Sündigen erlaubt: Schweinsbraten mit Mehrwert
Ernährungswissenschafter, Biogerontologen, Immunologen und Molekularbiologen arbeiten seit 2011 am multidisziplinären EU-Projekt NU-AGE. Dabei forschen 30 Partner aus 16 EU-Ländern, darunter auch der Fachverband der Nahrungs- und Genussmittelindustrie (FIAA), daran, wie ein sinnvolles Altern - wesentlich unterstützt durch die Ernährung - möglich ist.
Das Projekt setzt auf einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl eine Lebensstiländerung - mehr Bewegung - als auch eine Umstellung auf mediterrane Kost, ausgehend von "Produkten mit Mehrwert", vorsieht. Solche Produkte gleichen traditionellen Lebensmitteln, enthalten aber beispielsweise weniger Salz oder Fett oder mehr Nährstoffe. "Wenn ein älterer Mensch gerne Schweinsbraten isst, soll dieser auch so aussehen und schmecken wie ein Schweinsbraten, aber eben auch einen Gesundheitswert aufweisen", erklärt dazu Lebensmittel- und Biotechnologe Julian Drausinger von der Lebensmittelversuchsanstalt (LVA). Was den Mehrwert ausmacht? Neben verbesserten Inhaltsstoffen gehe es um Dinge wie Konsistenz, Ausgewogenheit oder Portionsgrößen, erläutert Drausinger. "Man muss etwa auch auf das Kauvermögen älterer Menschen Rücksicht nehmen."
Entzündungsaltern stoppen
Beinahe zwangsläufig kommt es ab einem gewissen Alter zum Abbau von körperlichen und sehr oft auch geistigen Fähigkeiten. Dabei gilt das "Entzündungsaltern" - eine leichte systemische und chronische Entzündung - als eine der Hauptursachen für chronische altersbedingte Erkrankungen. Als Folge sind ältere Menschen häufig von einem schwächeren Herz-Kreislauf-Apparat, einem weniger belastbaren Verdauungs- und Immunsystem, einer verringerten Knochendichte und einem Rückgang der Muskelmasse betroffen. Diese Beeinträchtigungen können dann zu weiteren Krankheiten führen.
Forschungen im Rahmen des EU-Projekts legen nahe, dass dem Entzündungsaltern durch die Lifestyle-Änderung und bessere Ernährung Einhalt geboten oder es unter Umständen sogar ganz gestoppt werden kann, wie aus fünfzehn im Vorjahr in einer Spezialausgabe des Journals "Mechanisms of Ageing and Development" veröffentlichten Arbeiten von am Projekt beteiligten Wissenschaftern hervorgeht.
Einjährige "Ernährungsintervention"
Zuvor war über einen Zeitraum von einem Jahr bei 1.250 gesunden älteren Männern und Frauen zwischen 65 und 79 Jahren (die Hälfte davon als Kontrollgruppe) eine "Ernährungsintervention" - die Umstellung auf mediterrane Kost - vorgenommen worden. Vom ganzheitlichen Ansatz, der sich das komplexe Zusammenspiel von Gewebe, Organen und biologischen Systemen als Ganzes ansieht, erwarten sich die Forscher qualitativ höherwertige Erkenntnisse gegenüber dem isolierten Blick auf einzelne Gewebe und Organe.
Nachgegangen wurde unter anderem dem Effekt von Bewegung auf körperliche und kognitive Fähigkeiten sowie der Frage, ob und inwiefern Dehydrierung einen Effekt auf Alterungsprozesse hat. Eine der veröffentlichten Arbeiten beschäftigt sich mit der Feststellung des Eisenwerts bei älteren Menschen und mit Strategien, Eisenmangel oder -überschuss zu vermeiden. Da durch chronische Erkrankungen eine exakte Feststellung des Eisenwerts erschwert werde, seien verbesserte Biomarker dringend nötig. Der Eisenstoffwechsel werde höchst wahrscheinlich vom Alterungsprozess beeinträchtigt, heißt es in der Arbeit. Man hoffe, chronische Krankheiten genauer charakterisieren zu können und Zusammenhänge oder Kausalitäten zwischen dem Eisenstatus und Demenz identifizieren zu können.
Ernährungspyramide für Golden Agers
Aufgrund der gesammelten Daten arbeiten die Forscher zudem an einer Ernährungspyramide, die sich speziell an den Bedürfnissen älterer Menschen orientiert. Welche Auswirkungen sie auf die verschiedenen Organe und Systeme hat, wurde mit einer großen Bandbreite an Biomarkern getestet. Identifiziert wurden weiters die Mechanismen auf Zell- und Molekularebene, welche für den Effekt der Ernährungsumstellung verantwortlich sind. Aber auch die Frage der personalisierten Ernährung ist Teil des Forschungsprojekts: So sollen genetische und epigenetische Studien die Rolle der individuellen Variabilität in der Antwort auf Ernährungsumstellung klären.
"Die klassische Ernährungspyramide wurde nicht in ihren Grundfesten erschüttert, aber ergänzt um Produkte mit Mehrwert bzw. Convenience-Produkte", so Drausinger. Dass es sich dabei "eher nicht" um Diskontprodukte handeln wird, liegt für den Biotechnologen auf der Hand. "In unseren Vorerhebungen haben wir festgestellt, dass es eine Verschiebung der Einkommensverteilung hin zu Älteren gibt, und dass die Akzeptanz für höherpreisige Lebensmittel durchaus vorhanden ist", führt er aus.
Für die heimische Lebensmittelbranche seien die Golden Agers ebenfalls interessant. So erhalte die LVA Gruppe - deren Kerngeschäft eigentlich in der Lebensmittelanalyse und -begutachtung, Beratung und Schulung, sowie Zertifizierung und in der Technologieentwicklung liegt - immer wieder Anfragen für entsprechende Produktentwicklungen: "Beispielsweise für den Entwurf eines Gerichts, das auf dem klassischen Gulasch basiert, aber an die Bedürfnisse der Älteren angepasst ist."
Wie man die erarbeiteten Ernährungsempfehlungen letztlich am besten an die Zielgruppe kommuniziert, ist ebenfalls Teil des Projekts, welches im Mai 2016 endet.
Das Projekt Nu-AGE wird durch das 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Kommission unterstützt.
Service: Santoro A, Brigidi P, S. Gonos E, et al. (2014). Mediterranean Diet and Inflammaging in the elderly: the EU project NU-AGE. Mechanisms of Ageing and Development. 136-137:1-162. Published online ahead of print 25 January 2014. DOI: 10.1016/j.mad.2014.01.006 http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0047637414000074
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science