Als aus geschlossenen Sammlungen offene Museen wurden
Auf dem weiten Weg der Museen zu den Orten der Wissens- und Wissenschaftsvermittlung, wie sie heute verstanden werden, hat die Forschung immer eine entscheidende Rolle gespielt. Mehr noch: Das Sammeln und das damit einhergehende wissenschaftliche Ordnen des Gesammelten stellt sogar den Ausgangspunkt der Institution "Museum" einerseits und vieler Wissenschaftsdisziplinen andererseits dar. Als Forschungsstätten seien Museen jedenfalls auch heute sehr bedeutsam, zeigte sich die Wissenschaftshistorikerin Marliese Raffler von der Universität Graz im Gespräch mit APA-Science überzeugt.
"Das Museum ist eine Einrichtung des 19. Jahrhunderts. Das heißt, alles, was vorher passiert, können wir nicht als Museum bezeichnen, sondern eher als museale Sammlungen oder Naturalienkammern bezeichnen", so Raffler. Diese Einrichtungen seien in einem Spannungsfeld zwischen Kirche, Hof und Universitäten beheimatet gewesen. Solche Sammlungen entstanden etwa an Klöstern oder wurden von Herrschern betrieben, die sich mit Kuriositäten eingedeckt haben.
Forschung am Objekt hinter verschlossenen Türen
Forschung war nur möglich, wenn der Forschende direkten Zugang zu den Anschauungsmaterialen hatte, die miteinander verglichen werden konnten - egal, ob es sich um Urkunden, Münzen, Pflanzen oder Mineralien handele. Bis ins 19. Jahrhundert hinein gab es in vielen heutigen Bereichen der Naturwissenschaften noch keine Lehrstühle. Die wissenschaftliche Arbeit leisteten oft in anderen Fächern tätige Forscher, die quasi nebenbei private oder wenig institutionalisierte botanische Sammlungen oder Gärten anlegten. Offizielle Funktion und tatsächliche Forschungsarbeit seien damals noch nicht unbedingt deckungsgleich gewesen, so Raffler.
An verschiedenen europäischen geistigen Zentren, wie Prag, Paris oder Wien saßen jeweils wenige Personen, die sich über ihre Tätigkeiten in den jeweiligen Wissensbereichen allerdings bereits intensiv austauschten, enge Kontakte untereinander pflegten und Proben hin und her schickten. Der Forschungsgegenstand waren vor allem die Proben selbst und deren Bestimmung und Einordnung.
Sammlungen gehen in die Öffentlichkeit
"All diese Sammlungen werden dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts institutionalisiert. Es entstehen die großen Museen, Nationalmuseen, usw., die dann auch ein eigenes Gebäude haben, das eben dann für die entsprechenden Sammlungen adaptiert wird. Zudem haben sie auch eine andere Aufgabe, nämlich das Bewahren und Vermitteln der Ausstellungsobjekte mit einer gesellschaftlichen Relevanz", erklärte Raffler. Bis dahin mussten die Exponate nicht für die breite Öffentlichkeit aufbereitet und verständlich präsentiert werden. "Bis auf ein paar Ausnahmen ist davor der Sammler auch gleichzeitig der Betrachter. Man spricht bis dahin auch von einer beschränkten Öffentlichkeit", so die Historikerin.
Dass es zur weiteren Öffnung kam, sei dem zunehmendem Druck geschuldet, den das "bildungswillige Bürgertum" auf die Sammlungsinhaber ausübte. "Auch wir wollen so etwas sehen und daran Anteil nehmen", so fasst die Historikerin den damaligen Tenor zusammen. Als erstes wurden die Gärten für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diese "neue Öffentlichkeit" habe auch sozialgeschichtlich große Relevanz.
Von der "Repräsentation" über die "Belehrung" zur "Partizipation"
In Folge dieser Entwicklung musste man sich Gedanken darüber machen, wie Wissenschaft so präsentiert werden kann, dass sie nicht nur für Kenner der Materie einigermaßen verständlich wird. Es mussten wissenschaftliche Objekte und die Erkenntnisse, die von ihnen abgeleitet werden können, also stringent dargestellt werden - der Besucher sozusagen in gewisse Richtungen gelenkt oder geführt werden. Früher stand dagegen der Fürst oder Forscher im Sinne der "Repräsentation" im Zentrum, der die merkwürdigsten und bedeutendsten Dinge aus der Welt um sich herum anordnete. "Im Museum verändert sich der Blickwinkel. Aus dem Rundumschauen wird eine lineare Bewegung von einem Objekt zum nächsten und von einer Vitrine zur nächsten, um überhaupt zu verstehen, worum es geht", so Raffler. Die Gesamtentwicklung ging in Richtung "Belehrung". Im 20. Jahrhundert und aktuell stehe hingegen nun die Darstellung des wissenschaftlichen Diskurses und die Partizipation im Sinne des Einbeziehens der Besucher weiter im Zentrum.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts veränderten sich allerdings die im Aufschwung befindlichen Naturwissenschaften stark. Die reine Beschreibung und das in eine sinnvolle Reihenfolge bringen der Natur im Sinne einer möglichst vollständigen Klassifikation war nicht mehr der einzige zentrale Anspruch. Die Geschwindigkeit, mit der neue Erkenntnisse gewonnen wurden, erhöhte sich dramatisch. Mit dieser Dynamik konnten die jungen Museen laut Raffler in der Ausstellung nicht ganz mithalten: "Sie können ja nicht auf jede neue Entdeckung sofort reagieren und alles umstellen."
Wenig sichtbare Spitzenforschung
Was das Ausstellerische betrifft, verloren die Museen immer wieder den Anschluss, wissenschaftlich seien die Naturmuseen allerdings durchwegs nicht zurückgefallen, so die Einschätzung der Forscherin. Bis heute hätten Museen immer noch den Vorteil an vielen Untersuchungsobjekten und somit auch an manchen Forschungsfragen näher dran zu sein, als andere Forschungsinstitute. Raffler: "Punkto Forschung sind die alle up to date. Da sitzen überall die Spezialisten, die in ihrem Bereich auch Spitzenforscher sind."
Ein Grund dafür, dass die wissenschaftlichen Leistungen manchmal weniger sichtbar sind, liege in der oft relativ überschaubaren Größe der Einrichtungen, der dünnen Personaldecke und nicht übermäßigen finanziellen Ausstattung. Ein weiterer Punkt sei zudem, dass nicht alle Museen die Möglichkeit haben, ihre Spitzenforschung auch in die Schausammlungen einfließen zu lassen.
Viele ungehobene Schätze
Große nationale oder internationale Einrichtungen, wie das Natur-, Kunsthistorische oder Technische Museum in Wien oder gar das British Museum in London würden in ihrer Forschungstätigkeit immer wieder sichtbar, kleinere Landesmuseen fehle oft einfach das Personal, "um die Schätze, die sie haben auch heben zu können". Vor allem in kleineren Einrichtungen wären die Sammlungen noch gespickt mit Objekten, denen sich noch nie ein Wissenschafter annehmen konnte und die noch nicht einmal bestimmt wurden. "Es sind unglaubliche Materialien da." Es scheitere jedenfalls nicht am Willen oder an der Qualifikation der Leute, sondern an den finanziellen Möglichkeiten, wie Raffler betonte.
Von Nikolaus Täuber / APA-Science