Wolfgang Bonitz: Ein Veteran in der "spannendsten Zeit in der Geschichte der Medizin"
"Wir stehen am Rande einer medizinischen Revolution", sagt Wolfgang Bonitz, "Chief Scientific Officer" von Novartis in Wien. Jeder, der heute auf dem Gebiet der medizinischen Biologie und Biotechnologie forscht, sei zu beglückwünschen. All die Dinge, über die man vor Jahren nur spekulieren konnte, wie Gentherapie und Zelltherapie, würden nun zur Wirklichkeit. Es gebe die ersten Produkte am Markt, es laufen viele Studien auf diesem Gebiet, und ein "ziemlich spektakulärer Umbruch steht an". Erkrankungen, die früher unheilbar chronisch waren oder zum Tod führten, könne man mit diesen neuen Methoden teils mit einer einzigen Intervention heilen. "Meines Erachtens hat es noch nie so eine spannende Zeit in der Geschichte der Medizin gegeben, wie jetzt gerade", so Bonitz im Gespräch mit APA-Science. Er selbst steckt glücklich mittendrin. Bonitz leitet mit einem spezialisierten Team für die Pharmafirma Novartis österreichweit die klinische Forschung.
Sein Spezialgebiet: klinische Forschung
"Das ist die Durchführung von klinischen Prüfungen, also der Test von Arzneimitteln und Untersuchungen am Menschen", erklärt er. Sie werden in der Konzernzentrale geplant und in vielen verschiedenen Spitälern weltweit durchgeführt, weil man in einem Krankenhaus unmöglich die nötige Zahl an passenden Patienten haben könne. "Man macht die Studien heutzutage multizentrisch, also in vielen Kliniken, und multinational, also in vielen Ländern", so Bonitz. Novartis habe Teams in 45 Ländern und eines davon sei die 50 Kopf starke Truppe in Wien. Hier werden Medikamente und Therapien für die verschiedensten Indikationen getestet: Ein großer Bereich seien Herz-Kreislaufprobleme wie Herzinsuffizienz, Bluthochdruck und damit verbundene Nierenerkrankungen. Weiters forscht man in Wien zu Immunologie und Dermatologie, wie zum Beispiel Psoriasis und rheumatische Erkrankungen. In der Neurologie sind die Novartis-Teams vor allem bei Multipler Sklerose aktiv. Außerdem im Portfolio wären Schmerzkrankheiten, sei es akuter Schmerz wie bei Migräne oder chronischer bei diabetischer Neuropathie. Auch gegen Lungenerkrankungen wie Asthma würde man Verschiedenstes entwickeln. Schließlich seien Netzhauterkrankungen, die zum Erblinden führen können, ein Thema, sie werden etwa durch Diabetes oder fortschreitendes Alter ausgelöst.
Die Medikamente und Therapien dazu werden in Labors entwickelt, anschließend in Tierversuchen getestet. Was sich dort bewährt, kommt dann in die Hände von Bonitz und seinen Kollegen. Die Wissenschafter arbeiten mit Universitätskliniken und anderen Spitälern zusammen, wo Uni-Mediziner spezialisierte Forschungsgruppen haben. Die Novartis-Mitarbeiter koordinieren gemeinsam mit ihnen die Durchführung von klinischen Studien und sammeln die Ergebnisse, um sie zur Auswertung in die Zentrale weiterzuleiten. "Wir machen in Österreich zu jedem Zeitpunkt zirka 80 verschiedene Studien mit verschiedenen Substanzen und haben im Schnitt 1.000 Patienten in klinischen Prüfungen mit unseren Medikamenten", erzählt der Experte.
Vom Mediziner zum Manager
Bonitz studierte Medizin, schon während der Ausbildungszeit zog es ihn zur Forschung. Anstatt in ein Spital oder in eine Praxis zu gehen, hängte er an Studium eine zweijährige Forschungstätigkeit an der Medizinischen Universität Wien an dran. "Dann hat man mich gefragt, ob ich mir die Pharmaindustrie und die klinische Forschung anschauen möchte", berichtet er. "Das hat vom ersten Moment an gepasst für mich und war irgendwie meine Berufung." An seiner Tätigkeit fasziniert ihn die Kombination zwischen medizinischer- und Management-Arbeit. Sie sei ohne die fachlichen medizinischen Grundlagen nicht möglich, und auch die organisatorische, logistische Seite sei herausfordernd. "Es ist ein riesiger Mechanismus und Aufwand, das man es zusammenbringt, dass die richtigen Patienten am richtigen Ort beim Prüfarzt sind und das richtige Medikament zur richtigen Zeit in der richtigen Dosierung bekommen", erklärt er. In den ersten 15 Karrierejahren habe er selbst aktiv klinische Prüfungen betrieben, mittlerweile laufen die Fäden der verschiedensten Projekte bei ihm zusammen.
Eine ganz spezielle Profession
Dieses Management von klinischen Studie ist hierzulande eine eigene, kaum bekannte Profession. In Österreich kann man sich noch nicht darauf spezialisieren, in Frankreich, Großbritannien und der Schweiz zum Beispiel gebe es bereits derartige Postgraduate-Kurse für fertige Mediziner. Fortbildungsmöglichkeiten auf diesem Gebiet braucht es Bonitz Meinung nach auch in Österreich: "Wir haben ein extrem gutes Level an technischer Infrastruktur, genauso ist die medizinische Ausbildung hierzulande top, aber das Know-how, wie man klinische Prüfung macht, ist in Österreich noch nicht so weit wie in anderen Ländern." Um dieses Gebiet zu forcieren, hat er vor mittlerweile 26 Jahren mit befreundeten Kollegen eine Fachgesellschaft namens "GPMed" gegründet – die Gesellschaft für pharmazeutische Medizin. Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und der österreichischen Medizinmarkt-Aufsicht (AGES) habe die GPMed zum Beispiel vor kurzem eine "Roadshow" von Spital zu Spital organisiert, um den Ärzten die neuen EU-Rahmenbedingungen für klinische Prüfungen bekannt zu machen. "Wir sind dazu durch ganz Österreich gereist. Die Vorträge haben die Leute sehr interessiert", berichtet Bonitz.
Manageralltag
Sein typischer Arbeitstag sei der "von jedem normalen Manager". "Ich komme in der Früh ins Büro, bin danach in Sitzungen und Besprechungen und gehe am Abend nach Hause", erzählt er. Doch weder vor noch nach seiner Bürozeit sei die Arbeit zu Ende, per Telefon und Computer bleibe er rund um die Uhr erreichbar. Reisen in die Konzernzentrale zwecks Abstimmung absolviere er regelmäßig, Kongresse zu einzelnen medizinischen Bereichen zu besuchen, überlasse er Mitarbeitern, die die entsprechenden Studien leiten. "Ich versuche aber den Überblick über die neuesten Entwicklungen zu bewahren, was bei all den Gebieten, die wir beforschen, nicht immer leicht ist", so Bonitz. Dazu macht er sich Internet, Fachzeitschriften und andere elektronische Informationsquellen zunutze. Auch Weiterbildungs-Kurse in den Bereichen Management, Personalführung sowie fachliche Schulungen und Medientraining besuche er regelmäßig. "Wie in fast allen Sparten gibt es auch bei uns einen permanenten Fortbildungsprozess".
Familie, Tanz und Freunde spenden Energie gegen österreichische Wissenschaftsunlust
Mit dem Familienleben könne er all diese Tätigkeiten gut vereinbaren, obwohl sein Tagesablauf weit von einem Nine-to-Five Arbeitstag entfernt sei. "Wenn man in meiner Position darauf hinsteuern würde, würde man sich rasch selbst enttäuschen", meint er. Die Arbeit könne er aber gut mit seinem Familienleben vereinbaren. Er ist verheiratet und hat einen mittlerweile erwachsenen Sohn. Zum Ausgleich sei er früher Turniertänzer gewesen und betreibe den Sport mit seiner Frau immer noch "mit Begeisterung" als Hobby. Kochen, Lesen und Zeit mit Freunden verbringen, würden bei ihm ebenfalls für Entspannung sorgen. "Wenn es irgendwie möglich ist, versuche ich auch ein wenig in der Natur unterwegs zu sein, und nicht immer nur in klimatisierten Räumen zu sitzen", sagt Bonitz.
Dabei holt er sich auch die Energie, um mit dem in Österreich oftmals fehlenden Enthusiasmus für Wissenschaft und klinische Forschung zurechtzukommen. "Die größten Probleme bereitet uns eigentlich, dass Österreich kein Land ist, dass sich sehr mit Wissenschaft identifiziert und das Engagement in der Politik dafür enden wollend ist", erklärt er. Es herrsche sehr stark die Vorstellung, dass Krankenhäuser fast ausschließlich für die tägliche Patientenversorgung zuständig seien, aber nicht gleichzeitig den medizinischen Fortschritt vorantreiben sollten. "Auch der Gedanke, dass es für die Patienten gut ist, wenn in einem Spital geforscht wird, ist nicht weit verbreitet", sagt Bonitz: "Wir erforschen in unseren Studien die Medikamente, die es in drei bis fünf Jahren im Handel geben wird". Als Patient habe man dabei die Möglichkeit, die neuesten Medikamente zu bekommen, die den Kranken in anderen Spitäler versagt blieben. "Dieses Konzept, das andere Länder sehr gut verstehen, ist in Österreich im Gesundheitssystem nicht sehr stark verankert", erklärt der Experte. Weil es in vielen öffentlichen Krankenhäusern kein Forschungsauftrag und nicht viel Verständnis dafür gebe, sei die Begeisterung und der Enthusiasmus einzelner Abteilungsleiter und Mitarbeiter besonders gefordert. Eine Ausnahme davon seien die Universitätskliniken.
Von der Uni zum Konzern – ein Kulturschock
Vom akademischen Betrieb in einen Konzern zu wechseln, sei in gewisser Weise ein "Kulturschock". "Mitarbeiter, die von Universitäten zu uns kommen, brauchen meiner Erfahrung nach rund ein halbes Jahr, bis sie sich umgestellt haben", sagt er. Dies liege an der Größe der Strukturen. "Der riesige Vorteil von einem großen Unternehmen ist, dass man hier viele Ressourcen und Möglichkeiten hat, Dinge wie Gentherapien oder neue Medikamente weiter zu bringen". Auf der anderen Seite wäre die Flexibilität eines Konzerns begrenzt - ebenso die Freiheiten einzelner Mitarbeiter. An einer Uni sei hingegen die freie Forschung Grundkonzept, und jeder Mitarbeiter angehalten, dorthin zu folgen, wo ihn Interesse und die Forschungsergebnisse hinführen.
Für junge Kollegen habe er den Rat, der eigenen Begeisterung nachzugehen. "Das ist die tollste und aufregendste Zeit, die es je in der Biomedizin gegeben hat", meint er: "Jeder, der in diesem Gebiet tätig ist, wird außergewöhnliche Dinge tun und miterleben können".
Von Jochen Stadler / APA