Klement Tockner: "Manche Chancen kriegt man nur einmal"
Seit 2016 ist Klement Tockner Präsident des Wissenschaftsfonds (FWF) und gerade erst wurde sein Vertrag bis 2024 vorzeitig verlängert. Davor war der Gewässerökologe ein wahrer Globetrotter, mit Forschungsaufenthalten in Ruanda, Uganda, Japan, Italien, der Schweiz, den USA und Deutschland. Nach Österreich mitgenommen hat er davon vor allem Neugier und eine "Großzügigkeit im Denken".
Wissenschaftlich vorbelastet war der 1962 in Schöder geborene Steirer "ganz sicher nicht", wie er im Gespräch mit APA-Science schmunzelnd erzählt. Seine Eltern waren Bauern und von den acht Geschwistern spricht niemand Englisch oder hat eine höhere Schulbildung, alle haben einen klassischen Arbeiterberuf. Im Haus gab es keinen Fernseher, schon dieser Umstand förderte notgedrungen die Kreativität und Neugier, sich zu beschäftigen. Man hat sich "Geschichten erzählt und erfunden", und auch der Kontakt mit der Natur war intensiv und stark.
Kausale Zusammenhänge für den späteren Forscherberuf will Tockner aus der Kindheit keine konstruieren, wiewohl sich der einstige Berufswunsch "Weltreisender" und dabei unerforschte Landstriche zu entdecken und den Südpol zu erreichen, zumindest hinsichtlich der vielen Reisen erfüllt haben dürfte.
Wenn auch nicht gleich klar war, wohin die berufliche Reise dann tatsächlich geht, gab es zumindest einen klaren Wink des Schicksals, wohin es nicht gehen sollte. Nach einem Vorstellungsgespräch in einer nicht näher genannten Behörde in einem nicht näher genannten Bundesland stand schnell fest: "Ich bewerbe mich erst wieder mit 45 für so eine Stelle und bis dahin tue ich alles, um mich nicht mehr für so eine Stelle bewerben zu müssen." Aber das war vor 25 Jahren.
Mentoren und Schlüsselmomente
Geplant war die wissenschaftliche Karriere also zunächst nicht, sondern hat sich nach und nach herauskristallisiert. Eine wichtige Rolle für das Einschlagen einer solchen hatten einzelne Personen und Mentoren, etwa Doktoratsbetreuer Gernot Bretschko, damaliger Leiter der Biologischen Station in Lunz am See (Niederösterreich). Von ihm kam der Vorschlag, doch für ein Projekt nach Afrika zu gehen. "Ich habe keine zwei Sekunden gezögert und gesagt: Ja, das mache ich", erinnert sich Tockner an einen sprichwörtlich fliegenden Übergang zwischen Lebensabschnitten: "Ich habe meine letzte Prüfung im Rigorosum gemacht und am Abend bin ich im Flugzeug nach Afrika gesessen."
Sechs Monate lang arbeitete der junge Gewässerökologe in Ruanda an einem Projekt der österreichischen Entwicklungshilfe mit, bei dem ein Wasserkonzept für das Land unter Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte entwickelt wurde. Später folgte noch ein Aufenthalt in Uganda, diesmal für eine Umweltverträglichkeitsprüfung für ein von Österreichern geplantes Wasserkraftwerk. In Zusammenarbeit mit ugandischen Wissenschaftern kam man zu der Empfehlung, das Kraftwerk nicht zu bauen, weil es sich um ein ökologisch besonders wertvolles Gebiet handelte.
"Hire him, you can fire him again in a year"
Der große wissenschaftliche Schritt gelang aber mit einer Bewerbung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Wie Tockner später erfuhr, stand die Berufung nicht gleich fest, sondern zunächst ein wenig auf der Kippe. Der Institutsleiter, ein Amerikaner, beratschlagte sich dazu offenbar mit einem Kollegen in den USA. Sollte man jemanden holen, der dynamisch und begeisterungsfähig ist, aber wenig vorzuweisen hat? "Hire him, you can fire him again in a year" ("Stell ihn ein, du kannst ihn in einem Jahr wieder feuern"), lautete der Rat, der sich als Schlüsselmoment herausstellen sollte.
Für Tockner war klar: "Diese Chance kriegst du nur einmal und es liegt an dir, sie zu nutzen." Obwohl es zu Beginn nicht einfach gewesen sei, sich in einem neuartigen Wissenschaftsbetrieb einzuarbeiten, habe sich die neue Aufgabe als "absoluter Befreiungsschlag" erwiesen. Die konstruktive Arbeitsphilosophie und Wissenschaftskultur an der ETH und an der EAWAG (dem Wasserforschungsinstitut im ETH-Bereich) erwies sich als erfrischender Gegenpol zu oftmals demotivierenden Gepflogenheiten im österreichischen System. Im Rückblick gibt sich Tockner, der insgesamt elf Jahre an der ETH verbrachte - vom Oberassistent bis zum Titularprofessor -, aber versöhnlich. In den vergangenen 25 Jahren habe sich die wissenschaftliche Kultur in Österreich massiv zum Positiven verändert.
"Let's talk about science"
Beeindruckend und prägend hat sich auch ein Forschungsaufenthalt in den USA im Rahmen eines einjährigen Sabbaticals gestaltet. Kaum am Institute of Ecosystem Studies (heute: Cary Institute of Ecosystem Studies; Anm.), einem der führenden Institute in der Ökosystemforschung in Millbrook (New York), angekommen, ging es in einer positiven und dynamischen Atmosphäre gleich zur Sache, erinnert sich Tockner: "Let's talk about science!" Die Offenheit, internationale Ausrichtung und das "kreative Zulassen" von Ideen, die der Forscher dort vorfand, seien besonders wichtige Ingredienzien für erfolgreiche Forschung.
Das Resümee über das Sabbatical, das die EAWAG bei voller Bezahlung ihren Forschern alle sieben Jahre ermöglichte: "Man bringt neue Ideen und Netzwerke mit, man ist anders motiviert, es ist persönlich auch eine unglaubliche Bereicherung. Ich war mit der Familie dort, die Kinder haben absolut profitiert, sind in Amerika auch in die Schule gegangen."
Von den verschiedenen Stationen im Ausland - darunter auch zwei Monate in Japan - hat Tockner eine "Großzügigkeit im Denken" mitgenommen, die Aufenthalte waren aber auch "Futter für die Neugierde". Nicht zu vergessen: "Es ist ein unglaubliches Privileg, als Wissenschafter zu arbeiten - besonders, wenn man eine permanente Stelle hat." Dieses Privileg müsse man dann allerdings auch in langfristiges Denken ummünzen und sich zugleich für die Wissenschaftsgemeinschaft einsetzen. Wer in die Wissenschaft gehen wolle, sollte bedenken, dass es nicht nur einen wissenschaftlichen Karriereweg gebe. Eine zu lineare und starre Sicht könne hier direkt ins Scheitern führen, wie Tockner zum Teil unter ehemaligen Studienkollegen beobachten konnte.
Zwischen Ökologie und Bürokratie
Auch neben der fordernden Tätigkeit als FWF-Präsident lässt es sich Tockner nicht nehmen, in seinem angestammten Gebiet aktiv zu bleiben, wenn auch mittlerweile eher an Urlaubstagen oder Wochenenden. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Ökologie, Biodiversität und nachhaltiges Gewässermanagement. Direkt vor dem Job im Wissenschaftsfonds leitete er bis 2016 mit dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei das größte Forschungszentrum für Binnengewässer in Deutschland.
Die Leidenschaft für diese Themen scheint ungebrochen: "Die meisten Menschen wissen nicht, dass Gewässer extrem artenreich sind und gleichzeitig zu den gefährdetsten Ökosystemen weltweit zählen." Angesichts des zunehmenden Artensterbens müsse man sich bewusst sein, dass die biologische Vielfalt die akkumulierte Information von mehreren Milliarden Jahren natürlicher Evolution darstelle. "Das sind unsere Bibliotheken der Natur", so Tockner.
In der Zeit, die er als Präsident des Wissenschaftsfonds noch bis 2024 hat, ist ihm ganz allgemein wichtig, die Forschungslandschaft Österreich voranzubringen und den FWF nachhaltig gestärkt zu positionieren. Dabei gehe es darum, "dass deutlich mehr Fördermittel über den FWF in die wissenschaftliche Community fließen". Darüber hinaus ist es Tockner ein Anliegen, durchaus auch immaterielle Werte wie Freude und Begeisterung für die Wissenschaft zu fördern und zu vermitteln - und zugleich "einen begründeten Stolz auf Österreich als Wissenschaftsland".
Zwischen Wien und Berlin
Wie war nun der schrittweise Verlauf vom reinen Forscherdasein, und dann Leiter des Leibniz-Instituts, zum FWF? "Eigentlich ist es gar nicht so unterschiedlich", so Tockner. Längerfristiges Denken und Durchhaltevermögen seien nun vermehrt gefragt - und Geduld: "Man hätte bei manchen Sachen gern, dass sie schneller umgesetzt werden. Man weiß ja, was zu machen ist, und es passiert einfach nicht. Das muss man verstehen, ohne die großen Ziele aufzugeben."
Bei all dem sei es besonders bedeutsam, den Kontakt zur Wissenschaft nicht zu verlieren und niemals von einem Amt oder einer Position abhängig zu sein. "Ich will das Standbein als Forscher auch in Zukunft weiter pflegen." Der Übergang vom Leibniz-Institut in Berlin zum FWF in Wien war fließend und ist es familiär gesehen immer noch. Frau und jüngere Tochter sind noch in der deutschen Bundeshauptstadt, die ältere Tochter studiert in Amsterdam und Tockner selbst lebt einstweilen Montag bis Freitag in Wien, von wo aus er am Wochenende nach Berlin pendelt.
Familie als Rückzugsgebiet
Familie und Beruf lassen sich gut verbinden - "es müssen natürlich alle mitspielen". "Die Familie ist ein Rückzugsgebiet, aber auch große Unterstützung und Motivator, was sich gegenseitig bedingt." Dass er die wissenschaftliche Karriere nun vergessen könne, wie es ihm ein - kinderloser - Kollege einst nahelegte, als das erste Kind im Anmarsch war, habe sich nie bewahrheitet.
Im Urlaub ging es in den vergangenen Jahren immer wieder einmal nach Süd- und Osteuropa, von Albanien bis zur Ukraine. Und in den Stunden, die nicht dem Beruf oder der Familie gewidmet sind, darf es gerne ein Buch zum Zeitvertreib sein. In jüngster Zeit haben neben Sachbüchern zwei Werke des US-Autors John Williams bleibenden Eindruck hinterlassen, "Stoner" und "Butcher's Crossing". Derzeit, so Tockner, sind es oft drei oder mehrere Bücher gleichzeitig, die parallel gelesen werden.
In Summe sind es aber die Aufgaben als FWF-Präsident, die die meiste Aufmerksamkeit und Zeit in Anspruch nehmen: "Jetzt gilt für mich, alle Kraft und Energie dafür einzusetzen, die wissenschaftlichen Rahmenbedingungen in Österreich weiter zu verbessern. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass sich noch mehr Forschende hierzulande an der Weltspitze ihres Faches etablieren können."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science