Biogerontologie: Gesund altern statt kränkelnd immer älter
Die Geburtenrate sinkt, die Lebenserwartung steigt. Dieser Trend führt dazu, dass laut UNO Mitte des Jahrhunderts erstmals mehr Menschen über 60 Jahre alt sein werden als unter 15. Um die Zahl der Pflegebedürftigen auf ein Minimum zu reduzieren, verfolgen Biogerontologen vor allem ein Ziel: Menschen im Laufe ihres Lebens so lange wie möglich gesund und selbstständig zu halten.
Eine allgemeingültige Definition für das Altern gibt es nicht, dazu sind die Disziplinen und Perspektiven der Alternsforschung zu komplex und divers. Unter Biogerontologen, jenen Wissenschaftern, die sich mit der Erforschung der Ursachen biologischen Alterns befassen, trifft jedoch die auf den englischen Evolutionsbiologen und Genetiker John Maynard Smith zurückgehende Begriffsbestimmung auf breite Zustimmung: "Die Alterung ist der allgemeine Verlust von Funktionen des Organismus, was zu einem sich progressiv erhöhenden Sterberisiko führt."
Doppeltes Sterberisiko alle acht Jahre
"Progressiv bedeutet, dass das Sterberisiko eines Individuums sich im Lauf des Lebens überproportional erhöht", erklärte Johannes Grillari vom Department für Biotechnologie der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien gegenüber APA-Science. Laut dieser sogenannten Gompertz-Eigenschaft einer biologisch alternden Population verdoppelt sich beim Menschen die Wahrscheinlichkeit, in einem bestimmten Zeitraum zu sterben, alle acht Jahre. Folglich ist das Sterberisiko in jungen Jahren sehr gering und steigt dann exponentiell an.
"Die Geschwindigkeit der Alterung ist bestimmt durch die Akkumulation von zufälligen Schäden, die alle Makromoleküle-Gewebe treffen können und von Faktoren wie Ernährung oder dem Ausgesetztsein verschiedener Schadstoffe", erläuterte Grillari die Synthese aus verschiedenen Alternstheorien. Diesen Schäden setzt das Individuum das DNA-Reparatursystem entgegen, das genetisch kodiert und für jeden Menschen ein wenig anders ist: "Aus der Summe der beiden entgegengesetzten Kräfte kommt zum Schluss eine andere Alterungsrate raus."
Besser statt länger leben
Der bestätigte Altersrekord der Spezies Mensch liegt bei 122 Jahren, den die Französin Jeanne Calment (1875 - 1997) hält. Grillari und auch andere Alternsforscher gehen davon aus, dass damit aus heutiger Perspektive eine echte Grenze für die maximale Lebensspanne erreicht ist. Wollte man diese Spanne hinauszögern, wären enorme Probleme zu bewältigen, die vermutlich nicht ohne genetische Eingriffe möglich wären.
Die einzelnen Komponenten des Körpers altern unterschiedlich schnell. "Es fallen bei jedem unterschiedliche Organe als erstes aus, die müsste man in irgendeiner Form ersetzen oder stützen. Die Niere hat nach derzeitiger Meinung am wenigsten regeneratives Potenzial", sagte Grillari. Das liege daran, dass man im Lauf des Lebens immer in einer gewissen Rate Glomeruli, die kleinsten Funktionseinheiten des Organs, verliere. Allein diese Tatsache sei neben neurodegenerativen Erkrankungen einer der wichtigsten "Rate Limiting Steps", das Leben zu verlängern.
Das Ziel aller (seriösen) Biogerontologen ist es daher auch nicht, das Leben an sich, sondern die Gesundheitsspanne zu prolongieren. "Es geht darum, dass man altersassoziierte Erkrankungen so lange wie möglich hinauszögert, dass man Unabhängigkeit und Würde für ältere Menschen gewährleistet. Das ist der gemeinsame Nenner", so der Forscher, der an der Boku gemeinsam mit seiner Frau Regina die "Grillari Labs" leitet.
Seneszente Zellen im Fokus
Grillaris Spezialgebiet ist die zelluläre Alterung, die als Schlüssel des biologischen Alternsprozesses gilt. Wenn sich Zellen nicht mehr teilen, spricht man von zellulärer Seneszenz - ein irreversibler Prozess, der den Alterungsprozess fördert und chronische Krankheiten begünstigt. Das Team um Grillari versucht zu verstehen, warum solche alten Zellen das Gewebe schädigen: "Prinzipiell ist mein Forschungsgebiet der Einfluss von seneszenten Zellen auf das organismische Altern und dort schauen wir uns im Speziellen zwei, drei spezifische Proteine an, die wir über die Jahre identifiziert und charakterisiert haben."
Seneszente Zellen sind laut Grillari durch drei Eigenschaften gekennzeichnet: Sie beginnen inflammatorische Moleküle auszuschütten, was die Tumor- und Metastasenbildung begünstigt. Weiters beginnen alte Zellen ihre Funktionalität zu verlieren: Eine Nierenzelle kann also gewissermaßen "vergessen", dass sie eine Nierenzelle ist und fibrotisch werden, das heißt zu vernarben. Und wenn seneszente Zellen vom Immunsystem erkannt und entfernt werden, entsteht ein Teufelskreis: "Eine Zelle geht weg, andere müssen sich teilen, damit der Platz aufgefüllt wird. Damit verlieren wiederum die Zellen in der Umgebung ihr replikatives Potenzial und ihre Regenerationsmöglichkeit und so kommt es auch zu einem Gewebe-Funktionsverlust."
Gegen diese zerstörerischen Vorgänge kann man derzeit klinisch noch nicht viel tun. Forschungen in diesem Bereich beschränken sich meist auf Modellorganismen von Fadenwurm bis Maus. So könne man beobachten, dass wenn man Telomere - DNA-Stücke an den Enden der Chromosomen, die bei jeder Zellteilung kürzer werden und deshalb als Marker für den Alterungsprozess gelten - stabilisiert, Zellen länger leben und die Seneszenz hinausschieben können. "Wir persönlich schauen uns aber Mikro-RNAs an, die im Blut zirkulieren. Wir glauben, das könnten extrem spannende Biomarker sein, und für die altersassoziierte Erkrankung Osteoporose beweisen wir das gerade", erklärte der Forscher, der auch das CD-Labor für Biotechnologie der Hautalterung leitet.
Anti-Aging & Co
Viele Wege könnten also künftig dazu führen, das Altern und die damit assoziierten Krankheiten hinauszuschieben. Etwa wurde bei dem Diabetes-Medikament Metformin eine krebshemmende Wirkung festgestellt. Ein anderer "Kandidat" ist Spermidin, das in hohen Konzentrationen im Sperma, aber auch in vielen Nahrungsmitteln vorkommt, und das Zellwachstum und verschiedene Stoffwechselprozesse reguliert. Die Anti-Aging-Wirkung des natürlichen Polyamins wurde 2009 von einer Forschergruppe an der Universität Graz entdeckt.
Während viele Wirkstoffe und Verfahren über Hypothesen und das Versuchsstadium noch nicht hinausgekommen sind, herrscht in der Alternsforschung weitestgehende Einigkeit über die Wirksamkeit der Kalorienrestriktion. "Es konnte gezeigt werden - und wirklich bei jeder Spezies, von der Maus bis zum Affen -, dass eine kalorische Restriktion von ca. einem Drittel über eine längere Zeit dazu führt, dass der gesamte Organismus und die einzelnen Systeme langsamer altern und dass diese betroffenen Individuen auch länger gesund bleiben", sagte Beatrix Grubeck-Loebenstein, Professorin am Forschungsinstitut für Biomedizinische Alternsforschung der Universität Innsbruck im Gespräch mit APA-Science.
Die Immunologin beschäftigt sich mit vielen Aspekten des Alterns, speziell aber mit dem immunologischen Gedächtnis. Aus biologischer Sicht heiße Altern für einen Organismus, dass die Regenerationsfähigkeit der Zellen nachlässt. "Wenn sich Zellen nicht mehr regenerieren können, dann können Defekte zwar repariert, aber nicht total ausgemerzt werden", so Grubeck-Loebenstein.
Alterung ab der Geburt
Der Alterungsprozess des Menschen setze nahezu schon bei der Geburt ein. Das zeige sich etwa an der Evolution des Thymus, besser bekannt als Bries. Bei Säuglingen ist dieses Organ, in dem die T-Lymphozyten ("T-Zellen") reifen, deren Vorläuferzellen im Knochenmark gebildet werden, noch relativ groß. Nach und nach bildet sich der Thymus jedoch zurück und wird durch funktionsloses Fettgewebe ersetzt, bis er dann fast gänzlich verschwindet. Das bedeutet, dass ab einem Alter von circa 40 bis 50 Jahren keine neuen T-Lymphozyten mehr gebildet werden können. Was sich beunruhigend anhört, ist aber laut der Expertin kein Grund zur Panik. Im Körper seien ausreichend T-Zellen vorhanden. Da diese aber immer wieder verwendet werden müssen, "ermüden" sie mit der Zeit und das Immunsystem funktioniert im Alter nicht mehr so gut, erklärte die Immunologin.
"Alle Fähigkeiten des Körpers lassen nach, auch die Fähigkeit zu reparieren." Das führe dazu, dass das Lebensalter aus heutiger Sicht ungefähr bei maximal 120 liegt. "Der Alterungsprozess der molekularen Zelle, wenn die Regenerationsfähigkeit wegfällt, ist ein prädisponierender Faktor mit bekannten altersassoziierten Erkrankungen wie zum Beispiel Alzheimer, Atherosklerose oder auch Osteoporose", so Grubeck-Loebenstein.
Aus Sicht der Biogerontologen ist vor allem das mittlere Lebensalter von 40 bis 50 von entscheidender Bedeutung. Wer in diesem Lebensabschnitt in puncto Ernährung, Bewegung und Präventivmedizin vernünftig agiere, erhöhe die Chancen, gesund alt zu werden.
Biomarker zeigen biologisches Alter
Gute Hinweise, wie es um den Allgemeinzustand des Körpers bestellt ist, könnten sich aus Biomarkern ergeben, die das biologische Alter anzeigen. Im Rahmen des bereits abgeschlossenen EU-Projekts "Mark-Age" (siehe "'Mark-Age': Auf der Suche nach der Alters-Formel"), dessen Ergebnisse derzeit ausgewertet werden und an dem ein Team um Grubeck-Loebenstein teilgenommen hat, wurde eine Formel entwickelt, die aus zehn Biomarkern im Blut das biologische Alter errechnen soll. Ein zu starkes Abweichen vom chronologischen Alter könnte man demnach als Alarmzeichen verstehen, und weitere Untersuchungen anstellen.
Überhaupt kommt der Prävention eine zentrale Rolle zu. "Wenn alte Leute krank werden, dann werden sie viel schwerer krank. Der beste Weg, präventiv einzugreifen, ist die Impfung. Man sollte möglichst gar nie im Leben aufhören zu impfen", hat sich für Grubeck-Loebenstein aufgrund all ihrer Forschungen eine klare Empfehlung herauskristallisiert.
Nach den gängigsten Impfungen im Kindesalter und in der Schulzeit entstehe häufig eine große Lücke. Durch den Trend, dass sich immer mehr Senioren auf Fernreisen begeben, werde der Organismus plötzlich mit unbekannten Erregern konfrontiert. Da ein altes Immunsystem wesentlich schlechter auf Impfstoffe reagiert, sollte man beginnend im jüngeren Erwachsenenalter alle zehn Jahre die gängigsten Impfungen machen lassen und "vor 50 gegen das geimpft sein, was man möglicherweise im Lauf des Lebens noch braucht". Das betreffe generell nicht nur Reiseimpfungen wie gegen Tollwut oder Typhus, sondern auch Tetanus oder Grippe, betonte die Expertin.
Formel für gesundes Altern
Als Spezialistin bleibt es Grubeck-Loebenstein natürlich nicht erspart, allfällige Fragen nach einer "Formel" für gesundes Altern zu beantworten: "Erstens: Früh anfangen an die Gesundheit zu denken, allerspätestens zwischen 40 und 50. Zweitens: Maßnahmen, von denen jeder redet, die aber niemand macht, einführen: Vernünftige Ernährung, Bewegung, soziale Kontakte pflegen. Drittens: Vernünftige Präventivmedizin, das inkludiert die Impfung, ebenfalls speziell in dieser erwähnten Altersstufe. Und dann - all diese Errungenschaften nicht fallen lassen, sich daran gewöhnen und im weiteren Leben ständig verfolgen."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science