"Die Vereinbarkeit als willkommene Unvollkommenheit"
Wissenschafter sein bedeutet unter Druck stehen. Wenn das Karriereziel Professur am Horizont winkt, versuchen Wissenschafter auch wirklich alles unter einen Hut zu bringen: Habilitation, Drittmittelanträge, administrative Tätigkeiten, Konferenzen, Networking und noch vieles mehr. Es ist also keine Überraschung, dass sich im Gespräch zwischen jungen Kollegen dann sehr oft die Frage stellt, wie man oder frau den hohen Arbeitsdruck aufrechterhalten kann, wenn Familienzuwachs geplant ist.
Das Thema Vereinbarkeit ist auch für mich eine sich täglich neu stellende Herausforderung. Als Mutter zweier Kinder sehne ich mich nach einem durchorganisierten Leben bei dem die Woche wenigstens einmal so klappt wie man sich das am Sonntagabend überlegt hatte. Stattdessen läuft regelmäßig alles anders als geplant, und ich halte eine Vorlesung mit einer Bluse verschmiert mit Haferbrei, laufe dann zum Treffen unserer Forschungsgruppe für den zehnten Kaffee, gefolgt vom abendlichen Skype-Gespräch mit Kollegen in den USA bei dem ich ein krankes Kind auf dem Arm halte.
Für manche hört sich ein solcher Alltag vielleicht furchtbar an, und auch ich träume regelmäßig vom Urlaub auf der einsamen Insel. Aber eigentlich schöpfe ich Energie aus diesem dynamischen Wechselspiel zwischen Familie und Job. Vereinbarkeit bedeutet für mich nicht, dass alles perfekt klappen soll. Vereinbarkeit bedeutet, dass man genau die Lebenskonstellation hat, die man sich ausgewählt hat und die einen glücklich macht. Und dass man akzeptiert, nicht immer alles perfekt leisten zu können. Wieder und wieder werde ich aber gefragt: "Wie schaffst du das nur, Mutter und Professorin zu sein?" Abgesehen von den logistischen Herausforderungen, die bei mir sehr stark mit einem gleichberechtigt eingespannten Ehemann und einer lieben Leih-Oma zusammenhängen, schwingt bei dieser Frage ja auch immer etwas anderes mit.
Es geht nämlich eigentlich um die Annahme, dass frau eigentlich außer dem Muttersein nicht noch viel mehr wollen sollte. Viele meiner Freundinnen prophezeiten mir, dass ich nach der Geburt des ersten Kindes sicherlich nicht mehr Wissenschafterin sein wolle, sondern eben Vollzeit-Mama. Dies ist nicht eingetreten. Lediglich meine Prioritäten haben sich verändert, denn früher habe ich oft bis spät in die Nacht gearbeitet, und mir überhaupt zu viele Sorgen um die Qualität meiner Forschung gemacht. Als gestandene Mama setze ich nun Grenzen um genug Zeit mit meiner Familie zu verbringen, und mache mir über den abgelehnten Drittmittelantrag viel weniger Sorgen. Der ist nämlich nichts im Vergleich zu einer durchwachten Nacht mit einem zahnenden Baby. Und übrigens sehe ich mich nie als Teilzeit-Mama. Ich bin immer Mama, aber auch immer Forscherin mit Leib und Seele.
Vielleicht hat mich das Muttersein sogar zur besseren Forscherin werden lassen. Mein Forschungsinteresse ist die politische Kommunikation, und wenn man Kinder hat, dann sieht man Entwicklungen wie Rechtspopulismus, "Fake News" und Hasskommentare im Netz schon mit einem anderen Blick. Ich bin jetzt zukunftsorientiert, will Forschung machen, die die Welt langfristig besser macht.
Was mir zurückblickend auch geholfen hat, war ein einfaches Mantra: Forscherin sein ist auch nur ein Job. Was auf den ersten Blick ziemlich offensichtlich klingt, stellt für viele meiner Kollegen ein Identitätsproblem dar. Zu präsent ist noch das Image des genialen Wissenschafters im Elfenbeinturm, des sonderlichen und obsessiven Professors im Laborkittel oder des einsamen und missverstandenen Genies. Und tatsächlich braucht man für zukunftsweisende Forschung auch eine Menge Inspiration, Kreativität und Intelligenz. Aber, man braucht auch die nötige finanzielle, professionelle und persönliche Infrastruktur und eine Menge lehrbarer Fähigkeiten. Diese Aspekte werden jedoch manchmal vernachlässigt, und vielen jungen Forschern eingeredet, sie müssten dankbar sein für eine schlecht bezahlte und befristete Stelle. Hoch qualifizierte Forscher werden so davon überzeugt, sich weit unter ihrem Wert zu verkaufen. Auf dem Weg zum festen Vertrag oder zur Professur hat mir der feste Wille geholfen, dass die Wissenschaft ein bewusster Karriereweg ist, eine Chance, die ich mit beiden Händen greifen wollte, und zu der es Alternativen gibt, wenn es eben nicht klappt mit der Professur. Es geht doch wirklich nicht darum, wer nun die oder der Schlaueste ist oder ob ich die brillanteste Forscherin in meinem Doktoratskolleg war (ich war es nicht). Es ging darum, Schritt für Schritt die nötigen Fähigkeiten zu lernen, und bewusst die Infrastrukturen auszuwählen, die mich zu meinem Ziel bringen würden. Zu diesen Infrastrukturen zählt dann auch ein Arbeitgeber, der Eltern in ihrem Karriereweg unterstützt und die Vereinbarkeit von Job und Familie so möglich macht.