der Gemälde. Die Ergebnisse der technischen Analysen werden auch der kunsthistorischen Forschung neue Ansatzpunkte ermöglichen.
Die Gemäldegalerie gehört auch zu einer Gruppe von acht europäischen und amerikanischen Sammlungen, die in einer 2009 anlaufenden Pilotphase des Projektes "Cranach Digital Archive" (CDA) ihre Bestände an Cranach-Gemälden digital zu erschließen begannen. Das Archiv, das von der Andrew Mellon Foundation New York großzügig finanziell unterstützt wird, stellt für Forschung und Lehre ausführliche Foto- und Textdokumentationen zur Verfügung.
In Zusammenarbeit mit dem Naturwissenschaftlichen Labor im Haus werden die Gemälde Tizians fortwährend intensiv untersucht. Dabei werden Technologien wie Röntgen, Infrarot und Infrarotreflektographie (IR, IRR) angewendet, auch Ultraviolett (UV) gibt Aufschluss über Malträger, Untermalung, Vorzeichnung sowie spätere Übermalungen. Durch die Entnahme von Proben kann der Schichtenaufbau analysiert werden. Gerade Tizians revolutionäre Malweise bietet hier zahlreiche Betätigungsfelder.
Ein ehrgeiziges Ziel verfolgt das Münzkabinett mit dem Projekt ILAC (Image-based classification of Ancient Coins). Für Edelmetallprägungen der römischen Republik soll das System selbständig auf der Grundlage von Digitalbildern der Münzen eine Klassifizierung vorschlagen können. Die etwa 6000 römisch-republikanischen Münzen der Wiener Sammlung bieten als einer der größten Bestände der Welt dafür die ideale Basis.
Unterstützt vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank forschen Münzkabinett und Naturwissenschaftliches Labor auch über die Korrosionserscheinungen von antiken Münzen, nicht zuletzt, um aus den Ergebnissen verbesserte Lagerungsbedingungen zu entwickeln.
Neben Forschungsprojekten zu ausgewählten Musikinstrumenten-Gruppen und zu den Instrumentenmachern am Wiener Hof im 18. und 19. Jahrhundert leistet die Sammlung Alter Musikinstrumente mit den Studien zum Klima und 'Ökosystem Museum' einen Beitrag, der für den gesamten musealen Bereich der Neuen Burg am Heldenplatz relevant ist. Ausgehend von dem aus der Bauzeit stammenden Luftbrunnen werden Konzepte entwickelt, um mit geringstem Energieaufwand bestmögliche klimatische Bedingungen für die ausgestellten Objekte zu erreichen.
Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt ein Projekt zur Erforschung von Dekor und Motiven auf Prunkrüstungen der Wiener Hofjagd- und Rüstkammer. Die Wechselwirkungen und gegenseitigen Beeinflussungen zwischen Rüstungsmachern und Graphikern oder Malern wird in Kooperation mit dem MAK und der Albertina aufgearbeitet.
Eine Auswahl von Forschungsprojekten wie diesen wurde im vergangenen Herbst erstmals in einer Forschungskonferenz im Kunsthistorischen Museum einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Natürlich machen sich auch in unserem Museum Einsparungen und die zunehmend knapperen Budgets bemerkbar. Während Ausstellungen, verkaufte Kataloge und Eintrittskarten wirtschaftliche Erfolge bringen, verursacht die Wissenschaft zunächst Kosten. Forschungsergebnisse und Restaurierungsmaßnahmen sind aber zweifellos unverzichtbare Grundlagen für eine adäquate Vermittlung. Umso bemerkenswerter ist, dass das Kunsthistorische Museum trotz Ressourcenknappheit bisher ein so hohes Level sowohl an der Qualität des Besuchs als auch der Forschung halten konnte. Es bleibt zu wünschen, dass die herausragenden Ergebnisse entsprechend gewürdigt und auch künftig finanziert werden!