Forsche und sprich darüber
Nimmt man Umfragen der vergangenen Jahre als Indikator, dann sind die Österreicher bestenfalls durchschnittlich, im europäischen Vergleich sogar im ziemlich bescheidenen Ausmaß an Wissenschaft und Technologie interessiert. Der Trend setzt sich auch mit der jüngsten Eurobarometer-Umfrage fort, deren Ergebnisse im November 2013 europaweit publiziert wurden.
Rund sieben von zehn Österreichern fühlen sich laut der Erhebung über Entwicklungen in Wissenschaft und Technologie "nicht informiert" (EU: 58 Prozent), 55 Prozent zeigen sich generell "nicht interessiert" (EU: 46 Prozent). Mehr als der Hälfte der Befragten (52 Prozent) gaben darüber hinaus an, weder über diese Themen informiert noch daran interessiert zu sein. Damit sind die Österreicher im Schlussdrittel Europas zu finden, schlechtere Werte weisen nur noch Ungarn, Rumänien (je 58 Prozent), Bulgarien und Tschechien (je 59 Prozent) auf.
Gar 78 Prozent der Österreicher (EU: 52 Prozent) verneinten die Frage danach, ob sie jemals "Wissenschaft oder Technologie als Schulfach gehabt oder an einer Fachhochschule, Universität oder woanders studiert" haben. Offen bleibt angesichts dieser enorm hohen Zahl, ob die rund 1.000 interviewten Personen auch tatsächlich verstanden haben, dass hier unter "Wissenschaft und Technologie" generell die Naturwissenschaften wie "Physik, Chemie und Biologie und deren Anwendung ..." gemeint waren. So lautete zumindest die Fragestellung bei den Interviews, hieß es auf Anfrage von APA-Science beim Gallup Institut, das die Eurobarometer-Umfrage für Österreich durchführte.
Wo ziehen wir die Grenze?
Auf die Frage nach den wichtigsten Informationsquellen über Wissenschaftsthemen dominiert in Österreich mit 67 Prozent nach wie vor das Fernsehen, was auch dem europäischen Durchschnitt entspricht (65 Prozent). Signifikant höher als im Rest der EU (33 Prozent) ist der Anteil jener Österreicher, die sich auch über Zeitungen informieren (48 Prozent). Soziale Medien oder Blogs spielen mit zehn Prozent noch eine untergeordnete Rolle bei der Suche nach Informationen. Ein Fünftel der Österreicher sucht gar nicht nach Wissenschafts-News (EU: 16 Prozent).
Eine gewisse Skepsis gegenüber solchen Erhebungen empfindet Ulrike Felt, Vorständin des Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wien. Denn gerade bei der Fragestellung sei oft nicht klar, was unter Wissenschaft eigentlich verstanden wird, ob etwa der Bereich Medizin dazugehört oder Fernsehserien wie CSI. "Die Frage ist, wo ziehen wir die Grenze?", so Felt.
Mangelnde Reflexion über Innovationen
Obwohl sich auch auf politischer Ebene die Meinung durchgesetzt habe, dass gesellschaftlicher Wandel extrem eng mit Fortschritten in Wissenschaft und Technik gekoppelt sei, bleibt für die Wissenschaftsforscherin die Frage nach den Motiven, warum gewisse Inhalte überhaupt transportiert werden sollen.
Kritische Themen im Bereich des Energiesektors, bei Nahrungsmitteln (z.B. "Genmais") oder Impfkampagnen, die von der Bevölkerung "nicht im gewünschten Maße mitgetragen werden", würden oft auf eine Art und Weise kommuniziert, die die Innovation selbst in den Vordergrund stelle und die Reflexion darüber weitgehend ausklammere. "Die Frage, ob wir diese oder jene Innovation überhaupt wollen, ist eigentlich gar keine legitime mehr. Warum muss jede Innovation, nur weil sie profitabel ist, auch eingesetzt werden? Und ich bin weder innovations- noch technikfeindlich und trotzdem kann ich als Bürger sagen: Ich brauche das nicht, ich will es nicht. "
Der Zuwachs an Kommunikation finde nicht an dem Ende statt wo sich kritische Auseinandersetzung abspiele, bemängelt Felt. Dabei wären Ereignisse wie die Überflutungen im vergangenen Sommer gute Gelegenheiten, etwa anhand von praktischen Beispielen wie der fachgerechten Erklärung von Modellrechnungen über Pegelstände zu sagen, was Wissenschaft leisten kann und wo die Grenzen sind. In diesen Situationen werde eher ein positivistisches Bild von Wissenschaft gegeben, "so quasi alles unter Kontrolle". "Aber eigentlich müssen wir den Leuten beibringen, dass wir in einer Welt leben, wo eben nicht alles unter Kontrolle ist", so Felt.
Lange Nacht mit Wiedererkennungswert
Was Konzepte der Wissenschaftsvermittlung betrifft, hält die Wissenschaftsforscherin die Lange Nacht der Forschung besser als andere Formate geeignet, ein Bewusstsein zu schaffen, weil sie einen Wiedererkennungswert habe, der über das Konkrete hinausgehe. "Im Grunde findet hier eine Enkulturierung statt, also eine Einschreibung in ein kulturelles Repertoire in dem Sinne, dass Wissenschaft und Technik nicht 'etwas anderes' sind", sagt Felt.
Allerdings werde insgesamt ein fast zu klassisches Bild von Wissenschaft vermittelt, wobei offene Formate und ein Austausch weitgehend fehlen, und - so vorhanden - sich an ein relativ eng gefasstes Publikum richten. Noch wichtiger als dieses Entwicklungspotenzial auszubauen ist für die Expertin aber, "die Wissenschaft intern zu erwischen". Universitäten müssten sich selbst stärker in die Pflicht nehmen, nicht nur ihre Forschung nach außen zu kommunizieren, sondern auch künftige Absolventen mit den Fähigkeiten dafür auszustatten und ein realistischeres Bild von Forschung zu vermitteln. "Ich sage nicht, dass man Forschung nicht bunt und lustig darstellen sollte. Aber was ich in meiner Forschung sehe ist, dass mir junge Leute sagen: So habe ich mir die Wissenschaft aber auch nicht vorgestellt, wenn sie an die Uni kommen."
Wo ansetzen mit den Themen?
Der Bildungssektor ist auch für den Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Markus Peschl von der Universität Wien der primäre Hebel für die Platzierung von Wissenschaftsthemen. Theoretisch zumindest, denn das Thema Wissenschaft sei in der Schule nicht wirklich präsent, Fächer würden eher "brav vorgetragen", aber kein Bewusstsein dafür geschaffen, wie Wissen zustande kommt. "Wenn es nur um Wissensvermittlung geht und die Vermittlung von Fakten, das ist leider Gottes noch immer sehr verbreitet, dann kann kein Verständnis dafür entstehen, was Wissenschaft eigentlich ist", sagte Peschl gegenüber APA-Science.
Die mediale Abbildung von Wissenschaftsthemen funktioniere qualitativ gesehen recht gut, allerdings würden hauptsächlich bereits interessierte Personen erreicht - bei relativ geringer Reichweite jener Qualitätsmedien, die eine eigene Wissenschaftsrubrik betreiben. Auch auf politischer Ebene finde keine positiv breitenwirksame Darstellung der Wissenschaft statt - eher seien Sonntagsreden zu deren Wichtigkeit zu hören, um gewissermaßen im Gegenzug das Wirtschafts- mit dem Wissenschaftsministerium zusammenzulegen.
Inhaltlich könne man die Menschen am ehesten mit einer Art Reflexionsschleife über den eigenen Gebrauch von Technologie erreichen, schlägt Peschl vor: "Das Smartphone oder der Computer, den wir in unseren Händen halten, das sind alles Ausflüsse von Wissenschaft, Ingenieurskunst und Technologieanstrengungen. Ich glaube, dass man über diese intimeren Erfahrungen am ehesten noch eine Awareness schaffen kann."
Forscher, Zweitjob Öffentlichkeitsarbeit
Dass die Wissenschaftskommunikation derzeit einen massiven Wandel durchmacht und wegen des Vormarsches der digitalen Medien vor neuen Herausforderungen steht, scheint unbestritten. Abseits der Kommunikationsabteilungen, die - manchmal schlecht, manchmal recht - ihre Arbeit auf die neuen Kanäle erweitert haben, rücken nun die Wissenschafter selbst ins Rampenlicht.
Laut Eurobarometer wird Wissenschaftern, die in universitären oder staatlichen Forschungseinrichtungen arbeiten, am ehesten zugetraut, Auswirkungen von wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen auf die Gesellschaft zu erklären (64 Prozent der Nennungen). Zum Vergleich: Nur fünf Prozent würden hier den Ausführungen von Regierungsvertretern Glauben schenken - diese Ergebnisse decken sich übrigens weitgehend mit dem gesamteuropäischen Schnitt.
Ausgestattet mit diesem Vertrauensvorschuss ergibt das völlig neue Kommunikationsmöglichkeiten für die Forscher. Denn nun stehen einfache Wege zur Verfügung, sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden und mit Interessierten zu interagieren. "Wissenschafter können nicht nur ihre Forschungsergebnisse und ihren Arbeitsbereich, sondern auch den Prozess, der damit verknüpft ist, viel transparenter machen", erklärte Axel Maireder, Kommunikationswissenschafter an der Universität Wien im Gespräch mit APA-Science.
Gezielte Beziehungen
Vor 10 oder 20 Jahren hätten einzelne Forscher aufgrund der fehlenden Kanäle noch nicht nach außen kommuniziert. Jetzt könnten die Wissenschafter selbst eine Beziehung zu bestimmten Gruppen in der Öffentlichkeit aufbauen, die spezifisch an Forschung interessiert sind. "Die Möglichkeit laufend darüber zu reden und zu reflektieren, was man tut und die eigene Arbeit zu präsentieren ist recht neu", so Maireder.
Im Unterschied zur traditionellen Wissenschaftskommunikation gibt es durch die neuen sozialen Medien zumindest potenziell einen direkten Kanal, ohne Vermittlung durch Dritte, sieht auch Michael Nentwich, Direktor des Instituts für Technikfolgenabschätzung (ITA), neue Chancen. "Der Elfenbeinturm hat viele neue Fenster bekommen, in die man von außen hineinschauen kann; in einigen Fällen sozusagen auch Türen, durch die in beide Richtung kommuniziert wird", so Nentwich.
"Diese digitalen Kanäle haben auch eine neue Qualität, erreichen teilweise andere Zielgruppen, z.B. Jüngere, ermöglichen mehr als nur one-to-many-Kommunikation. Dazu kommt noch die Multimedialität, das einfache Einbauen von Bildern, Videos, Audioclips usw.", erläuterte der ITA-Direktor.
Soziale Dynamiken verstärken Sichtbarkeit
Abgesehen von schneller, interaktiver Kommunikation und spezifischer Ansprache, zeigen vor allem soziale Dynamiken Wirkung in der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit. "Die Handlungen jedes Einzelnen - liken, sharen, retweeten -, der ja sowohl Rezipient als auch Kommunikator ist, verändern die Sichtbarkeit für den Rest", erklärte Maireder. Daher sei es für kleinere Akteure eher möglich, Öffentlichkeit für ihre Themen zu schaffen als über Journalistenkontakte und Presseaussendungen. "Wir haben jetzt eine viel größere Menge an Menschen, die mitreden, Inhalte weiter verbreiten können und so für Öffentlichkeit sorgen", sagte Maireder.
Allerdings stehe die Entwicklung noch am Anfang: "Bei weitem nicht alle Wissenschaftsinstitutionen, und schon gar nicht alle Wissenschafter nutzen diese Medien aktiv und häufig. Daher ist das Angebot auch noch überschaubar", so Nentwich. Würde die Mehrheit twittern, bloggen und facebooken, könne es auf der Konsumenten-Seite rasch zu Überforderung und Überangebot kommen. "Dann gehen aber nicht nur die kleineren, sondern alle unter bzw. haben es schwerer, überhaupt wahrgenommen zu werden", vermutet der ITA-Direktor.
Interne und externe Kommunikation verschwimmen
Klar sei, dass interne und externe Kommunikation zunehmend verschwimmen. Denn auch ein größer werdender Teil der internen Wissenschaftskommunikation werde über quasi-öffentliche Kanäle wie Blogs, Twitter, Facebook etc. abgewickelt, so Nentwich. "Früher gab es diese Möglichkeiten nicht, einerseits Ideen innerhalb der Scientific Community zu präsentieren und andererseits interessierte Stakeholder zu informieren, was ich und mein Team machen", ergänzte Maireder.
Ein weiterer Vorteil für die Wissenschafter durch die direkte Kommunikation sei die Möglichkeit zur Reflexion: "Da kommt es schon oft zu einem Gedankenaustausch und Konversationen, die auch meine Arbeit und das Verständnis, was ich tue, mitprägen."
Die stärkere Transparenz kann Nentwich zufolge auch dazu führen, dass der innerwissenschaftliche Diskurs nicht nur mehr als früher unter Beobachtung steht und darauf möglicherweise vorausschauend reagiert, sondern dass auch wissenschaftsfremde Ansprüche und Fragestellungen in die Wissenschaft hineingetragen werden. "Die neuen Medien können als zusätzliches Vehikel für Transdisziplinarität verstanden werden", so der Experte.
Öffentliche Relevanz hilft bei Drittmitteln
Soziale Medien gewinnen laut Maireder auch durch die zunehmende Abhängigkeit von Drittmitteln an Bedeutung: "Es geht ja grundsätzlich im ganzen Wissenschaftssystem mehr in Richtung Öffnung nach außen, relevante Forschung machen, um Gelder zu lukrieren, um Relevanz zu haben in der Gesellschaft und das auch ständig zu zeigen und zu beweisen." In diesem Rahmen spiele auch die Kommunikation des einzelnen Wissenschafters mit der Öffentlichkeit eine Rolle.
Ob man in diesem Bereich aktiv werden wolle, sei eine persönliche Entscheidung. "Gefordert wird es institutionell nicht, es gibt keine formalen Kriterien die Wissenschafter daran messen, wie viel sie mit der Öffentlichkeit kommunizieren. Es geht immer nur darum, wieviel innerhalb der Scientific Community publiziert wird und wie stark man dort wiederum wahrgenommen und zitiert wird", so der Kommunikationswissenschafter.
"Für den Forscher innerhalb des Wissenschaftssystems bringt es eigentlich relativ wenig mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren", meint Maireder. Wenn man verstärkte Aktivitäten in diesem Bereich wolle, müsse sich das System ändern. "Vielleicht geht es aber auch um ein Verständnis der Rolle als Wissenschaft nicht im Elfenbeinturm, sondern als Teil der Gesellschaft", so der Experte.
Potenzial bei weitem noch nicht ausgeschöpft
Das Potenzial für die externe Kommunikation wird laut Nentwich jedenfalls bei weitem nicht ausgeschöpft: "An den neuen digitalen Medien kann heute kaum mehr eine Wissenschaftsinstitution vorbei, wirklich intensiv und professionell nutzen sie aber nach meiner Beobachtung erst wenige."
Neben den Ressourcenfragen stelle sich hier zudem die Herausforderung: Wer spricht im Namen einer Wissenschaftsinstitution? Jeder einzelne Forscher? Nur die Öffentlichkeitsabteilung? Die sozialen Medien hätten jedenfalls das Potenzial, an den traditionellen Hierarchien zu rütteln. So könnten sich Wissenschafter bei entsprechend professionellem Einsatz von Twitter, Blogs & Co. viel rascher einen Namen machen, als auf den traditionellen Pfaden. "Am Ende des Tages zählen aber derzeit weiterhin noch die traditionellen Hierarchien in der Wissenschaft mehr", so Nentwich gegenüber APA-Science.
Von Stefan Thaler und Mario Wasserfaller / APA-Science