"Wie Jung und Alt zusammen passen"
Die Lebensqualität von Menschen in unterschiedlichen Altersphasen hängt wesentlich von ihrer Wohnsituation ab. Der Wunsch nach Individualität ist dabei genauso wichtig, wie die Erfüllung der Sehnsucht nach Gemeinschaft. In neuen gemeinschaftlichen Wohnformen kann generationenübergreifendes Zusammenleben, gegenseitige Unterstützung und professionelle Hilfe optimal organisiert werden.
Mit Blick auf mögliche Wohnsituationen im Alter ergibt sich für viele Menschen die Notwendigkeit einer neuen Wohnform. Kaum jemanden reizt die Aussicht auf ein Senioren- oder Pflegeheim im herkömmlichen Stil. Gemeinschaftliches und generationenübergreifendes Wohnen liegt im Trend, immer öfter wird deshalb der Ruf nach alternativen Wohnformen, die einerseits den Bedürfnissen im Alter entsprechen, andererseits Gettobildung vermeiden. Viele Menschen fürchten sich vor Vereinsamung und davor, im Notfall alleine zu sein. Sie haben Angst vor dem Verlust von Selbstständigkeit und vor nicht leistbaren Pflegekosten.
Von West bis Ost sind deshalb auch in Österreich in den vergangenen Jahren alternative Mehrgenerationen-Wohnprojekte entstanden oder im Entstehen, die sich nicht zuletzt an guten Erfahrungen in Deutschland und Skandinavien orientieren.
Besondere Bedeutung hat dabei u.a. das sogenannte "Bielefelder Modell". In der deutschen Stadt Bielefeld werden nämlich bereits seit den 1990er Jahren Wohnungen für Personen mit Betreuungsbedarf mitten in ganz gewöhnlichen Wohnquartieren angeboten. Dafür arbeiten Immobiliendienstleister mit Pflegedienstanbietern zusammen. Älteren Menschen werden adäquate Wohnungen angeboten, zusätzlich bietet ein Servicestützpunkt ein umfassendes Leistungs- und Betreuungsangebot, auf das je nach Bedarf zugegriffen werden kann. Ein "Wohncafé", das sich mitten im Viertel befindet, dient als Treffpunkt und Ort der Kommunikation, an dem für alle Dienste, die keine professionelle Leistung erfordern, ganz niederschwellig gegenseitige nachbarschaftliche Unterstützung gesucht und gefunden wird. Das Konzept wurde bereits in 16 Vierteln der Stadt umgesetzt und findet europaweit Anerkennung und Nachahmung.
In engem Zusammenhang stehen derartige Modelle auch mit dem Konzept der Primärversorgung. Darunter wird ein 1978 von der Weltgesundheitsorganisation entwickeltes interdisziplinäres ambulantes Versorgungskonzept verstanden, das eine effiziente medizinische, pflegerische, therapeutische und sozialarbeiterische Grundversorgung in Wohnortnähe sicherstellen soll.
In Österreich ist die Stärkung einer solchen Primärversorgung zwar als zentrales Ziel der Gesundheitsreform fest geschrieben, an der Umsetzung hapert es derzeit jedoch noch. Im Zusammenspiel mit alternativen generationenübergreifenden Wohnprojekten könnten hier konkrete weitere Schritte gesetzt werden.
Qualitative Studien belegen das große Interesse potenzieller NutzerInnen, die sich gemeinschaftliche Wohnsiedlungen wünschen, in denen der Wunsch nach Privatsphäre genauso berücksichtigt wird wie die Lust auf zeitweilige Gesellschaft. Sie wünschen sich qualitätsvolle und altersadäquate private Wohnräume in räumlicher Nähe zu gemeinschaftlich genutzten Orten, wie Bibliotheken, Gärten, Werkstätten, Bewegungs- und Kreativräumen.
Voraussetzungen für gemeinschaftliche Wohnprojekte sind kooperative Planungsprozesse von Wohnbaugesellschaften und sozialen und medizinischen Dienstleistungsanbietern, die von Beginn an professionelle Begleitung und Mitgestaltung der zukünftigen BewohnerInnen gewährleisten.
Das hat Konsequenzen auf zukünftige Planungsprozesse, die stärker als bisher partizipativ zu gestalten sind, aber auch auf die Organisation des realen (späteren) Zusammenlebens, das Begleitung und Unterstützung durch die entsprechende Infrastruktur und professionelle Begleitung braucht. Konkret geht es um eine moderierende und koordinierende Begleitung im Sinne sozialarbeiterischer Gemeinwesenarbeit, die auch und vor allem Eigeninitiative und Selbstorganisation der BewohnerInnen und einer ganzen Nachbarschaft unterstützt und damit mehr Gegenseitigkeit und Miteinander fördert. "Leihomas" und "Leihopas", die Teile der Kinderbetreuung übernehmen, werden dabei genauso zur nachbarschaftlichen Normalität wie handwerkliche Unterstützung, alltägliche Hilfe im Krankheitsfall, die eine etwaige notwendige professioneller Pflege ergänzt und nicht zuletzt vielfältige gemeinsame Freizeitaktivitäten, die Lebensqualität und Lebensfreude ganz erheblich steigern.