Zum Forschen berufen
Hinter neuen Medikamenten, Batterietechnologien oder Sensoren stehen, für die Öffentlichkeit meist unsichtbar, immer Menschen, die sich mit Leidenschaft ihrem Forschungsgebiet widmen. Genau wie andere Berufstätige müssen sie Arbeit, Familie und Freizeit unter einen Hut bringen. Wie sie das schaffen und was sie antreibt, erzählen 13 Forscherinnen und Forscher im aktuellen Dossier auf APA-Science.
Was haben ein Visualisierungs-Spezialist, der "Chief Scientific Officer" eines Pharma-Unternehmens, eine Technische Chemikerin, eine Batterieforscherin, eine Neurowissenschafterin, ein Evolutionsbiologe, eine Mikrobiologin, eine sich in Ausbildung befindliche Fachärztin für Dermatologie und Venerologie, ein theoretischer Physiker, eine Professorin für Politische Kommunikation, eine Sozialarbeiterin und Sozialwissenschafterin, ein Funktechnologie-Experte und ein Gewässerökologe (und FWF-Präsident) gemeinsam?
Auf den ersten Blick eint diese Personen lediglich, dass sie in der Forschung tätig sind, und dass sie im Rahmen dieses Dossiers Einblicke in ihr Leben und ihre Arbeit ermöglichen. Wie schon aus ihren Positionen und Funktionen hervorgeht, könnte ihr Hintergrund oft nicht unterschiedlicher sein. Dennoch gibt es Parallelen, und wohl einiges, was diese Menschen bereitwillig von sich preisgeben, dürfte für angehende Forscherinnen und Forscher oder auch einfach nur für allgemein Interessierte nicht unspannend sein.
Wenig überraschend geht aus den Interviews und aus Gastkommentaren hervor, dass sich eine wissenschaftliche Karriere kaum planen lässt. Wer in die Wissenschaft gehen will, sollte bedenken, dass es dabei nicht nur den einen Karriereweg gibt. Eine zu lineare und starre Sicht könne hier direkt ins Scheitern führen, merkt etwa der Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, Klement Tockner, an. Wie schafft man es dennoch, aus anfänglichem, vielleicht nur vagem Interesse eine handfeste Karriere zu machen? Indem man beweglich bleibt und bei sich bietenden Chancen nicht lange zögert, sagt Tockner. Ihn selbst hat diese Philosophie durch mehrere Kontinente und Forschungseinrichtungen bis an die Spitze des FWF geführt.
"Ein sonniges Gemüt" hilft
Bei den Voraussetzungen, die man für eine wissenschaftliche Laufbahn mitbringen sollte, kommen sehr persönliche Einschätzungen zum Tragen. AIT-Forscherin Katja Fröhlich meint etwa, "ein sonniges Gemüt" könne nie schaden. Oder man weiß einfach bereits in der Kindheit, was man werden will, wie im Falle von Lukas Mayer, Funktechnologie-Experte bei Siemens Österreich. Mit der fixen Vorstellung, "Professor, Forscher oder Erfinder" zu werden, wollte er immer schon verstehen, "wie Sachen funktionieren". Bei manchen wird das Interesse in der Schule geweckt, und da ist dann oftmals das Lehrpersonal das Zünglein an der Waage. "Ich hatte einen guten Chemielehrer, der mein Interesse bestärkt hat und es war absolut mein Wunsch, in die Forschung zu gehen", erzählt etwa Julia Kurzmann, die beim außeruniversitären Forschungsinstitut Profactor in Steyr als "Research Engineer" im Bereich des roboterbasierten Inkjet-Drucks arbeitet.
Oft ist es reiner Zufall, oder ein gewisser Sog, der einem Forschungsgebiet innewohnt, der jemanden dazu bewegt, sich damit näher zu befassen. Es kann aber auch mit einer allgemeinen Aufbruchstimmung oder neuen Technologien und Werkzeugen zu tun haben, die in einem Feld völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Wolfgang Bonitz, Chief Scientific Officer von Novartis, spricht etwa von einer medizinischen Revolution, die bevorstehe. Jeder, der heute auf dem Gebiet der medizinischen Biologie oder Biotechnologie forsche, sei etwa wegen Fortschritten in Gen- und Zelltherapie zu beglückwünschen: "Meines Erachtens hat es noch nie so eine spannende Zeit in der Geschichte der Medizin gegeben, wie jetzt gerade."
In der Medizin kann man sich jedoch leicht irgendwann an einer Art Weggabelung wiederfinden, wie Simona Saluzzo vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) berichtet: "Will ich eine Wissenschafterin werden oder eine gute Medizinerin?" Für sie hat sich dann eine Art doppelte Karriere ergeben, bei dem sich die Arbeit in einem Krankenhaus und medizinische Forschung vermischen.
Forschergehirn "schwierig abzuschalten"
Eher die Ausnahme von der Regel scheint unter den befragten Forscherinnen und Forschern ein "Nine-to-five"-Tagesablauf zu sein. Einer selbstständigen Arbeitsweise und freier Zeiteinteilung steht mitunter die Tatsache gegenüber, dass es keine herkömmlichen Grenzen zwischen Beruf und Freizeit mehr gibt. "Man hat dauernd ein Problem im Kopf und versucht es zu lösen. Das lässt einen nicht los, nur weil man die Tür zur Arbeit hinter sich zu macht", sagt Lukas Mayer von Siemens: "Ein Forschergehirn ist sehr schwierig abzuschalten." Das kann Katja Fröhlich bestätigen: "Man nimmt immer etwas aus seinem Beruf mit in die Freizeit, besonders wenn man liebt, was man tut."
"Ein suchender Blick und hinterfragende Haltung begleitet einen auch nach Feierabend im Alltag", weiß auch Katharina Auer-Voigtländer, Sozialarbeiterin und Sozialwissenschafterin an der Fachhochschule (FH) St. Pölten zu berichten. Im Falle von Nadia Stefanova, die seit 20 Jahren im neurologischen Forschungslabor der Medizinischen Universität Innsbruck arbeitet, gehe man oft nach Hause und frage sich, "was man unter dem Mikroskop gesehen hat". "Manchmal", so die Neurowissenschafterin, "arbeitet man auch im Schlaf weiter".
"Die Arbeit hört nie auf"
"Unsere Stunden zu zählen, wäre wohl erschreckend", sagt Ulrich Technau. Der Biologe ist eine Hälfte eines Forscherehepaars, das im Rahmen einer Doppelberufung aus Norwegen an die Universität Wien gekommen ist. Er und seine Frau, die Mikrobiologin Christa Schleper, würden oft "auch abends zuhause bis spät in die Nacht" arbeiten: "Die Arbeit hört nie auf." Dabei treibt ihn die Frage an, "warum es so eine unglaubliche Vielfalt an Organismen auf der Erde gibt". Diese Leidenschaft spiegelt sich auch gern in einem typischen Biologen-Stereotyp wider, wie seine Frau sagt: "Er kann zuhause eine CD auflegen und stundenlang Vogelstimmen anhören, damit er sich für das kommende Frühjahr einübt."
Forschung und Familie in harmonischen Einklang zu bringen, ist selbstredend nicht leicht. Oft sind es kleine Dinge, die helfen, hier ein Bewusstsein zu entwickeln. Etwa hat Technau Gastvorträge vom Abend auf den Vormittag verschoben. So könnten "alle, die wollen, kommen und zuhören, weil in der Zeit die Kinder betreut sind". Für die Kommunikationswissenschafterin Sophie Lecheler wiederum bedeutet Vereinbarkeit von Familie und Job nicht, dass alles perfekt klappen soll. Vielmehr verschieben sich die Prioritäten: "Als gestandene Mama setze ich nun Grenzen, um genug Zeit mit meiner Familie zu verbringen, und mache mir über den abgelehnten Drittmittelantrag viel weniger Sorgen. Der ist nämlich nichts im Vergleich zu einer durchwachten Nacht mit einem zahnenden Baby."
Forschungs- und Karriere-Ziele
Wenn von Neugier getriebene Wissenschaft das Leitmotiv ist, oder die Möglichkeit "meine eigenen Fragen zu stellen und zu beantworten", wie es der theoretische Physiker Mikhail Lemeshko vom Institute of Science and Technology (IST) Austria formuliert, dann hat wohl auch jede(r) Forschende einen persönlichen "Heiligen Gral" vor Augen. Für Nadia Stefanova wäre es das ultimative Ziel, "eine Krankheit zu therapieren, die bisher unheilbar ist", während Thomas Ortner, Software-Programmierer am Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung (VRVis), den Blick ins Weltall richtet: "Wenn wirklich aufgrund einer Analyse, die mit meinem Viewer gemacht wurde, Leben gefunden wird, dann wäre das schon sehr cool."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science