Didaktik mit Taktik
Heute fordert die Berufswelt Absolventen, die gut vorbereitet sind und anpacken können. Lange Einarbeitungszeiten sind in so gut wie jeder Branche passé, Wettbewerbsfähigkeit geht über alles. Folgerichtig setzt man auch an den Universitäten und Fachhochschulen auf den Erwerb von Kompetenzen und problemorientiertes Lernen. Doch der Einsatz für die Lehre wird von offizieller Seite noch wenig honoriert.
Lernziele für ein kompetenzorientiertes Lernen zu definieren ist nichts ganz Neues, sie umzusetzen, sehr wohl. Bemerkenswert konsequent und vorbildhaft geht die Veterinärmedizinische Universität Wien diesen Weg. Seit dem Wintersemester gilt das neue, deutlich entrümpelte und gestraffte Curriculum für Veterinärmedizin. Ausschlaggebend für den Schritt war eine mit dem Studium seit langem bestehende Unzufriedenheit auf allen Seiten, erzählt Vizerektorin Petra Winter im Gespräch mit APA-Science. Eine breit angelegte Stärken-Schwächen-Analyse lieferte dann die harten Fakten zutage. "Bei den Pflichtpraktika erhielten wir die Rückmeldung, dass unsere Studenten in der Praxis zu wenig können, unselbstständig sind und kein Engagement aufweisen." Auch die Absolventen selbst waren unsicher, was ihre Fertigkeiten betraf. Befragungen von Lehrenden und anderen Arbeitgebern lieferten ein ähnliches Bild. "Das zu vermittelnde Fachwissen wurde immer mehr. Und die Studierenden hatten keine Gelegenheit, zu üben, sie haben Situationen immer nur beschreiben müssen", stellt Winter fest.
Breiter Konsens gesucht
So sorgte die Vizerektorin in einem Kraftakt unter Einbindung eines Drittels aller Lehrenden über eineinhalb Jahre hinweg dafür, dass der Studienplan 'entrümpelt' und der Fokus wieder auf die Veterinärmedizin gelenkt wurde. "Wir haben veterinärmedizinische Lernziele formuliert - Chemie und Physik wurden beispielsweise reduziert; mit den klinischen Fächern wird viel früher begonnen." Disziplinendenken wurde aufgelöst, stattdessen wird Wissen in thematischen Blöcken wie dem Herz-Kreislauf-System oder Bewegungsapparat vermittelt. Als Vorbild diente die niederländische Universität Utrecht.
Die fünfzehn Arbeitsgruppen mit insgesamt 130 Lehrenden formulierten Lernziele und brachen diese dann in die dazu passenden Lehrveranstaltungs-Typen herunter. "Auf diese Weise lässt sich leichter ein Prüfungsszenario entwickeln", so Winters Erfahrung. Apropos Prüfungen: Die wurden deutlich reduziert. "Wir haben stattdessen mehr prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen, bei denen Leistung durch die Mitarbeit und das Engagement gewertet wird." Studenten müssten auch jetzt Wissen - meist schriftlich - zeigen, aber zusätzlich eben auch Fertigkeiten. Bei der Stundenplanerstellung werde darauf geachtet, dass Vorlesung und Übung zeitnah stattfänden.
Das oberste Prinzip "Lernziel" zieht sich überall durch: Für Multiple Choice-Tests wurde eine elektronische Prüfungsplattform angeschafft und so aufgesetzt, dass die Fragen nicht einer Disziplin zuzuordnen sind, sondern einem Lernziel: "Hier schließt sich der Kreis auch für die Lehrenden, die vielleicht zu Anfang nicht ganz verstanden haben, warum sie das machen müssen", erzählt Winter. So betrifft etwa die Frage nach den physiologischen Vorgängen in der Atmung Physik, Biochemie, Physiologie oder Anatomie gleichermaßen.
Qualitätssicherung durch Kooperation
Zugespielt hat der Vetmed das Projekt KELDAT - Kompetenzzentrum für E-Learning, Didaktik und Ausbildungsforschung der Tiermedizin - , an dem sie beteiligt ist. Das europäische Projekt deutschsprachiger Unis hat das Ziel, Kompetenz und Didaktik abzustimmen bzw. die bereits bestehenden Schwerpunkte einzelner Unis einfließen zu lassen. "Es geht etwa um Qualitätssicherung bei der Erstellung von Prüfungsfragen. Darum, wie man Lehrinhalte einer Uni für andere sichtbar machen und zur Verfügung stellen kann", erklärt Winter.
Ein wichtiges Instrument in der gesamten Curriculum-Umstellung ist der "Kompetenzcheck". Der etwa 45-minütige Online-Fragebogen erhebt die Selbsteinschätzung der Studierenden ("Wie schätze ich meine Kompetenz im Untersuchen eines Auges ein?", die Einschätzung der Vermittlung durch den Studienplan ("Aber im Curriculum hab ich das nicht gelernt") sowie die Einschätzung der Lehrenden. Ab kommendem Jahr wird der Kompetenzcheck jeweils im 6. und im 10. Semester standardmäßig durchgeführt. Die Studierenden erhalten derzeit noch keine persönliche Rückmeldung, sondern sehen, wo ihr Jahrgang liegt und inwieweit dieser vom Sollwert abweicht.
Bisherige Leistungsmessung "problematisch"
"Die Leute wollen gut unterrichten, aber dafür ist 'Support und Supervision' notwendig. Nicht der Einzelne muss alles können, jeder hat seine Stärken, und der Erfolg liegt sicher in der Teamarbeit", ist die Rindermedizinerin überzeugt. "Es muss selbstverständlich sein, dass man auch einmal einen 'Journal Club' über Lehre und Didaktik und nicht nur zu Forschungsinhalten macht." Mit dem "Impulsfrühstück", das regelmäßig stattfindet, hat Winter eine niederschwellige Plattform für didaktische Themen geschaffen. Geladen werden hauseigene Persönlichkeiten wie "Teacher of the Year 2013" Britta Vidoni, aber ebenso externe Fachleute wie Rudolf Egger vom Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Uni Graz. Das Frühstück wird auf Video aufgezeichnet und kann später auch im Internet angesehen werden. "Das trägt zur Sichtbarmachung der Lehre bei, weil die Leute darüber reden", so Winters Erfahrung.
Als größtes Problem, was den Stellenwert der Lehre anbelangt, sieht Winter die Leistungsmessung der Unis. "Im Wissenschaftsministerium wird der Erfolg einer Universität anhand der Forschung und zum Teil über Kennzahlen gemessen, die nicht unbedingt etwas mit Didaktik zu tun haben müssen, wie Drop-Out-Rate oder Erfolgsquote", kritisiert Winter. Sie hält ein Indikatorsystem auch für die Lehre nach dem Vorbild anglikanischer Länder für dringend notwendig. "Im Kollektivvertrag wird zwar festgelegt, wieviele Stunden Lehre jemand machen darf, aber im persönlichen Lebenslauf wird das leider nicht gewichtet. Jemand, der sich extrem in der Lehre engagiert und dadurch Zeit in der Forschung verliert, ist sicher im Nachteil", stellt sie fest.
Bisher seien es einzig die Medizinischen Unis, etwa die MedUni Graz, die versuchten, sich in ihrer Habilitationsrichtlinie an diesem Indikatorsystem zu orientieren und die neben gesammelten Punkten in der Forschung auch welche für die Lehre voraussetzen.
Persönlichkeit siegt über Technik
Das Bewusstsein für das "Wie" in der Lehre steigt auch an den übrigen Institutionen seit Jahren, wovon eine Reihe von Aktivitäten wie der fast überall stattfindende "Tag der Lehre" oder der 2013 erstmals vergebene Staatspreis "Ars Docendi" (siehe Gastkommentar) zeugen. Denn engagierte Vortragende sind der Motor für eine Weiterentwicklung des Hochschulsektors, neuen Technologien und Möglichkeiten wie MOOCs (Massive Open Online Courses, siehe Hintergrund) kann dabei nur eine ergänzende Rolle zukommen.
An der Universität Innsbruck wird Fortbildung im Bereich der Didaktik groß geschrieben. Das "Zertifikat Lehrkompetenz", dessen Basisversion alle jungen Mitarbeiter absolvieren müssen, belegt das Engagement der hauseigenen Qualitäts- und Personalentwicklung. Untermauert wird dies nicht zuletzt durch die Tatsache, dass 2013 gleich drei "Ars Docendi" nach Innsbruck gingen.
Einer der Ausgezeichneten war Prof. Wolfgang Fellin vom Institut für Infrastruktur. "Ich war von der HTL selber einen sehr lebendigen Unterricht gewöhnt", erzählt er gegenüber APA-Science. So sei er als junger Lehrender rasch von den an der Uni üblichen zeitversetzten Blöcken von Theorie und Praxis - also Vorlesung und Übung - abgekommen. "Wenn jemand vorne etwas vorrechnet, ist er für die meisten entweder zu schnell oder zu langsam. Wenn dort 120 Leute sitzen, machen maximal fünf oder sechs mit", so seine Erfahrung. Deshalb halte er sich an Konfuzius: "Sag es mir, und ich werde es vergessen. Zeig es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können". Er teilt seine Studenten in Kleingruppen ein und lässt sie Aufgaben lösen. "Wenn sie zu mir kommen, sind alle vorbereitet", ist er zufrieden. Beliebt seien bei den Studierenden auch interaktive Tools wie eine Plattform für die Bewertung von Baugründen oder ein Geotechnik-Online-Quiz.
Authentisches Auftreten
"Ich mag die Diskussion, die Reibung", erklärt er. Der klassischen Vorlesung will er das Existenzrecht aber auch nicht absprechen: "Es gibt Menschen, zu denen Vorlesungen passen, die 'brennen', und da bringt auch eine Vorlesung den Studierenden etwas", ist er überzeugt und plädiert für Authentizität. "Man muss die Methode wählen, die zu einem passt: müsste ich eine Vorlesung halten, ich wäre wie ein Automat". Wichtig sei, dass die Umsetzung der didaktischen Konzepte mit den Kollegen gemeinsam erfolge: "Wir sind ein recht gutes Team", stellt er fest. Aber auch er merkt an, dass einem die Zeit, die man zusätzlich für die Lehre aufwendet, beim Forschen fehlt. "Aber das ist, was die Uni natürlich will: dass geforscht wird."
Teaching Awards im ganzen Land
Auch hausintern vergeben Unis und Fachhochschulen landauf, landab Lehrpreise. Nominiert werden die Lehrveranstaltungen von den Studierenden, der ÖH oder den Fakultäten, teilweise können sich Lehrende selber bewerben. Seit 2008 werden etwa an der Universität Innsbruck alle zwei Jahre die Auszeichnung "LehrePlus!" und ein Preis in der Kategorie E-Learning verliehen. "Seit 2012 haben sich die Nominierungen verdoppelt, heuer gab es 38 Einreichungen", heißt es aus dem Büro des Vizerektors Roland Psenner, der die Würdigung als "schöne Anerkennung" sieht.
Die Karl-Franzens-Universität Graz vergibt den Preis "Lehre: Ausgezeichnet!" und den E-Learning-Preis "ELCH", welcher hervorragende Initiativen sowohl seitens Lehrender als auch Studierender auszeichnet.
Ein Jahr Auszeit für die Lehre
"Teaching Awards" verleihen etwa auch die Fachhochschule Joanneum, die Universität Wien oder die Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien. "Natürlich hat der 'Teaching Award' die Sichtbarkeit der qualitätsvollen Lehre gehoben und die Diskussion zu innovativer Lehre intensiviert", erläutert Hannelore Schopfhauser vom Zentrum für Lehre an der BOKU gegenüber APA-Science. Doch auch sie stellt fest, dass so ein Preis "eine persönliche Auszeichnung und kein Karrierekriterium" ist. Ihrer Ansicht nach brauche es eine entsprechende Ausstattung, um dem Einzelnen die Zeit zum Austausch mit anderen zu verschaffen, sowohl innerhalb der BOKU als auch mit Kollegen an in- und ausländischen Universitäten. "Neue Ideen muss man nicht nur entwickeln, sondern auch umsetzen können" merkt sie an und schlägt analog zum Forschungsjahr ein "Lehr-Sabbatical" vor.
Qualitätsmanagement auf hohem Niveau
Auf ein Jahrzehnt an Erfahrung mit hausinternen Lehrpreisen kann die Wirtschaftsuniversität (WU) Wien verweisen. Sie vergibt jährlich Auszeichnungen in den Kategorien "Innovative Lehre" und "Exzellente Lehre" sowie den "eTeaching-Award". Sie richtet zudem die Tagung des Netzwerks für Qualitätsmanagement und Qualitätsentwicklung der österreichischen Universitäten von 8. bis 9. Oktober in Wien aus (siehe Gastkommentar), die sich mit der Nützlichkeit und Wirksamkeit von Qualitätssicherung im Hochschulbereich auseinandersetzt.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science