NHM: "Kein verlängerter Arm der Schule"
"Wir orientieren uns bei unseren Vermittlungsprogrammen immer am authentischen Objekt", erklärt Getrude Zulka-Schaller, Museumspädagogin im Naturhistorischen Museum (NHM) Wien, "und natürlich auch an dem, was sonst noch im Haus passiert", spielt sie im Gespräch mit APA-Science auf die mit rund 60 Wissenschaftern sehr gut ausgestattete Forschungsabteilung an. Die Sichtbarmachung von Forschung und der Dialog zwischen Forschern und Besuchern ist dementsprechend wichtig.
Im Fokus steht hauptsächlich die Biodiversität, das Suchen, Sammeln, Bestimmen und Einordnen von Arten. Schullehrpläne spielen keine Rolle. "Wir kennen sie natürlich und sehen auch, welche Programme gut gehen und welche weniger", meint Museumspädagogin und Archäologin Iris Ott. "Aber wir sind nicht der verlängerte Arm der Schule, sondern richten uns eher nach dem, was wir gut vermitteln können und wo unsere Stärke liegt", stellt die Museologin, die auch am Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie der Universität Wien lehrt, klar. So sei etwa die aktuelle Sonderausstellung zum Artenschutz, "Das Geschäft mit dem Tod", ein Paradethema für das Museum.
Ausgehend vom konkreten Objekt und vor dem Hintergrund der Sammlungen und Forschungsschwerpunkte wird der Dialog mit dem Besucher gesucht. "Wir setzen auf die personelle Vermittlung", bekräftigt Zulka-Schaller. Darüber hinaus finden sich auch einige interaktive Elemente in der Schausammlung. "Durch Drehen am Steuerrad der 'Zeitmaschine' etwa kann man beobachten, wie sich im Lauf der Jahrmillionen die Kontinente verschieben." Anschaulich funktioniert auch die sogenannte Pferdemaschine: Die Entwicklung des Pferdes wird in vier Zeitschnitten anhand von Animationen vorgeführt, der Besucher kann die Veränderung vom kleinen Urpferdchen bis zum modernen Pferd selbst auslösen. "Wenn sich das Klima ändert, verändern sich die Pflanzen, dann verändert sich auch das Aussehen der Pferde, ihr Lebensraum, ihre Nahrung, ihre Verbreitungsgebiete", so die Biologin.
Interaktivität nicht Maß aller Dinge
Man habe allerdings die Beobachtung gemacht, dass Interaktivität ohne Anleitung nicht wirklich funktioniere. "Dieser 'Hands-on'-, 'Minds-on'-Effekt tritt normalerweise nur ein, wenn ein Vermittler dabei ist. Sind die Besucher sich selbst überlassen, drehen sie zwar aus Spaß am Rad, nehmen sich dann aber nicht die Zeit zu erkennen, was ihnen da eigentlich gezeigt wird", gibt Zulka-Schaller zu bedenken. In Museen und Science Centern sei man gerade dabei zu überlegen, wie sich diese Problematik lösen lasse.
Auch das Naturhistorische Museum ist, was die Vermittlung betrifft, "ein wenig im Umbruch". Derzeit werde ein neuer Aktivitätsraum geplant, denn der alte habe ausgedient. "Wir orientieren uns vor allem im europäischen Raum, zuletzt in Brüssel, was sich in diesem Feld tut", erklären die Fachfrauen. Auch im Linzer Ars Electronica Center hole man sich Ideen.
Ab dem Kindergartenalter werden eine Vielzahl an Führungen, für Schulkinder auch Aktionsführungen sowie Workshops und Mikrotheater angeboten. Spezielle "MitSprache"-Führungen sollen auch jene ansprechen, die mitunter nicht so leicht erreichbar sind. "Sie richten sich an Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache und beziehen sie mit ihrem kulturellen Hintergrund in die Führung ein. Weniger die klassische Wissensvermittlung steht im Vordergrund als das Erfahren: riechen, tasten, etwas tun. Wie heißt dieses Tier in deiner Sprache? Welchen Laut gibt es von sich? Das geht bei Natur-Themen sehr gut", erläutert Zulka-Schaller. Für Sehschwache wurde ein "Blindenpfad" entwickelt.
"Kein Schulunterricht"
Nicht nur Vermittlungsarbeit, auch die Konzeption von Ausstellungen fällt in den Wirkungsbereich der Museumspädagogen. Expertenwissen "von draußen" zu holen, ist dabei selbstverständlich. "Machen wir eine Ausstellung über den Ötzi, holen wir uns Ötzi-Spezialisten", stellt Ott klar. Bei der Sonderausstellung über das Artensterben wiederum waren Naturschutzorganisationen wie der WWF stark beteiligt.
Arbeitsblätter und dergleichen mögen die Akademikerinnen gar nicht. "Wir wollen den Schülerinnen und Schülern explizit andere Zugänge ermöglichen als im Schulunterricht", erklärt Ott. "Das ist wirklich ein großes Ziel. Wir wollen zeigen, dass man über ganz andere Schienen an Informationen gelangen kann", führt Zulka-Schaller weiter aus. So gab es etwa ein Kooperationsprojekt zur Gestaltung von zwölf "Forschungssäulen" zu je einem Forschungsschwerpunkt mit Berufsschülern. "Sie sind durchs Haus gelaufen, haben unsere Wissenschafter interviewt, um sich schlau zu machen. Dann haben sie die Forschungsarbeiten visuell präsentiert, so wie sie sie verstehen und mit der Relevanz, welche diese für ihr alltägliches Leben haben." Eine Gruppe hat etwa ein Theaterstück über eine Schneckenforscherin gemacht, dieses wurde gefilmt und lief dann in der "Säule".
Auch bei der nächsten mit Schülern entwickelten Ausstellung, die gerade vorbereitet wird, spielen diese "Forschungssäulen" eine Rolle. "Wir arbeiten an der 'Zeitreise', dabei wollen wir das Thema Zeit anhand von besonderen Museumsobjekten aufgreifen: Wie kann man Zeit zeigen, wie viele Zeitdimensionen stecken in so einem Objekt?", erklärt die Biologin. Die 60 Schülerinnen und Schüler habe man teils über ein Internet-Recruiting, teils über Schulaussendungen gefunden. Trotz eigenen Social Media-Beraters habe sich gezeigt, dass es schwierig sei, Jugendliche übers Internet - Facebook, Pinterest, Flickr - für solche "ernsthaften" Aktivitäten zu gewinnen. "Facebook ist wie Tratschen, da will ich nichts arbeiten - da müsste man wahrscheinlich ganz neue Formate entwickeln, um die entsprechende Community anzusprechen", meint Ott.
Derzeit läuft eine Zusammenarbeit mit Schülern des Goethe-Gymnasiums im Rahmen des Young Science-Projekts "Rohstoffe und ihre Endlichkeit - The Future we want". Die Erkenntnisse des wissenschaftlich von der Geologischen Bundesanstalt, von Wissenschaftern des NHM sowie der Allianz Nachhaltige Universitäten Österreich begleiteten Projekts werden in einer Ausstellung präsentiert.
Ein Job auf Zeit
Zusätzlich zu den vier angestellten und fachlich breit aufgestellten Museumspädagogen - neben der Archäologin und Biologin sind noch eine Geologin und ein Zoologe fixe Teammitglieder - arbeiten rund 30 freie Dienstnehmer, die zumindest den ersten Studienabschnitt eines naturwissenschaftlichen oder archäologischen Studiums abgeschlossen haben müssen, in der Vermittlungsarbeit. Im Haus werden sie in der theaterpädaogischen Arbeitsweise unterwiesen und erhalten regelmäßig technische sowie fachliche Schulungen. Dennoch ist deren Arbeit für Ott klar ein Nebenjob, den die meisten nach einigen Jahren aufgeben.
Für die Museumspädagoginnen selbst ist Weiterbildung ein Muss. "Das ist eminent wichtig. Es gibt immer wieder Neues. Mittlerweile forschen wir nicht mehr in unseren Fachbereichen, wir forschen im Bereich der Vermittlung und Pädagogik", erklärt Zulka-Schaller. Immer wieder fahren die Fachfrauen daher ins deutsche Wolfenbüttel an die Bundesakademie für Kulturelle Bildung.
Eine berufsbegleitende Ausbildung für Museumspädagogen bietet das Pädagogische Institut des Bundes (PI) Salzburg. Eine theoretische Auseinandersetzung mit der Institution Museum in Form der Museologie offeriert die Museumsakademie Joanneum. "Das ist eine für Österreich einzigartige Ausbildungsstätte, um deren spannendes Programm man uns in Deutschland beneidet", meint Ott.
Ein ideales Museum gibt es für die beiden Expertinnen nicht: "Jedes Haus lebt von seinen Sammlungen, von den Wissenschaftern und der Forschung, die dort geschieht."
Von Sylvia Maier-Kubala/APA-Science
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