Sport und Psyche - Die "Sportler-Persönlichkeit" gibt es nicht
Dass sich vor allem im Spitzensport vieles "im Kopf" abspielt, ist mittlerweile eine der großen geflügelten Phrasen. Die systematische Auseinandersetzung mit den mannigfaltigen Verbindungen zwischen Sport und Psyche hat sich ein Teilgebiet der Psychologie auf die Fahnen geschrieben. APA-Science sprach mit dem Sportpsychologen Günter Amesberger über sehr verschiedene Zugänge zum Erfolg, die heimische "Szene", ihre Abgrenzung zu "Gurus" und viele Fragen, die der Schul- und Breitensport aufwirft.
"Auf der akademischen Ebene ist die Sportpsychologie in Österreich verankert, seit ich mich im Jahr 1992 habilitiert habe", sagte der Leiter des Fachbereichs Sport- und Bewegungswissenschaft an der Universität Salzburg. Angesichts der Tatsache, dass es eine vergleichbare Professur nur noch an der Uni Innsbruck (siehe auch "Sportwissenschaft - Zeit für die Überwindung des Dranges zur Selbstrechtfertigung?") gibt, liege der Mitarbeiterstand auch im Vergleich zu anderen Ländern "extrem niedrig. Wir bemühen uns aber, daraus das Beste zu machen", erklärte Amesberger.
Wenige akademische Beine - breite Anwendung
Die angewandte Sportpsychologie wird in Kooperation mit der Bundessportorganisation (BSO) seit Mitte der 1990er Jahre vorangetrieben. Seit 2005 ist das Österreichische Bundesnetzwerk Sportpsychologie (ÖBS) etabliert. Waren im Jahr 1995 lediglich "eine Handvoll" Sportpsychologen in Österreich aktiv, so sind laut Amesberger momentan im Spitzen- und Nachwuchssport ungefähr 45 Experten im Einsatz. Einen Berufstitel "Sportpsychologe" gibt es in Österreich nicht. Auf eine Förderung vom Sportministerium für die Betreuung von Sportlern oder Verbänden haben allerdings nur Personen mit einer Psychologie-Ausbildung und einer sportpsychologischen Zusatzausbildung Anspruch. Über letztere müssen auch Sportwissenschafter verfügen, wenn sie in dem Bereich unterstützend tätig sein wollen.
Diese betreuen allerdings nicht nur die Athleten selbst, sondern sind etwa auch in deren Umfeld tätig. "Gerade wenn es um sehr hochrangige Sportler geht, ist das oft wichtiger", so Amesberger. Oft beinhaltet das auch das Coachen der Trainer, Betreuer und Funktionäre. Insgesamt sei die sportpsychologische Abdeckung im Spitzensport in Österreich durchaus herzeigbar. Olympische Medaillen im Winter- und Sommersportbereich seien in der jüngeren Vergangenheit nur selten ohne einschlägige Betreuung erreicht worden.
"Man muss ja auch querdenken können"
Die Frage der Abgrenzung gegenüber Personen, die ohne einschlägige Ausbildung gewissermaßen als "Gurus" an Sportler herantreten, sei "ein ewiges Thema", das in allen Ländern bestehe. Einerseits gebe es Leute, die "Qualitäten besitzen, die nicht auf einer Ausbildung basieren, oder die zumindest behaupten, ein solche zu besitzen. Ich persönlich sehe das sehr gelassen", so Amesberger. Die Sportpsychologie könne klar aufzeigen, wo sie steht. Letztlich bleibe die Entscheidung darüber, mit wem ein Sportler arbeitet, ihm selbst bzw. den Trainern überlassen.
Suggestion und der Glaube an das Besondere sei im Sport natürlich extrem wichtig. Gepaart mit dem Leistungsdruck auf Athleten könne das auch zum Problem werden. Wenn man quasi immer auf der Suche danach ist, durch irgendeine Innovation - sei es beim Material, in der Ernährung oder mit exotischeren Zugängen wie etwa Magnetfeldern mit propagierten positiven Wirkungen-, noch ein wenig mehr herauszuholen, könne man sich natürlich auch in etwas verrennen. "Das ist sozusagen das Problemfeld zwischen 'anything goes' und dem, was naturwissenschaftlich nachgewiesen ist. Ich halte dieses Spannungsfeld aber für ganz wichtig, damit Entwicklung passiert. Man muss ja auch querdenken können", sagte der Psychologe. "Schlimm wird es natürlich, wenn Leuten Dinge vorgegaukelt werden, die gefährlich sind. Das erleben wir leider auch immer wieder."
Einzelsporter-, Team-, Nachwuchs- und Krisenberatung
Das Feld der sportpsychologischen Beratung und Intervention ist jedenfalls sehr weit gespannt. Da ist einerseits die Vermittlung mentaler Kompetenzen: "Das bedeutet, dass ein Sportler entspannen, sich fokussieren, Ziele setzen kann und in bestimmten Situationen richtig reagiert, etc.", so der Experte. Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Teamentwicklung. "Dann gibt es einen Strang, bei dem es mehr um pädagogisch-psychologische Aspekte geht. Also, die Frage, wie man mit dem Werte- und Normensystem des Sports und der Umwelt zurechtkommt", sagte Amesberger. Schlussendlich sei Beratung auch in Krisen gefragt. In Österreich gut entwickelt sei die psychologische Diagnostik - etwa dahin gehend, wie Sportler ihre mentalen Kompetenzen und ihre Situation selbst einschätzen. Darüber hinaus gibt es den breiten Bereich der Leistungsdiagnostik. Mittels Testverfahren können beispielsweise Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, Verhaltenssteuerung oder die Entwicklung von Stressparametern detailliert erhoben werden.
Auf Basis solcher Informationen gehe man auch an die Beantwortung weit gefächerter Forschungsfragen, etwa zum Zusammenhang zwischen Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und der sportlichen Leistung oder wie diese Fähigkeiten trainiert werden können. Dem Einfluss von Stress, Drucksituationen und Emotionsregulation gehe man ebenso nach wie Fragen zur Fokussierung von Aufmerksamkeit. Im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung werde viel dazu geforscht, wie die Sportler bei der Entwicklung verschiedener Kompetenzen vor allem in der Jugend bestmöglich unterstützt werden können. Von der wissenschaftlichen Warte aus sei die Sportpsychologe daher eigentlich in einer "sehr schönen Situation", sagte Amesberger.
Absage an die "Sportler-Persönlichkeit"
Die Forschung habe gezeigt, das es zwar einige Persönlichkeitsaspekte gibt, die mit sportlichem Erfolg verbunden sind. Darunter etwa enorme Leidenschaft für die Tätigkeit und die ausgeprägte Fähigkeit, etwas durchzustehen. Einen besonderen Sportler-Typus gebe es allerdings nicht - im Gegenteil: Von introvertiert bis extravertiert, von fast nur auf die Sache konzentrierten, "bis zu sehr breitgefächert denkenden und handelnden Menschen", gebe es viele erfolgreiche Zugänge. Diese Befunde widersprechen der Idee der Normierung im Spitzensport. Amesberger: "Man muss sich nur ansehen, wie unterschiedlich die Top-Leute sogar in einzelnen Sportarten vom Charakter und vom Körper her sind. Es geht wirklich um die optimale Entwicklung der individuellen Ressourcen."
Inwiefern Bewegung und Sport insgesamt zur Verbesserung der Gesundheit beitragen - vom schulischen bis in den therapeutischen Bereich -, beschäftigt die Wissenschaft ebenfalls sehr. Dazu gehöre die Frage, wie sich Bewegung auf Stimmungen im Allgemeinen auswirken kann. Im Speziellen gehe man auch der Frage nach, ob Ausdauersport antidepressive Wirkungen haben kann. Ebenfalls psychologisch interessant sei die Diskrepanz zwischen der weitverbreiteten Annahme, dass Sport positive Wirkungen hat, und der chronisch weit niedrigeren Anzahl an Personen, die tatsächlich sportlich aktiv sind. "Zur Frage, wie man das 'Sport betreiben' anstoßen und aufrechterhalten kann, gibt es schon eine ganze Reihe an psychologisch fundierten Motivationskonzepten", so der Forscher.
Wer profitiert von der täglichen Bewegungseinheit?
Was sich mittel- und langfristig in dieser Misere durch das Ausrollen der täglichen Bewegungseinheit in österreichischen Schulen tut, werde ebenfalls spannend zu beobachten sein. So fragt sich Amesberger: "Werden dadurch die bewegungsferneren Kinder tatsächlich fitter? Oder wird eher die mittlere Gruppe, die nach oben anschlussfähig ist, unterstützt?" Ein in diesem Zusammenhang generell wenig beachtetes Thema sei auch der Einfluss der Familie auf das sportliche Verhalten.
Nicht zuletzt gehe es darum, zu vermittlen, dass Personen Sport so betreiben, wie es für sie passend und richtig ist und eben nicht nur zu versuchen, Normen und Erwartungshaltungen zu erfüllen. Vor allem in Zeiten von Sport-Apps und Trends in Richtung Marathon und Co drohe die Gefahr, die körperliche Betätigung sozusagen nach einem vorgegebenen starren Kochrezept abzuarbeiten, ohne dabei auf die eigentlichen Bedürfnisse von Körper und Geist zu hören. "Es geht darum, die Person wieder ihr eigener Chef sein zu lassen. Ich denke, hier muss die Sportpsychologie noch viel tun", betonte der Wissenschafter, der in dem Einfluss von neuen Technologien einen wichtigen entstehenden Forschungsschwerpunkt sieht.
Von Nikolaus Täuber / APA-Science