"Vom Elfenbeinturm in den Zirkus? ..."
"... oder: "Was macht Wissenschaft (un-)interessant?"
Mehr denn je sind Hochschulen heute zur Öffnung aufgefordert: Heraus aus dem Elfenbeinturm hin zu Kommunikation mit der Gesellschaft und Kooperation mit der Wirtschaft. Immer mehr Ressourcen fließen in Wissenschaftsmarketing, -kommunikation und -vermittlung, obwohl (oder gerade weil?) die Forschung mit ohnehin knappen Mitteln zu kämpfen hat. Medienpräsenz und öffentlichkeitswirksame Auftritte gehören immer öfter zum Alltag führender WissenschafterInnen im Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Fördergelder. Dabei wäre die Frage "Was macht Wissenschaft (un-)interessant?" noch vor wenigen Jahrzehnten als absurd abgetan worden. Die Wissenschaft war als wesentliches Fundament unserer Kultur unumstritten. Neues Wissen zu schaffen, war Aufgabe genug. Wissenschaft konnte zunächst auch zweckfrei agieren und benötigte keine PR-Agentur, um sich durch öffentlichkeitswirksame Berichte zu rechtfertigen. Es war auch nicht erforderlich, Förderstellen mit Anwendungsfeldern und Verwertungsstrategien zu überzeugen, noch bevor überhaupt erste Teilergebnisse vorlagen. Auch für Forschungsfeste und vergleichbare Aktivitäten, die mit hohem Aufwand und möglichst großem Unterhaltungswert auf Forschung aufmerksam machen sollen, gab es lange keine Notwendigkeit.
Neugier und Wissensdurst als Triebfedern
Stattdessen waren irgendwann einmal Neugier und Wissensdurst als urmenschliche Eigenschaften nicht nur ganz wesentliche Antriebskräfte für Wissenschaft und Forschung, sondern auch die beste Motivation, um Neues zu lernen. Die Einheit von Wissenschaft und Forschung als sich gegenseitig bedingende und befruchtende Aufgaben wissenschaftlicher Institutionen wurde demnach auch lange hochgehalten. Unter dieser Prämisse war der sprichwörtliche Elfenbeinturm keineswegs verwerflich, sondern ganz im Gegenteil ein durchaus erstrebenswerter geschützter Ort des Rückzugs, der es der Wissenschaft ermöglicht, unabhängig von unerwünschten äußeren Einflüssen und somit frei zu denken und zu handeln, den Dingen auf den Grund zu gehen und die dabei gewonnenen Erkenntnisse in der Lehre an Interessierte weiter zu geben und zu diskutieren. Wer die Lehre ernst nimmt und nicht als notwendiges Übel betrachtet, tritt ganz selbstverständlich auch in einen Dialog mit der Gesellschaft. Wissenschaft stellte sich - trotz aller Missbräuche, die es wohl immer auch gegeben hat - in den Dienst der Gesellschaft, und neue wissenschaftliche Erkenntnisse trugen möglichst zu einer Erhöhung der allgemeinen Lebensqualität bei. Es bestand somit auch gar keine Notwendigkeit, Plattformen für "Responsible Science" beizutreten, um sich öffentlich zu gesellschaftlicher Relevanz und sozialer Verantwortung von Wissenschaft zu bekennen.
Wen verwundert noch irgendetwas?
Zweifellos hat sich in den letzten Jahrzehnten u.a. durch Globalisierung und Digitalisierung vieles ganz grundlegend verändert. Wenn heute jede beliebige Information an jedem beliebigen Ort zu jeder beliebigen Zeit problemlos verfügbar ist und irgendwelche Antworten gegeben werden, noch bevor überhaupt jemand irgendeine Frage formuliert hat, so verwundert es wenig, dass Neugier und Wissensdurst oft nur mehr eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn der allgemeine Lebensstandard trotz aller gegenwärtiger Krisen ein derart hohes Niveau erreicht hat und sich die Umwelt mit einem derart hohen Tempo weiter entwickelt, dass Verbesserungen und Veränderungen kaum mehr spürbar sind und sich der wirtschaftliche Druck schon durch das Ziel, den gewohnten Standard zumindest halbwegs zu halten, sukzessive erhöht, so verwundert es wenig, dass das Streben nach mehr Qualität durch ein Streben nach höherer Effizienz ersetzt wird und zunächst zweckfreies Wissen seine Existenzberechtigung zu verlieren scheint.
Wenn in Zeiten eines vermeintlichen Siegeszugs des Populismus Intellektuelle vielfach als "Besserwisser", "Gutmenschen" oder "Phantasten" abgetan werden und es in einer gratis (Netz-)Kultur für gründlich recherchierte, gut argumentierte und in den passenden Kontext gestellte Sachverhalte keinen Platz mehr zu geben scheint, so verwundert es wenig, dass das allgemeine Niveau des öffentlichen Diskurses nach und nach abnimmt. Wenn die Notwendigkeit von Wissenschaft und Forschung kaum mehr mit ihrer fundamentalen Bedeutung für eine aufgeklärte demokratische Gesellschaft, sondern ständig mit der Wichtigkeit für die Innovationskraft des Wirtschaftsstandorts argumentiert wird, so verwundert es wenig, dass die freie Wissenschaft zunehmend in Bedrängnis gerät und vermarktet werden muss, um ihre Berechtigung nicht zu verlieren. Wenn die Wichtigkeit möglichst hoher Bildungsstandards vor allem im Zusammenhang mit Beschäftigungsfähigkeit diskutiert wird, so verwundert es wenig, dass Bildung allzu oft mit Ausbildung verwechselt bzw. gleichgesetzt wird.
Offene Hochschulen: Wissenstransfer als dritte Mission
Vor dem Hintergrund dieser tiefgreifenden Veränderungen wird nun immer öfter auch die Frage gestellt, was Wissenschaft (un-)interessant macht. Seit einigen Jahren wird vermehrt über die Rolle der Hochschule für Gesellschaft und Wirtschaft debattiert und bisweilen auch eine Neupositionierung gefordert. In Ergänzung zu Forschung und Lehre sollen Hochschulen eine "dritte Mission" erfüllen, die oft ganz allgemein mit Wissenstransfer umschrieben wird und zu einer stärkeren Öffnung wissenschaftlicher Institutionen führen soll. Obwohl Wissenstransfer selbstverständlich seit jeher Teil der täglichen Routine von Hochschulen war, wird diese dritte Mission im akademischen Umfeld seit knapp zwei Jahrzehnten intensiver diskutiert. Mittlerweile thematisieren auch Politik und Verwaltung diese dritte Mission verstärkt und versuchen diese in hochschulpolitischen Zielvorgaben zu integrieren. Dennoch bleiben entsprechende Konzepte nach wie vor oft vage. Die Entrepreneurial University mit Aktivitäten für Technologietransfer und Verwertung, Start-Ups, Spin-offs, Wissenschaftsmarketing etc. wird unter diesem Deckmantel genauso ausgerufen, wie eine stärkere Wahrnehmung gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung. Open Access, Citizen Science, Responsible Science und Open Innovation sind nur einige Ansätze, die sich in diesem Umfeld in den letzten Jahren entwickelt haben. Selbstverständlich ist eine stärkere Öffnung von wissenschaftlichen Institutionen schon allein deswegen grundsätzlich zu begrüßen, weil die damit einher gehende stärkere Vernetzung und die intensivierte Kommunikation mit unterschiedlichsten KooperationspartnerInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft auch neue Fragen aufwirft, vielfach einen Perspektivenwechsel ermöglicht und dadurch auch neue Einsichten in relevante Herausforderungen unserer Zeit bringt. Wenn der Elfenbeinturm zum Synonym für Abgehobenheit, Verschrobenheit, Standesdünkel oder Weltfremdheit geworden ist, so ist dessen Öffnung längst überfällig, um frischen Wind in alte akademische Gemäuer wehen zu lassen. Es ist aber auch vollkommen klar, dass diese Öffnung allein die Wissenschaft ganz sicher nicht (un-)interessant macht. Und gerade in unserer schnelllebigen Gesellschaft wären ruhige Rückzugsorte für unbeeinflusstes, zunächst zweckfreies Denken wichtiger denn je.
Im Zirkus der Wissenschaft
Trotz einer mittlerweile an vielen Hochschulen fast unüberschaubaren Vielzahl an Aktivitäten im Umfeld der dritten Mission, kommt man zumindest bei etwas genauerer Betrachtung zum Schluss, dass Wissenstransfer bisher nur selten als integraler Bestandteil der Hochschulentwicklung verstanden und strategisch weiterentwickelt wird. Solange WissenschafterInnen überwiegend an der Zahl ihrer Publikationen, die ohnehin außerhalb der eigenen Community kaum jemand liest, geschweige denn versteht, gemessen werden und die Lehre vielfach kaum als Bereicherung und integraler Bestandteil der eigenen Arbeit, sondern als vom Forschen ablenkende Notwendigkeit verstanden wird, kann auch Wissenstransfer als ernstzunehmende, konstruktive dritte Mission keine Chance haben. Viele Institutionen ringen daher noch um ihre Positionen und mühen sich mit der praktischen Umsetzung theoretischer Konzepte, während laufend neue Herausforderungen, technologische Veränderungen, gesellschaftliche Krisen, relevante Trends, aber auch inhaltsleere Schlagworte auftauchen, denen dann viel zu häufig unreflektiert nachgelaufen wird. Beispielsweise war in den letzten zwei Jahren gut zu beobachten, dass plötzlich nahezu jede Hochschule über beste Rahmenbedingungen zum Gründen von Start-Ups verfügt, auf umfassendste Expertise für Industrie 4.0 aufbauen kann, interessante Angebote für Geflüchtete bietet und Vorreiter für Open Innovation, Citizen Sciences und was auch sonst noch immer ist. Fraglich ist, ob die auf diversen Medienportalen für Wissenschaft und Forschung täglich publizierte Vielzahl an diesbezüglichen, nicht selten erschreckend substanzlosen Jubelmeldungen eigentlich noch von irgendjemanden ernst genommen und gelesen wird. Die Wissenschaft wird zwar dadurch ganz bestimmt nicht (un)interessant, findet sich aber rasch im (Medien-)Zirkus wieder.
Kreative Ideen abseits ausgetretener Pfade
Selbstverständlich gibt es auch überaus erfolgreiche Gegenbeispiele. Zweifelsfrei zählen heute jene Universitäten weltweit zu den erfolgreichsten, die bereits seit vielen Jahrzehnten Innovation und Entrepreneurship genauso wie soziales, gesellschaftliches Engagement als eng mit Forschung und Lehre verknüpfte Tätigkeitsfelder bespielen. Die Erfolgsgeschichten des Massachusetts Institute of Technology oder der Stanford University sind gut dokumentiert und werden auch im wissenschaftlichen Kontext ausführlich diskutiert. Die in vieler Hinsicht interessantesten Entwicklungen werden allerdings zur Zeit oft abseits ausgetretener akademischer Pfade vorangetrieben: Maker Spaces und Fablabs, die zwar am M.I.T. ihren Ursprung haben, dann aber vor allem in der freien Kreativ- und Gründerszene weiter entwickelt wurden. Co-Workingspaces, Kreativlabs und Innovation Hubs haben sich in kurzer Zeit als relevante Brutstätten für kreative Ideen zur Lösung aktueller gesellschaftlicher Probleme etabliert.
Hier werden nicht nur neue Formen der Zusammenarbeit gelebt, die stärker auf gegenseitige Unterstützung und Vertrauen als auf Verträge und Honorar aufbauen, sondern auch neue Geschäfts- und Finanzierungsmodelle erprobt. Es wird auf neue Organisationsformen gesetzt, die hierarchische Strukturen möglichst überwinden und problem- und lösungsorientiert die jeweilige individuelle Expertise in den Vordergrund rücken. Erprobte wissenschaftliche Methoden werden mit künstlerisch-kreativen Arbeitsweisen kombiniert. Die Möglichkeiten sozialer Netzwerke und Plattformen werden zielgerichtet genützt und dienen weniger der Ablenkung und Selbstdarstellung, als vielmehr dem Austausch mit anderen an verwandten Fragestellungen Interessierten. In derartigen Hubs wird auf scheinbar spielerische Weise vorgelebt, wie soziales Engagement und gesellschaftliche Relevanz, unternehmerisches Denken, Wissenschaft und Innovation, Selbstverwirklichung und Marktorientierung kombiniert werden können. Sie sind von Durchlässigkeit und Diversität, intensiver Auseinandersetzung mit sozialen Herausforderungen und Fokussierung auf gesellschaftliche (Aus-)Wirkungen geprägt, rücken Bedürfnisse von NutzerInnen in den Vordergrund und betonen die große Bedeutung von Kreativität und spielerischen Methoden, die häufig zu zufälligen Entdeckungen führen, die dann aufgegriffen und strukturiert weiter entwickelt werden.
Erfindergeist und Intuition spielen dabei wieder eine entscheidende Rolle. Das von- und miteinander Lernen gehört genauso zum Selbstverständnis gelebter Solidarität, wie eine Kultur des Scheiterns, die Fehler nicht nur verzeiht, sondern als Chance für Weiterentwicklung anerkennt. Subjektive Meinungen und Ideen werden ausgetauscht, noch bevor diese mit objektiven Methoden streng wissenschaftlich abgesichert, publiziert oder patentiert sind. Hohe Flexibilität und rasches pro-aktives Handeln geschehen in einem Umfeld, das mit wenig Bürokratie dynamische Innovationsprozesse ermöglicht und fördert, aber nichts erzwingt und Aktivitäten vorgibt, die sich gut mit sogenannten objektiven Leistungsindikatoren messen lassen. Während der in vieler Hinsicht doch eher träge Wissenschaftsbetrieb seine durch die geänderten Verhältnisse entstehenden Wunden leckt, über theoretische Konzepte für eine dritte Mission debattiert und in altehrwürdigen Mauern hinter verschlossenen Türen über offene Hochschulen philosophiert, wird also andernorts längst bestehendes Wissen neu kombiniert und in bisher ungewohnten Kontexten erprobt, und es werden neue Formen Disziplinen übergreifender Kommunikation und Zusammenarbeit etabliert, die nicht nur neues Wissen entstehen lassen, sondern auch innovative Methoden, Produkte, Dienstleistungen. Für die Frage "Was macht Wissenschaft (un)interessant?" bleibt in einem derart dynamischen Umfeld aber ganz bestimmt keine Zeit.
Weiterentwickeln und kooperieren, statt ständig neu erfinden
Von diesen Beispielen ausgehend, sollte es auch dem etablierten Wissenschaftsbetrieb allmählich gelingen, Wissenstransfer nicht als Instrument für Marketing und/oder Akquise abzuhandeln, sondern als Interaktion zwischen gleichberechtigten Partnern zu etablieren. Wenn der wechselseitige Austausch als Impulsgeber für neue Forschungsfragen genutzt und Wissenstransfer tatsächlich als multidirektionales und multifunktionelles Bindeglied zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft verstanden wird, kann diese dritte Mission zu einer produktiven Einheit mit Lehre und Forschung geformt werden. Hochschulen müssen sich dafür keineswegs neu erfinden, sondern sich vielmehr auf ihre jeweiligen Stärken konzentrieren, den eigenen Strategien mehr vertrauen und nicht auf jeden aktuellen Trend reagieren.
Die wohl in jeder Institution bestehenden Bereiche eigener Schwächen sollten in einem derartigen Umfeld dann besser den passenden Kooperationspartnern überlassen werden. Die ohnehin bereits bestehende hohe Diversität der Hochschullandschaft ist in dieser Hinsicht eine Chance, die zielgerichtet weiter ausgebaut werden sollte. Die Elfenbeintürme könnten wieder zu positiv besetzen Wahrzeichen einer von oft kurzlebigen Trends und sonstigen wenig hilfreichen Einflüssen geschützten und somit freien Wissenschaft werden. Es könnte dann aber auch selbstverständlich werden, dass deren BewohnerInnen sich nicht ausschließlich mit Gleichgesinnten umgeben und in gewohnten eng abgeschirmten Zirkeln arbeiten, sondern einen intensiven und gleichberechtigten Austausch mit einer Vielzahl unterschiedlicher PartnerInnen pflegen und sich nicht nur der Forschung, sondern auch der Lehre mit hohem Engagement, innovativen Methoden und aktuellen didaktischen Konzepten widmen. Für diese Aufgaben, die Vernetzung und die an diversen Schnittstellen notwendige Übersetzung von (laienhaften) Fragestellungen genauso wie von (wissenschaftlichen) Erkenntnissen werden stabile Brücken und Transferstellen benötigt, die für alle zugänglich sein und höchst professionell agieren müssen. Derartige Stellen dürfen nicht einfach Handlanger der hohen Wissenschaft sein, sondern müssen einen hohen Stellenwert haben und mit allen Stakeholdern auf Augenhöhe agieren können.
Die Öffnung der Hochschulen kann so zu mehr Transparenz, Dynamik, Flexibilität, Disziplinen übergreifender Zusammenarbeit und Interaktion führen, sie darf aber keinesfalls Ablenkung, Beliebigkeit oder gar Käuflichkeit nach sich ziehen. Eine lebendige und professionell betriebene Wissenschaftsvermittlung für unterschiedliche Altersstufen und verschiedene Bevölkerungsgruppen soll nicht nur wieder Neugier und Wissensdurst bei möglichst vielen Menschen entfachen, sondern aus den Begegnungen mit unterschiedlichsten Personen auch Anregungen und Erkenntnisse in Wissenschaft und Forschung zurückspiegeln. Die Frage "Was macht Wissenschaft (un-)interessant?" wird sich (hoffentlich) spätestens dann wieder von selbst beantworten oder noch besser, wieder als absurd betrachtet werden. Denn (persönliches) Interesse ist immer auch ganz wesentlich von aktuellen (individuellen) Befindlichkeiten und dem jeweiligen Kontext abhängig, die sich - wie wir gerade in diesen Tagen deutlich feststellen - sehr rasch verändern können und mit Erkenntnis, Einsicht, Wahrheit oder Weisheit absolut nichts zu tun haben.