Zwischen Forschung und Familie
Wer seine Leidenschaft zum Beruf macht, dessen Arbeitswoche hat oft mehr als 40 Stunden. Ulrich Technau und Christa Schleper sind im Rahmen einer Doppelberufung gemeinsam mit ihren beiden Töchtern aus Norwegen an die Universität Wien gekommen. Der Evolutionsbiologe und die Mikrobiologin haben mit APA-Science über die Herausforderung gesprochen, Familie, Freizeit und Forscherkarriere unter einen Hut zu bekommen.
Seeanemonen, Urbakterien und der Mensch
"Unsere Stunden zu zählen, wäre erschreckend", erklärte Technau. "Wir arbeiten oft auch abends zuhause bis spät in die Nacht. Die Arbeit hört nie auf". Der studierte Biologe leitet das Department für Molekulare Evolution und Entwicklung. Er kommt aus der Zoologie, spezialisiert ist er auf Entwicklungsbiologie. Das umfasst Embryonalbiologie, aber auch alle Entwicklungsprozesse, die im adulten Körper stattfinden. Die Entwicklungsbiologie versucht, den genetischen und molekularen Mechanismen der Entwicklungsprozesse auf den Grund zu gehen. "Mich treibt die Frage an, warum es so eine unglaubliche Vielfalt an Organismen auf der Erde gibt. Seeigel, Würmer und Menschen sehen alle unterschiedlich aus, wir wissen aber, dass sie einen gemeinsamen Ursprung haben. Am Anfang fängt ja alles mit einem befruchteten Ei an, das sieht bei verschiedenen Organismen sehr ähnlich aus. Erst später wird es unterschiedlich." Um zu verstehen, welche Prozesse alt sind und welche abgewandelt wurden, die diese Vielfalt an unterschiedlichen Körperbau-Mechanismen hervorbrachten, arbeitet Technau mit seiner Arbeitsgruppe an Organismen, die einen sehr alten Ursprung haben: den Nesseltieren, speziell den Seeanemonen. "Wir haben das Genom sequenziert und schauen uns an, welche Gene wann aktiv sind und welche Funktion sie haben. Dabei haben wir festgestellt, dass viele dieser grundlegenden Gene und das ganze Genom dem des Menschen sehr ähnlich sind - obwohl sie seit 700 Millionen Jahren voneinander getrennt sind."
Obwohl beide Biologen sind, forscht Christa Schleper in eine ganz andere Richtung. Die Mikrobiologin ist die Leiterin der Division für Archaea Biology and Ecogenomics des Departments für Ökogenomik und Systembiologie der Fakultät für Lebenswissenschaften und arbeitet an Archaea, einer bestimmten Gruppe von Mikroorganismen. Sie werden auch Urmikroben genannt, weil viele von ihnen in heißen Quellen und anderen Extremstandorten vorkommen, die an Lebensräume auf der frühen Erde erinnern. Schleper forscht besonders an jenen Archaea, die eine ökologische Rolle für Prozesse in der Umwelt spielen, wie beispielsweise in der Umsetzung des Stickstoffs der durch Düngung in der Landwirtschaft stark angereichert wird. Auch für Schleper ist eine der zentralen Fragen hinter ihrer Forschung, welche Bedeutung ihre Untersuchungsobjekte für die Evolution und Diversifizierung von Organismen auf der Erde haben. "Mikroorganismen waren die ersten Lebewesen", erklärte sie. "Sie haben eine Milliarde Jahre länger existiert als Tiere und Pflanzen und haben in der langen Zeit ihrer Evolution eine große Vielfalt an Metabolismen hervorgebracht."
Arbeitsumfang, die unbekannte Größe
Im Labor stehen die beiden eigentlich kaum mehr. Neben der Arbeit als Gruppenleiter halten sie Vorlesungen und Seminare, betreuen Praktika, sind administrativ in Gremien und Kommissionen tätig - der tatsächliche Arbeitsumfang ist dabei oft nicht im Vorfeld abzuschätzen. "Wir haben ziemlich große Arbeitsgruppen von etwa 20 Leuten", betonte Technau. "Da haben alle unterschiedliche Projekte, von denen viele von uns konzipiert werden. Zur Realisierung der Projekte müssen wir Drittmittel einwerben, denn das Geld kommt ja nur zu einem kleinen Teil von der Uni, zum größten Teil müssen wir es über Forschungsanträge einbringen. Die Betreuung der Mitarbeiter ist unsere wesentliche Rolle. Ich mache aber auch sehr gerne Lehre. Was ich nicht mag, sind die Prüfungen - die mögen die Studierenden auch nicht."
Die viele Arbeit sei zum Teil selbst auferlegt, so Schleper: "Wir könnten auch in kleinerem Rahmen forschen, man könnte sich schon aus vielen administrativen Aufgaben und Begutachtungsverfahren heraushalten." Dass sie es im Endeffekt nicht tun, ist ihrer Leidenschaft und ihrem Berufsethos geschuldet. "Diese Arbeit hat eben auch einen wesentlichen Anteil an der Aufrechterhaltung der wissenschaftlichen Community", meinte Technau.
Es ist die Leidenschaft, die Leiden schafft
Den Forscheralltag von zwei Professoren mit dem Familienleben zu vereinbaren, ist mitunter eine Herausforderung. "Wir haben natürlich schon eine ähnliche Arbeit", so Schleper, "und tauschen uns darüber aus. Das Gute ist, dass wir gemeinsam diskutieren können. Für einen Job wie unseren braucht man viel Verständnis, weil wir ständig in Bereitschaft sind. Der Nachteil ist, dass wir die Arbeit nach Hause tragen."
"Wir waren in den Semesterferien eine Woche Schifahren, aber wegen der Organisation einer grossen Konferenz musste ich morgens und abends dann doch meine E-Mails anschauen und Telefonate führen", gab Technau zu. "Da sind jeden Abend nochmal ein bis zwei Stunden draufgegangen." "Ich habe auch noch ein paar Tage gebraucht, um herunterzufahren", schloss sich Schleper an.
Das sei aber nicht non-stop so, betonte Technau. Auf der positiven Seite würden sie ihren Töchtern Passion für einen Beruf vermitteln. "Je älter sie werden, desto mehr erkennen sie, dass wir für unsere Arbeit eine Leidenschaft haben, und das wissen sie zu schätzen, ebenso wie die Freiheiten des Forschers. Sie wollen selbst auch einen Beruf, für den sie brennen können und in dem sie selbstbestimmt arbeiten", so Schleper.
Forscher auf Umwegen
Ihre Leidenschaft war es letzten Endes, die die beiden gebürtigen Deutschen über Norwegen 2007 nach Österreich verschlagen hat. "Das Forschungsumfeld in Wien ist ausgezeichnet", zählten sie auf. "Das Jobangebot war attraktiv - als Paar eine Doppelprofessur zu bekommen, ist nicht alltäglich. Die Stadt, die Kollegen", wären ausschlaggebende Faktoren gewesen. Parallel zu dem Angebot der Universität Wien hatten sie ein Angebot der Technischen Universität München. "Das Angebot aus München war durchaus sehr kompetitiv, Wien erschien uns aber vom wissenschaftlichen und kulturellen Umfeld interessanter."
Wald-und-Wiesen-Biologie
Auch in der Freizeit sind Technau und Schleper mit ganzem Herzen Biologen. "Der Uli entspricht schon perfekt dem Stereotyp eines Biologen", behauptete Schleper. "Er kann zuhause eine CD auflegen und stundenlang Vogelstimmen anhören, damit er sich für das kommende Frühjahr einübt. Darauf bin ich neidisch. Aber ich bin halt in die Molekularbiologie reingerutscht, das ist weniger Wald-und-Wiesen-Biologie. Wobei ich es schon liebe, in die Natur zu fahren und Proben zu nehmen. Ich war zum Beispiel in Kamtschatka im äußersten Osten Russlands und auf Island, um an heiße Quellen zu reisen und Proben zu holen. Den Kontakt zur Natur als Forscher finde ich genial."
Damit sich bei so vielen Gemeinsamkeiten nicht zu viele Berührungspunkte ergeben, halten sie ihren Kontakt auf der Uni auf einem Minimum. "Wir gehen vielleicht zweimal im Jahr gemeinsam Mittagessen", bemerkte Schleper. "Wir vermeiden es auch, in gemeinsame Kommissionen zu gehen. Das sähe ja komisch aus", bestätigte Technau.
Gender-Gap im Bio-Lab
Dass es nicht leicht ist, Forschung und Familie in harmonischen Einklang zu bringen, verrät auch ein Blick auf die Geschlechterverhältnisse der Biologie-Professuren, wo auf über 20 Professoren nur zwei Professorinnen kommen. "Wir sind in der Biologie schlechter dran als in der katholischen Theologie", echauffierte sich Schleper. "Der Gender-gap unter den Professoren hat natürlich vielfältige Ursachen. Auffällig ist, dass der Knick nach der Doktorarbeit eintritt", erklärte Technau. "Etlichen Frauen fehlt dann vermutlich der Glaube, dass man eine wissenschaftliche Karriere mit Familie vereinbaren kann. Es fehlen teilweise auch die sicheren Perspektiven im entscheidenden Alter. Oft ist es ja so, dass der Mann in einer Beziehung älter ist als die Frau und deshalb auch karrieremäßig schon weiter. Da richten sich dann meist die Frauen nach den Männern und bleiben mit den Kindern zuhause. Das ist sehr schade, denn wie können wir dann den Frauenanteil heben? Den Frauen fehlen die Role Models."
"Über all die Jahre ist eines auffällig", bemerkte Schleper, "Wir haben eigentlich sehr viel fifty-fifty gemacht. Mir wurde dabei immer gesagt, wie wunderbar ich das mache und wie großartig es ist, dass ich das alles schaffe. Aber das hat nie jemand zu meinem Mann gesagt. Dabei sollte man ja genau die Männer in diese Richtung viel mehr unterstützen und das viel mehr anerkennen. Wenn sich die gesellschaftliche Rolle des Mannes hier spürbar ändert und Kindererziehung noch mehr zur gemeinsamen Aufgabe wird, würden Frauen sicherlich auch häufiger den wissenschaftlichen Karriereweg einschlagen."
In Norwegen sei die Lage anders gewesen. Höhere Kinderquoten, familienfreundliche Arbeitszeiten und gleichzeitig mehr berufstätige Frauen und Kinder-betreuende Männer seien dort die Norm gewesen, weil gesellschaftlich akzeptierter. Dafür fehle in Österreich teilweise noch das Bewusstsein, so Technau, der zu Beginn seiner Karriere in Österreich als Erstes die Gastvorträge vom Abend auf den Vormittag verschoben hat. "Dann können alle, die wollen, kommen und zuhören, weil in der Zeit die Kinder betreut sind. Das sind so kleine Dinge, wo ein Bewusstsein entstehen muss. Das muss vom Umfeld mitgetragen werden."
Von Anna Riedler / APA-Science