Experte: Wie sich Bildungschancen fairer verteilen lassen
Der wichtigste Faktor im Hinblick auf Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen sind die Eltern -ihr Beruf, Einkommen und Bildungsniveau entscheiden maßgeblich über die Karriereverläufe. In welchen Bereichen sich das äußert und welche Gegenmaßnahmen es gibt, erklärte Sozialforscher Johann Bacher von der Universität Linz im Gespräch mit APA-Science.
Die ungleiche Verteilung der Bildungschancen fuße vor allem darauf, dass Kinder aus sozial benachteiligten Schichten schlechtere Schulleistungen erzielen, weil Eltern ihnen zuhause nicht ausreichend helfen können und andere Unterstützungsressourcen fehlen. Hier könnte die Ganztagesschule Abhilfe schaffen, so Bacher. Ein weiterer Faktor sei, dass diese Eltern häufiger eine Schule wählen, von der der Umstieg in eine höhere Schule schwieriger ist. Bacher empfiehlt hier eine spätere Bildungsentscheidung - beispielsweise erst mit 12 Jahren, beziehungsweise ein 6-3-3-Schulsystem mit einer mittleren Reife nach 9 Jahren.
Auch die Klassenzusammensetzung beeinflusse die Schulleistungen. "Die Leistungen sinken, wenn mehr sozial benachteiligte Schüler eine Klasse besuchen", so der Experte. Deshalb plädiert er für eine sozialindizierte Mittelvergabe und einen Ausbau der Unterstützungssysteme in den Schulen - etwa Schulsozialarbeit oder Initiativen wie "Teach for Austria", die sich die Beseitigung von Bildungsungerechtigkeit auf die Fahnen heftet. "Hier gibt es sehr gute Ansätze, die noch stärker gefördert werden könnten", sagte Bacher. (siehe Problemkind Schule - es braucht "Kommunikation" und "Motivation")
Mehr Ressourcen durch Sozialindex
Die sozialindizierte Mittelvergabe sei im Bildungsreformgesetz 2017 bereits vorgesehen. Eine Umsetzung dieses Konzepts würde dazu führen, dass sozial benachteiligte Schulen mehr Ressourcen bekommen. Verbunden mit Zielkriterien, einem Handlungsplan an der Schule, schulischer Autonomie und einer Evaluierung könnte dies dazu beitragen, den Anteil der Schüler mit geringen Kompetenzen am Ende der Pflichtschulzeit, der derzeit zwischen 20 und 25 Prozent liegt, zu senken, so Bacher. Bisherige Maßnahmen hätten nicht ausreichend gegriffen, was daran ablesbar sei, dass sich der Anteil seit den ersten PISA-Erhebungen nicht wesentlich verändert habe.
Laut dem Bildungsreformgesetz könnte der Minister durch eine Verordnung entsprechende Kriterien festlegen und eingreifen, wenn die Länder bei der Umsetzung säumig wären. "Aber eigentlich besteht hier ein Konsens, dass es wichtig ist, sozial benachteiligten Schulen zu helfen." Derzeit seien die Länder noch stark mit dem Aufbau der Bildungsdirektionen beschäftigt. "Nächstes Frühjahr weiß man da schon mehr. Zunächst geht es wahrscheinlich nur um die Verteilung der zusätzlichen Mittel für Schulpsychologen, -sozialarbeiter und Lehrpersonalressourcen", vermutet Bacher.
Wichtige Kriterien für die Berechnung des Sozialindex könnten berufliche Position und Bildung der Eltern, Migrationshintergrund und Alltagssprache sein, ablesbar an den Zusatzerhebungen der Bildungsstandardüberprüfung. Hier gebe es unterschiedliche Modelle, beispielsweise auch vom Institut für Höhere Studien (IHS). Bei der Art der Indexberechnung hätten die Länder freie Hand. Zwar brauche es auch neue Mittel, ein Teil könnte aber auch durch Umschichtungen finanziert werden. So würden statistisch gesehen zwei Volksschulklassen etwa drei Lehrkräfte zur Verfügung stehen. "Es wäre wünschenswert, wenn die dritte Lehrkraft in sozial benachteiligten Schulen unterrichten würde", erklärte der Sozialforscher.
Wien könnte profitieren
Die Verteilung der Mittel nach objektiven Kriterien stehe eigentlich außer Frage. Die einzige Befürchtung sei vermutlich eine Umverteilung zwischen den Bundesländern, "weil Wien in dieser Hinsicht natürlich stärker belastet ist". Bei der Vergabe der Integrationsmittel sei bereits ein sozialindiziertes Modell angewandt worden. "Da gibt es einen sehr positiven Evaluierungsbericht. Schulen, die hier einen höheren Bedarf aufweisen, haben auch die Zusatzmittel bekommen", so Bacher.
Eine sozialindizierte Mittelvergabe fordert Bacher im Sinne der Chancengleichheit auch für den tertiären Sektor. Die Teilhabe an Bildung würde wieder stärker vom Einkommen der Eltern abhängen. "Universitäten, die nicht-traditionelle Studierende fördern, sollten mehr Geld erhalten, um den höheren Betreuungsaufwand abdecken zu können", meint der Experte. Die nationale Strategie zur sozialen Dimension der Hochschulbildung des Bildungsministeriums gehe in die richtige Richtung, da sie die soziale Durchmischung der Studierenden erhöhen will. Dem stehe aber die Hochschulfinanzierung gegenüber, bei der man sich an der Zahl der prüfungsaktiven Studierenden orientiert. "Diese Zahl ist bei Vollzeitstudierenden, die im Idealfall noch aus einer Akademikerfamilie kommen und nicht oder nur geringfügig während des Studiums arbeiten müssen, leichter zu erreichen", gibt Bacher zu bedenken.
Die Bildungsexpansion scheint sich ohnehin ihrem Ende zu nähern. Während 1986 noch 38 Prozent der 27- bis 47-Jährigen von einem Bildungsaufstieg berichtet hatten, waren es 2016 nur mehr 32 Prozent, berichtet Bacher. Außerdem seien die Bildungsrenditen deutlich gesunken. Im Jahr 1986 betrug die Bildungsrendite für ein zusätzliches Jahr, das im Bildungssystem verbracht wurde, noch 12 Prozent zusätzliches Nettoeinkommen, 2016 sank der Wert auf 4 Prozent. Inzwischen seien zwei Bildungsklassen entstanden, eine Klasse von beruflichen Facharbeitern mit einer mittleren Bildung und einer Klasse von Akademikern. Das führe zu einer Ausdifferenzierung des tertiären Bildungssystems und des Bildungsverhaltens, wie beispielsweise eine Tendenz, im Ausland zu studieren. "Das Problematische an diesen Entwicklungen ist, dass nicht nur die individuelle Leistung relevant ist, sondern das Einkommen der Eltern wieder an Bedeutung gewinnen wird", so Bacher. Deshalb gebe es auch hier unterschiedliche Bildungschancen.
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