"Innehalten und nach Regenbögen Ausschau halten"
Der gegenständliche Beitrag hat nicht die Intention, ein romantisierendes Bild der forschenden Tätigkeit zu formen und sich über partiell prekäre Rahmenbedingungen, Leistungsdruck und Konkurrenzkämpfe, mit denen Forscher*innen im Rahmen ihrer Arbeit konfrontiert werden, hinwegzustellen. Er bietet indes individuelle Einblicke in das Leben als Forscherin und Mutter.
Aufstehen, Brille aufsetzen, Jeans, Karo-Hemd und Tweed Jacke anziehen, entspannt einen Kaffee mit viel Zucker konsumieren und dann ab ins Büro. Im Büro gleich den nächsten Kaffee trinken (natürlich mit viel Zucker), dann ab an den Schreibtisch und abwechselnd recherchieren, lesen und schreiben. Zu Mittag mit Kolleginnen und Kollegen einen Happen zu Mittag essen, nachmittags einen Vortrag halten und dann wieder bis spät in die Nacht hinein recherchieren, lesen und schreiben. So könnte man sich gemeinhin den Tag einer Forscherin*eines Forschers vorstellen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass dies - zumindest - nicht meiner Realität entspricht. Bevor mein Arbeitstag beginnen kann, darf ich meine zwei bezaubernden Töchter aufwecken - oder realistischerweise gesagt, sie versuchen davon abzuhalten, mich zu einer unchristlichen Zeit aus dem Schlaf zu reißen - anschließend beide dazu zu bewegen sich anzuziehen, wobei dies bei meiner jüngeren Tochter mit weitaus weniger Auseinandersetzungen alias "Das blaue T-Shirt passt doch gar nicht zu der blauen Hose!", "Das Kleid ist unangenehm!", "Der Pullover ist zu warm!", etc. stattfindet. Nachdem die erste Hürde des Tages geschafft ist und beide Kinder in mehr oder weniger - aus Elternperspektive - adäquater Kleidung stecken, versuche ich - wie übrigens jeden Tag - meine große Tochter rechtzeitig in den Kindergarten zu bringen, bevor die offizielle 'Bring-Zeit' verstrichen ist und die Türe demonstrativ zugesperrt wird. Im Anschluss daran wieder schnell nach Hause, Frühstück für "die Kleine" herrichten und auf die private Kinderbetreuung warten, da meine kleine Tochter mit ihrem einem Jahr natürlich noch nicht in einen niederösterreichischen Kindergarten gehen darf - wäre doch besser die Mutter bliebe bis das Kind mindestens drei Jahre alt ist zu Hause. Den rollengeschlechtlichen Vorstellungen zum Trotz beeile ich mich nach erfolgter Übergabe an unsere 'Leih-Oma' ins Büro zu kommen. Im Büro angekommen erlaube ich mir einmal kräftig durchzuatmen und meinen (Arbeits-) Tag mit einem kräftigen Kaffee (ohne Zucker), einzuleiten.
Was beschäftigt mich alsdann in meinem Arbeitsalltag als Forscherin und wie würde ich diesen charakterisieren? Darauf gibt es eine ganz einfache Antwort: Mich beschäftigen Fragen und potenzielle Antworten auf diese Fragen. Im Zentrum dieser Fragestellungen stehen ganz allgemein aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen. Mit Fragen zu sozialer Inklusionsforschung fokussiere ich meine Forschungsaktivitäten derzeit auf Flucht- und Migrationsforschung sowie auf Fragen zum gesellschaftlichen Zusammenleben in unterschiedlichen Facetten. Gegenwärtig beschäftigen mich Inklusions- und Exklusionsprozesse von Zuwander*innen im Kontext Fluchtmigration. Ausgehend davon, dass die Frage der Einbindung von Personen mit dem Konzept der sozialen Inklusion erfasst wird, stehen hierbei wechselseitige (gesellschaftliche) Prozesse im Zentrum des Interesses. Der Forschungsfokus wird auf das subjektive Erleben und das Alltagshandeln der betreffenden Personen gelegt. Ziel ist es, Einbindungsverläufe von nach Österreich geflüchteten Menschen zu rekonstruieren, um Strukturen von, und Strategien im Umgang mit Inklusionszusammenhängen theoretisch auszuarbeiten. Im Konkreten gestaltet sich die Forschungstätigkeit sehr divers und 'typische' Tagesabläufe können kaum skizziert werden. Die Erhebung und Auswertung von Datenmaterial, die kontinuierliche Aufarbeitung des (aktuellen) Fachdiskurses, das Arbeiten an Projektanträgen, das Verfassen von Publikationen, Vorbereiten von Fachvorträgen und Science to Publik-Veranstaltungen, und Ähnliches charakterisieren Teilbereiche meines Arbeitsalltags.
Forscher*in zu sein bedeutet nicht einen Beruf auszuüben, sondern eine Berufung zu lieben. Die Tätigkeit als Forscher*in bemüht einen stetig. Ein suchender Blick und hinterfragende Haltung begleitet einen auch nach 'Feierabend' im Alltag. Ich würde behaupten, dass man als Forscher*in für seinen Beruf lebt, was natürlich nicht beinhaltet, kein Privatleben oder gar andere Interessen zu haben. Es bedeutet jedoch ein großes Selbstinteresse an der eigenen Arbeit zu zeigen. Schon Johann Wolfgang von Goethe stellte die Gewichtigkeit von Forschung in seiner "Nachlese der Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten" in seiner zehnten Ausführung treffend dar: "Doch Forschung strebt und ringt, ermüdend nie, nach dem Gesetz, dem Grund, Warum und Wie."
Auch wenn man immer wieder mit herausfordernden Rahmenbedingungen konfrontiert ist und seine Zeit beispielsweise mit dem Schreiben von Projektanträgen verbringen muss, um Förder-, respektive Geldmittel zu lukrieren, komme ich, wenn ich mich wieder meiner 'tatsächlichen' Arbeit widmen kann, immer wieder zu dem Schluss, dass die Arbeit als Forscher*in einfach phänomenal ist. In der heutigen so schnelllebigen Entwicklungsepoche darf man sich (obgleich man die Konfrontation mit bestimmten Förderlogiken und dem daraus resultierenden Zeitdruck nicht leugnen kann) die Zeit nehmen, um sich mit einzelnen (gesellschaftlichen) Phänomenen ausführlich auseinanderzusetzen. Wann hat man schon die Möglichkeit, strukturiert innezuhalten und sich ausführlich mit bestimmten interessierenden Phänomenen auseinanderzusetzen? Gleichwohl, ein Forscher*innen-Dasein bedeutet, (fast) immer und (fast) überall Forscher*in zu sein, sowie diese Perspektive auch kaum im Privaten hintanstellen zu können, auch wenn ich seit der Geburt meiner Kinder immer wieder versuche in der Arbeit innezuhalten, um nach Regenbögen Ausschau zu halten, denn "die Arbeit läuft nicht davon während du deinem Kind den Regenbogen zeigst, aber der Regenbogen wartet nicht bis du mit der Arbeit fertig bist", was ein chinesisches Sprichwort unbekannter Herkunft besagt.