Master of the Universe
Informatik, Planetenforschung, Geologie und ein Hauch Science Fiction. Die Arbeit von Thomas Ortner umfasst ein breites Spektrum. Der Software-Programmierer des VRVis - Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung arbeitet für die Raumfahrtagenturen NASA und ESA an der Visualisierung der Marsoberfläche und kommt dabei mit den unterschiedlichsten Disziplinen in Berührung.
Spaziergang auf dem Mars gefällig? Was auf dem Bildschirm zunächst nach Bergen und tiefen Schluchten aussieht, entpuppt sich bei einem kurzen Rundgang mit der 3D-Brille als zentimeterhohe Vertiefung oder Erhöhung, die scheinbar endlose Fläche passt problemlos ins Büro. Kein Wunder, ist doch erst ein Bruchteil der Oberfläche des roten Planeten abgefahren.
Herzstück von Ortners Arbeit ist der Pro3D Viewer (kurz für Planetary Robotics 3D Viewer), ein interaktives Visualisierungs-Tool, das die Arbeit an hochauflösenden 3D-Rekonstruktionen der Marsoberfläche erlaubt. Man kann durch die Darstellung navigieren, geologische Interpretationen und Messungen vornehmen, Pfade und Aufnahmepositionen einblenden, etc.
Geologische Analysen
Die dreidimensionalen Grafiken basieren auf Daten verschiedener bildgebender Sensoren, die sich in ihrer Entfernung zur Oberfläche und dementsprechend in der Auflösung stark unterscheiden. So sind Satellitenaufnahmen sehr viel weiter von der Oberfläche entfernt als ein Mars-Rover. Opportunity, der von 2004 bis 2018 aktiv war, lieferte auf seiner Reise mehr als 217.000 Bilder. Problematisch dabei ist, dass Opportunity (genauso wie sein Zwilling Spirit) keine Stereokameras besitzt und sich dadurch eigentlich nicht für 3D-Daten eignet. "Um gute 3D-Daten zu generieren, braucht man wie beim Menschen ein linkes und ein rechtes Auge", erklärte Ortner gegenüber APA-Science. Stereokameras besitzen dafür zwei nebeneinander angebrachte Objektive, die beim Auslösen gleichzeitig aufnehmen. "Die alten Rover haben aber nur eine Kamera, also nutzt man verschiedene Standpositionen und weist dann zu, was das linke und was das rechte Auge ist. Um schöne Daten zu bekommen, muss man allerdings den genauen Abstand der 'Augen' wissen, und den kennt man am Mars nicht. Dort gibt es kein GPS-System, man muss also immer abschätzen, wie weit man gefahren ist und wie groß der Abstand ist. Das ist eine der großen Challenges in dieser Daten-Rekonstruktion", fasste Ortner zusammen.
Sind die Bilder einmal in eine dreidimensionale Form gebracht, lässt sich das Gelände durch den Pro3D Viewer aus der Ferne analysieren, um beispielsweise Längen und Breiten von geologischen Schichten abzuleiten. Das ist besonders für planetare Geologen interessant. "Sie sind an Daten interessiert, wo man verschiedene Gesteinsschichten und Ablagerungen sieht. Auf der Erde weiß man das natürlich sehr genau, aber auf dem Mars stehen dafür nicht die besten Mittel zur Verfügung", so Ortner. NASA und ESA verfolgen dabei unterschiedliche Ziele, durch die Gemeinsamkeiten lassen sich für Ortner aber viele Synergien nutzen. "Die Hauptaufgabe für die ESA ist die geologische Annotation. Jene der NASA ist es, größere Terrains für die landing site selection (Anm.: die Auswahl von Landestellen) anzuzeigen. Jedes Projekt deckt somit nur einen Teil ab, aber alle sind in einem großen Framework. Letztendlich führt alles im Viewer zusammen, aber ich muss mir immer überlegen, für welches Projekt ich was mache und welche Stunden ich wofür schreibe."
Die Suche nach Leben auf dem Mars
Dass es auf dem Mars einmal Wasser gegeben hat, wurde durch solche geologischen Analysen mittlerweile bewiesen. Als weiterer Schritt sollen nun von Rovern Zeichen von Leben gefunden werden. "Mittels geologischer Analyse kann man alte Flussläufe rekonstruieren und abschätzen, wo einmal Wasser gestanden ist", erklärte Ortner mit der Kenntnis eines Geologen. "In diesen sogenannten 'standing water bodies' schätzt man die Chancen, Leben zu finden, am höchsten ein. Deshalb ist die Geologie eine so primäre Wissenschaft in der extraterrestrischen Forschung. Man kann ja nur in die Vergangenheit schauen: Das Wasser ist längst verschwunden, aber in den Gesteinsschichten ist es noch aufgezeichnet. Das kann man sich ein bisschen wie die Jahresringe eines Baumes vorstellen." Dass er so viel von unterschiedlichen Disziplinen versteht, ist der engen Zusammenarbeit mit den Geologen des Empirial College of London, einem Projektpartner, geschuldet. "Ich versuche, die Bedürfnisse der User zu verstehen. Man baut ein gemeinsames Wissen auf: Sie erfahren mehr über 3D-Grafiken, ich erfahre mehr über Geologie. Je besser das Verständnis, desto effizienter die Zusammenarbeit."
Ein Mensch auf dem Mars, so Ortner, könnte in fünf Minuten die Arbeit des Rovers eines ganzen Monats erledigen. "Der Geologe würde einen Stein aufheben, anschauen, zerbrechen und in den Mund nehmen. Der Rover ist hingegen extrem limitiert in seinen Aktionen und Bewegungen."
Senior mit 35
An einen Bachelor in Informatik und einen Master in Software Engineering hing Ortner noch ein Jahr in England an, um einen weiteren Abschluss in Computer Graphics zu machen. Nach vier Jahren Auszeit von der Universität begann er 2012 an seinem PhD zu arbeiten. Heute ist er 35. Wird man so jung als Forscher überhaupt für voll genommen? Jugend sei eine relative Größe, so Ortner. "Vom absoluten Alter her bin ich nicht so viel älter als Leute, die direkt nach ihrem Abschluss von technischen Universitäten kommen", aber was letztendlich zähle sei die Arbeitserfahrung - und davon hat Ortner genug. Am VRVis, einem österreichischen Kompetenzzentrum für Visual Computing, ist er seit zehn Jahren. "Mit mehr als fünf Jahren Arbeitserfahrung gilt man schon als Senior. Ich bin bei zehn plus. Als mir LinkedIn die Gratulation zum zehnjährigen Jubiläum geschickt hat, hat mich das schon ein bisschen geflashed", erzählt er lachend.
Als Gruppenleiter ist er seit 2016 tätig, an dem Weltraum-Projekt arbeitet er aber schon seit 2012. Sein Arbeitsalltag besteht nur zum Teil aus Programmieren, viel Zeit fließt in leitende und koordinierende Tätigkeiten. In seiner Freizeit hat er eine eigene Website für den Pro3D Viewer erstellt, auf der das Projekt hergezeigt und in Videobeiträgen, Tutorials und Co. näher erklärt wird. Ursprünglich kam Ortner in das Mars-Vorhaben über ein Projekt zu Tunnelmonitoring. "Da werden dieselben Rekonstruktionen wie auf dem Mars gemacht, nur geht es auf der Erde halt viel leichter. Darüber bin ich in die Richtung gekommen, einen Viewer für den Mars statt für den Tunnel zu machen", so Ortner.
Neben den Arbeiten am Mars- und am Tunnelprojekt schreibt er an seinem Doktor. Für einen PhD brauche man drei Publikationen, eine davon sei noch offen. "Es geht schon ein bisschen in die Freizeit rein, sich um eine hochklassige Publikation zu kümmern. Das klingt aber alles stressiger, als es ist. Ich hatte auch schon Zeiten mit 60 Stunden pro Woche. Jetzt mache ich nur mehr 40. Man muss aufpassen, dass einen der Druck zwischen Kunden, Geologen und den persönlichen Zielen wie Publikationen und Antragschreiben nicht auffrisst."
Marathon auf dem Mars
2015 beendete der Mars-Rover "Opportunity" den wohl langsamsten Marathon der Welt (beziehungsweise des Sonnensystems): Der seit 2004 auf dem Mars aktive Roboter hatte endlich die 42 Kilometer-Marke geknackt. Ortner läuft da schon ein bisschen schneller - in seiner Freizeit zum Spaß auch mal 30 Kilometer. "Wir haben Gleitzeit, da geht es sich aus, dass ich vor der Arbeit Sport mache. Und wenn es mal ganz stressig wird, gehe ich zwischendurch eine Stunde laufen. Am Wochenende mache ich meistens Langstreckenläufe."
Privat beschäftigt er sich wenig mit dem Weltall. "Es gibt Leute, die sich viel besser auskennen. Was mich an der Arbeit fasziniert, ist, dass ich ein Tool baue, das jemand anderer verwendet, um damit seine Wissenschaft zu machen. Das ist die große Motivation dahinter. Wenn wirklich aufgrund einer Analyse, die mit meinem Viewer gemacht wurde, Leben gefunden wird, dann wäre das schon sehr cool."
Von Anna Riedler / APA-Science