"Wer aufzeigt, ist verdächtig"
"Stark verändert" habe sich die Art des Unterrichtens im Bereich der Naturwissenschaften in den vergangenen Jahren. "Wir lassen Schüler mehr forschen und entwickeln, arbeiten weniger Fakten-, mehr lösungsorientiert" erklärt Peter Holub vom Fachdidaktikzentrum für Naturwissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Kärnten im Gespräch mit APA-Science.
Dieses Umdenken habe mit dem Entstehen der Fachdidaktikzentren begonnen: "Seitdem wir Lehrer mit in die Teams hineinholen, arbeiten Uni und Lehrerausbildner auf Augenhöhe." Europaweit stelle man sich im Fachbereich Physik die Frage, wie man das Maximum an Didaktik - und eben nicht das Maximum an Fachwissen - in die Lehrpläne einbringen könne. "Denn von Seiten der Schüler herrscht ja großes Interesse an den Naturwissenschaften."
Nur ab etwa 13 Jahren sinke die Bereitschaft rapide, sich mit Chemie, Physik oder Mathematik zu beschäftigen. Besonders bei Mädchen, wobei Holub ihr großes Potenzial unterstreicht und trotz strikten Gender-Marketings von Spielzeug kein Erstarken der traditionellen Rollenmodelle befürchtet: "Es gibt etwa ein Projekt in der Volksschule, wo es um die Konstruktion von Autos geht. Mädchen sind da deutlich besser, sie haben mehr Ausdauer, kooperieren besser. Buben konkurrieren eher, da baut dann einer den Vorder- und einer den Hinterteil, aber die Teile passen letztlich nicht zusammen", erklärt Holub.
Vorbilder in der Gesellschaft fehlen
Der Anteil der sehr guten Schüler ebenso wie jener der Schwachen sei seit Jahren konstant, stellt der seit 1976 im Lehrbetrieb tätige Fachmann fest: "Was uns wegbricht, ist das Mittelfeld." Er macht zum Teil die "Computergesellschaft und die damit einhergehende Bequemlichkeit" dafür verantwortlich. Es würden Vorbilder im Wissenschaftsbereich fehlen, denen man nacheifern könne. "Anstatt aufzuzeigen, werden lieber SMS geschrieben - wer sich meldet, macht sich verdächtig", so seine Beobachtung. Das sei früher nicht so gewesen. "Mit ein paar provokativen Sätzen konnte man eine Diskussion in der ganzen Klasse entfachen. Heute denken sich die Schüler, was bringt es schon, wenn ich aufzeige?"
Daher setzte man am NAWI-Zentrum schon bei den Kleinsten an. "Wir versuchen gar nicht, in Konkurrenz zu Smartphones & Co. zu treten, sondern wir gehen sozusagen 'zurück an den Start'. Praktische Beispiele stehen im Vordergrund, die Kinder müssen immer selber etwas tun", erklärt er. Wenn man von klein auf mit den Kindern arbeite, zeige das einfach Wirkung. "Solche Volksschulkinder können dann eine halbe Stunde lang gespannt zusehen, ob sich Zucker oder Salz im Wasser schneller lösen."
Viele scheitern am Unibetrieb
Einen Spitzenwert nimmt Österreich nur bei der Drop-Out-Rate bei naturwissenschaftlichen Studienfächern an der Universität ein. "80 Prozent der Leute scheitern, wobei das eher am Unterrichten als am Stoff liegen dürfte", meint Holub.
Zudem würden sich die Inhalte hauptsächlich an Bubeninteressen orientieren - etwa Astrophysik - das habe die ROSE-Erhebung (The Relevance of Science Education), eine internationale Vergleichsstudie zu den Einflussfaktoren naturwissenschaftlichen Lernens, deutlich gezeigt. In der Studie heißt es, um Jugendliche für naturwissenschaftliche Fächer wieder zu begeistern, wünschen sie sich einen Unterricht, der für ihr Leben eine Relevanz hat - persönlich oder gesellschaftlich. Das erfordere jedoch seitens der Fachdidaktiker und Lehrenden eine stärkere Auseinandersetzung mit der Lebenswelt und den Interessen der Jugendlichen, so die Erkenntnis der Studienautoren.
Interesse haben Jugendliche beiderlei Geschlechts demnach an Astrophysik und am Universum (Planeten und Sterne), an Humanbiologie und Zoologie (Tiere). An Botanik (Pflanzen) sind sie nicht interessiert und auch an Geologie (Aufbau der Erde), Technologie und Energie haben sie eher geringes Interesse. Bei Mädchen ist starkes Interesse an Inhalten der Humanbiologie, bei Burschen an Inhalten der Elektrizität und Energie, Technik und Chemie zu beobachten.
Nur nicht besser sein
Während die Nachbarländer Ungarn oder Tschechien einen klaren Willen zur Elitenbildung zeigten und in Schwerpunktschulen naturwissenschaftlichen Nachwuchs gezielt förderten, hätten es begabte Kinder hierzulande schwer, ist Holub überzeugt und erzählt von einem herausragenden jungen Talent, das eine Klasse übersprang, in Mathe und Physik mit drei Jahre älteren Schülern unterrichtet wurde und Maturaaufgaben spielend lösen konnte. Ihm wurde das vorzeitige Ablegen der Matura in diesen Fächern vom Bildungsministerium verwehrt. Als die Eltern sich darüber beschwerten, hieß es sinngemäß, sie seien selber schuld, "hätten sie ihn halt nicht so viel gefördert", ärgert sich Holub. Der Humangenetiker Markus Hengstschläger habe wohl recht mit seiner Aussage, wer es in Österreich wage, sich über den Durchschnitt zu erheben, werde schnell zurückgeklopft. "Die Wissenschaft hat in der österreichischen Politik einen schweren Stand: Denn - wieviele Naturwissenschaftler sitzen als Abgeordnete im Parlament?", gibt Holub zu bedenken.
Schwerpunktsetzung
Das NAWI-Zentrum habe nicht zuletzt durch die Problematik der Abwanderung von Fachkräften "Mordsrückenwind" seitens der Industrie, der Wirtschaft und auch der Politik bekommen. "Wir können Schwerpunkte setzen, beispielsweise mit der 'Lernenden Region Hermagor', wir bieten eine Vielzahl von Fortbildungen für Lehrer und Kindergartenpädagogen an, zum Teil in Kleinstgruppen von drei bis fünf Leuten", sagt der Ausbildner. Über den NAWI-Mix, einen außerschulischen naturwissenschaftlichen Lernort an der PH, werden Workshops für Lehrer mitsamt ihren Klassen angeboten. Die Rückmeldungen seien sehr positiv, die Nachfrage riesig.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science