Sicherheit als Technik
In einer Welt, in der im Dienste der Prävention von Terrorakten die weltweite digitale Kommunikation anlasslos bespitzelt wird, steht auch der unbescholtene Bürger unter Generalverdacht. Ob mehr Hightech-Überwachung auch mehr Sicherheit bringt, gilt aber als umstritten. Experten sehen das Thema Sicherheit längst als “Unsicherheitsdiskurs” im Alltag angekommen und fordern eine Abkehr von einer zu technikzentrierten Interpretation der hochsensiblen Debatte.
“Es ist erstaunlich, wie stark die Gesellschaft von Sicherheit dominiert ist”, stellte die deutsche Technikphilosophin Jutta Weber anlässlich der Anfang Juni vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) organisierten Konferenz "Sicherheit als Technik" in Wien fest. Die immer stärker auf Technik reduzierte Interpretation des Begriffs lasse andere, mindestens ebenso wichtige, kulturelle Aspekte vermissen.
In Anlehnung an den belgischen Soziologen Armand Mattelart versteht Weber den Begriff “Techno-Security” nicht nur auf technische Artefakte und Maßnahmen beschränkt, sondern als “Kultur und komplexe soziotechnische Praxis mit heterogenen Akteuren - von Algorithmen, Drohnen, Social Media bis zu Militärdoktrinen, Sicherheitskräften, oder Software-Ingenieuren”.
Die Unsicherheit managen
Der Diskurs um die Sicherheit hat sich seit den späten 1980er Jahren gewandelt. Ging es zuvor hauptsächlich um nicht planbare ökologische und technische Desaster, rückten danach immer stärker mögliche Gefahren und Katastrophen in der Zukunft in den Fokus. “Man kann zusehen, wie die Unsicherheitsdiskurse wachsen”, sagte Weber - ein Trend, der schon vor dem 11. September 2001 zu erkennen war.
Die Aufwertung der Sicherheit als dominantes Phänomen habe neben geopolitischen Veränderungen auch epistemische Verschiebungen mit sich gebracht. Sicherheit werde nicht mehr nur als Identifizierung und Bearbeitung von bekannten Risiken und Bedrohungen verstanden, es herrsche vielmehr zunehmend “die Idee von der vorbeugenden, maximalen Techno-Security, die genau dieses Gefühl der Unsicherheit managen will.”
Grenzen der technischen Betrachtungsweise
Unsicherheit “in den Griff zu bekommen” sei eine “philosophisch interessante Formulierung”, so die Technikphilosophin. Es sei ein Trugschluss zu glauben, dass ausschließlich technisches Hochrüsten Sicherheit bringe, erklärte Weber. Der Bombenanschlag beim Boston-Marathon bzw. die Ermordung eines britischen Soldaten in London haben aber wieder einmal gezeigt, dass trotz aller technischen Vorkehrungen und Überwachungsmaßnahmen Terrorschanschläge nicht wirklich verhindert werden können.
“Die ausschließlich technische Betrachtungsweise der Datensammlung zulasten der menschlichen Intelligenz hat ihre Grenzen offenbart”, zitierte Weber Mattelart. "Es ist gut, dass man solche Täter findet, aber dass man sich so stark auf die Verfolgung fokussiert, zeigt eher von archaischen Rachegedanken, als es hilft, die Welt für alle sozial verträglicher und lebenswerter zu machen", sagte sie.
Von Prism bis Vorratsdatenspeicherung
Die derzeitige Diskussion um das weltumspannende US-Spähprogramm “Prism” oder das laut NSA-Aufdecker Edward Snowden noch ausgefeiltere britische Gegenstück “Tempora” lässt fast vergessen, dass als Folge von 9/11 weltweit eine ganze Reihe von Tools implementiert wurden, die in der Lage sind, jeden Bürger fast lückenlos zu überwachen.
In Österreich ist am 1. April 2012 die - anlasslose - Vorratsdatenspeicherung in Kraft getreten. Betroffen sind sämtliche Kommunikationsvorgänge via Telefon und Handy, E-Mail und Internet. Sechs Monate müssen die Kommunikationsbetreiber die diversen Daten speichern. Darunter fallen neben den Stammdaten (Name und Adresse des Benutzers) unter anderem: Handy- und Telefonnummern, IP-Adressen - also jene Nummer, mit der sich ein Computer ins Internet einklinkt - und E-Mail-Adressen, aber auch die Geräte-Identifikationsnummern von Mobiltelefonen oder die Standortdaten - also wo sich ein Handy zu einem bestimmten Zeitpunkt befindet.
Auch das im August 2012 in New York gemeinsam von Microsoft und der Stadtverwaltung installierte “Domain Awareness System (DAS)” ist für Jutta Weber eine Referenz für das Phänomen “Techno-Security”. Das System verbindet und visualisiert alles, was mehr als 3.500 Überwachungskameras, Hunderte Strahlensensoren, auf Polizeiautos, Brücken, Straßen und Tunneln angebrachte Kennzeichen-Scanner, dazu Polizeifunk-, Terror- und Kriminalitätsdaten hergeben. All das wird in einer Zentrale zusammengeführt - in Echtzeit. Gespeichert werden die Daten für 30 Tage. Der Vision eines Orwellschen, alles beobachtenden und registrierenden “Big Brother” rückt man damit schon sehr nahe.
Bürokratische Imagination
Weber stellte fest, dass sich die Sicherheitspolitik in der Angst vor terroristischen Anschlägen oder Gewaltverbrechen zunehmend in Richtung präventiver Sicherung verschiebt. Dazu gehöre es, so umfassend wie möglich Daten der Bürger zu sammeln und daraus Muster und Profile zu erstellen. Man beschäftige sich mit einer "geradezu bürokratischen Imagination möglicher zukünftiger Bedrohungen, anstatt aktuelle Probleme anzugehen", sagte sie.
Durch die permanente Visualisierung dessen, was alles passieren könnte, werde auch der Diskurs der Vorbeugung angeheizt. “Die vorbeugenden regelnden Maßnahmen, die wir heute erleben, sind jedoch primär technischer Natur, und das heißt Hightech-Überwachung”, so Weber. “Und Technik als Sicherheit wird zunehmend selbstverständlich. Die Überwachung nimmt fast in allen Bereichen zu.”
Neue Ängste
Die Beschwörung potenzieller aber nicht unbedingt realer Gefahren würde wiederum neue Ängste schüren. Nutznießer der Angst in der Bevölkerung seien die Hersteller von Hightech-Überwachungssystemen sowie Politiker. "Es ist eine alte Weisheit: Leute die Angst haben, sind besser regierbar", erklärte Weber.
Die Sicherheitsfrage sei heute sehr stark auf Überwachung und Verbrechensbekämpfung beschränkt, während andere gesellschaftliche Gefahren wie eine Verschlechterung des Gesundheitssystems und der sozialen Sicherheit kaum diskutiert würden. "Es wird immer als notwendig, unvermeidbar und alternativenlos dargestellt, dass die soziale Sicherheit erodiert wird", sagte Weber. Gleichzeitig würde man mit einem "riesigen Aufwand" versuchen, mit Hightech-Geräten die Sicherheit von "Leib und Leben" zu gewährleisten.
Zwei analytische Stränge
Laut der Politikwissenschafterin Petra Schaper-Rinkel lassen sich in der sozialwissenschaftlichen Kritik zum Thema Sicherheit zwei analytische Stränge feststellen. “Einmal die Analyse direkter staatlicher Sicherheitspolitiken auf Feldern wie der privatisierten Kriegsführung, der Terrorismusbekämpfung oder der Migrationskontrolle. Zum anderen die Analyse indirekterer Politiken in Bereichen wie dem individuellen Risikomanagement und der Gesundheitsprävention”, so die Wissenschafts- und Technikforscherin vom Austrian Institute of Technology (AIT) im Rahmen der TA-Konferenz.
Eine Schnittmenge dieser beiden Ansätze findet sich beispielsweise in (US-)technologiepolitischen Konzepten zur Konvergenz von Nano-, Bio-, Informationstechnologien und Kognitionswissenschaften zur Verbesserung der menschlichen Leistungsfähigkeit, “soll doch die Konvergenz zukünftig sowohl der Militär- und Sicherheitsforschung dienen, als auch revolutionäre medizinische Anwendungen in der Zukunft ermöglichen”. Was beiden Bereichen gemeinsam ist: Individuelle Daten werden in hohem Maße in umfassenden Systemen vernetzt, mit ungewissen Folgen, so Schaper-Rinkel: Denn während bei der Datensammlung durch staatliche Einrichtungen zumindest formell Datenschutzbestimmungen gelten, “hat die private Datensammlung und -veröffentlichung von Web 2.0-Nutzern keinen begrenzenden Gegenpol.”
So ist etwa das Portal “23andMe” darauf ausgelegt, dass Nutzer auf Basis einer DNA-Analyse ihre Gesundheitsdaten zu Vergleichs- und Studienzwecken hochladen. Diese elektronische Selbstvermessung werde von den Nutzern als Modus der freien Wahl wahrgenommen, individuelle Gesundheitsrisiken kontrollieren zu können und gleichzeitig mit ihren Daten zu bahnbrechenden Erfolgen in der zukünftigen Medizin beitragen zu können. “Die Kritiker sehen darin das Ende von Freiheit und eine Gefahr für die Datensicherheit", so Schaper-Rinkel.
Von Mario Wasserfaller / APA-Science