"Wie schützen wir die sauberen Sportlerinnen und Sportler?"
Das Sportjahr 2016 war geprägt von zahlreichen Tiefschlägen für die Anti-Doping Arbeit und somit auch für die gesamte Sportwelt. Die Entwicklungen der letzten Monate haben zwei Dinge ganz deutlich gezeigt: Wer durch den Einsatz verbotener Substanzen und Methoden betrügen will, hat nach wie vor gute Chancen, nicht entdeckt zu werden und die bestehenden Strukturen sind nicht geeignet, um nachhaltige Veränderungen zu erzielen. Es bedarf daher einer ganzen Reihe von kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen, um die sauberen Sportlerinnen und Sportler wirkungsvoll zu schützen.
Zunächst ist festzuhalten, dass der immer wieder zitierte "Vorsprung" der dopenden Sportlerinnen und Sportler in der Natur der Sache liegt. Zwar haben die Dopingkontrolllabore die weltweit besten Analysemethoden zur Verfügung, trotzdem müssen die Wissenschaftler erst einmal wissen, was eigentlich gesucht werden soll. Für jede neue Substanz oder jede Adaptierung einer bereits bekannten Substanz muss in der Regel ein neues Verfahren entwickelt werden, wodurch naturgemäß ein "Vorsprung" gegeben ist.
Abgesehen davon sind Substanzen, die zum Zeitpunkt der Anwendung gar nicht im Rahmen der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) erfasst sind, per Definition erlaubt. Daher verwundert es in Anbetracht der teilweise enormen finanziellen Anreize im heutigen Sport auch nicht, dass manche Sportlerinnen und Sportler bereit sind, Präparate zu verwenden, die aufgrund ihrer Nebenwirkungen nicht einmal über das Stadium der Tierversuche hinausgekommen sind (z.B. GW1516 - eine ursprünglich zur Bekämpfung von Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes vorgesehene Substanz, die in Tierversuchen Krebs ausgelöst hat).
Aber auch seit Jahrzehnten bekannte Substanzen können Probleme bereiten, wie die Nachkontrollen der Dopingproben der vergangenen Olympischen Spiele gezeigt haben. Zunächst mag es verwundern, dass der spätestens seit Ben Johnson bekannte "Anabolika-Klassiker" Stanozolol nach wie vor in Verwendung ist. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass es den am Betrug beteiligten Wissenschaftlern und Medizinern gelungen ist, neue Wege der Dosierung und Applikationen zu finden, um einen Nachweis mit damals gängigen Analysemethoden zu erschweren. Erst durch den Hinweis eines Whistleblowers konnten zahlreiche Fälle im Nachhinein aufgedeckt werden.
Dabei ist der Nachweis körperfremder Substanzen (Anabole Steroide, Stimulanzien, Narkotika, etc.) sogar noch verhältnismäßig einfach zu führen. Viel schwieriger wird es, wenn körpereigene Stoffe verwendet oder imitiert werden. Botenstoffe wie Testosteron, Erythropoietin (EPO) oder Wachstumshormon (GH) oder die Methode "Eigenblutdoping" zählen daher auch im Jahr 2017 zu den "Dauerbrennern". Seit einigen Jahren wird zudem versucht, mittels Beeinflussung von Hormon-Releasing-Faktoren den Körper dazu zu bringen, "sich selbst zu dopen". Diese Stoßrichtung verfolgt auch das immer wieder im Raum stehende "Gendoping", wobei unter diesem Schlagwort auch die teilweise oder komplette Veränderung des Genoms subsumiert wird.
Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, hat die WADA das "Athlete Biological Passport Program" (ABPP) entwickelt, in dessen Rahmen der indirekte Nachweis von Doping ermöglicht wird. Durch den langfristigen Vergleich der Hormon- und Blutwerte der Sportlerinnen und Sportler gelingt es, unnatürliche Schwankungen auszumachen, die einerseits die Grundlage für gezielte Dopingkontrollen liefern, andererseits aber bei Eindeutigkeit auch schon für sich genommen ausreichen, um ein Anti-Doping Verfahren auszulösen.
Letztendlich sind aber all diese Fragen nur von nachrangiger Bedeutung, denn die repressive Anti-Doping Arbeit in Form von Dopingkontrollen, Ermittlungstätigkeiten, Analysen und Anti-Doping Verfahren kann nur funktionieren, wenn sie von völlig unabhängigen Instanzen durchgeführt wird. Unabhängigkeit ist der Schlüssel zum nachhaltigen Schutz der sauberen Sportlerinnen und Sportler.
In keinem anderen Wirtschaftsbereich wird akzeptiert, dass diejenigen, die ein Produkt verkaufen, gleichzeitig auch dessen Qualität bewerten. Beim "Hochglanzprodukt Sport" sind die Produzenten aber nicht nur für die Qualitätskontrollen in Form von Dopingproben zuständig, sie entscheiden im Falle eines Verdachtes auf einen Verstoß auch über mögliche Sanktionen. Nicht zuletzt deshalb müssen Verbände und Veranstalter von diesen Aufgaben vollständig entbunden werden, um Einflussnahme, Parteilichkeit, Vertuschung oder Korruption von vorneherein auszuschließen.
Als Vorbild kann hier Österreich dienen, hierzulande ist die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA Austria) für alle Dopingkontrollen zuständig. Sollte nach der anonymisierten Analyse durch das unabhängige Dopingkontrolllabor in Seibersdorf der Verdacht auf einen Verstoß gegen die Anti-Doping Bestimmungen vorliegen, stellt die NADA Austria einen Antrag auf Sicherungs- und Disziplinarmaßnahmen an die unabhängige Österreichische Anti-Doping Rechtskommission (ÖADR). Die betroffene Person, die NADA Austria, der betroffene nationale und internationale Verband sowie die WADA können gegen das Urteil der ÖADR Berufung einlegen, national vor der Unabhängigen Schiedskommission (USK), international vor dem Court of Arbitration for Sport (CAS).
Die Erfahrungen der letzten Jahre haben zudem gezeigt, dass Analysen immer nur einzelne Personen überführen können, Ermittlungstätigkeiten aber gleich ganze Gruppen. Daher ist es ein Gebot der Stunde, die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit staatliche Ermittler und Nationale Anti-Doping Organisationen (NADOs) bestmöglich zusammenarbeiten können, wie dies in Österreich der Fall ist.
Um die beschriebene Unabhängigkeit und Gewaltentrennung nicht nur auf dem Papier zu leben, bedarf es auch einer unabhängigen Finanzierung. Dies lässt sich nur über einen internationalen Anti-Doping Fonds bewerkstelligen. Sämtliche Mittel, die derzeit von den Verbänden, Veranstaltern und Staaten für die Anti-Doping Arbeit aufgewendet werden, müssen diesem Fonds zugewiesen werden. Zudem müssen Sponsoren und Medienanstalten, die maßgeblich vom Produkt des sauberen Sports profitieren, ihren Beitrag leisten. Die Allokation der Gelder muss dann anhand klarer Kriterien vorgenommen werden, um eine Basisförderung anhand eines entsprechenden Förderschlüssels zu gewährleisten und auf situative Notwendigkeiten (z.B. Verdachtslagen, Anti-Doping Arbeit in strukturschwachen Regionen) reagieren zu können.
Durch diese "Internationalisierung" der Finanzierung wird einerseits die Autonomie der NADOs, Dopingkontrolllabore und rechtsprechenden Instanzen gestärkt, andererseits auch die immer wieder geforderte weltweite Harmonisierung der Anti-Doping Arbeit gefördert.
Auf lange Sicht gesehen sind aber auch diese Maßnahmen nicht ausreichend, wenn es nicht gelingt, das Bewusstsein zu etablieren, dass die ureigenste Aufgabe der Medizin nicht die Leistungssteigerung und -optimierung, sondern die Heilung von kranken oder verletzten Personen ist. Auch wenn dies in der derzeitigen Konstellation naiv und weltfremd erscheint, ohne die Rückbesinnung auf die zentralen Werte der Medizin und den Sinne des Sports wird das Katz- und Mausspiel immer weiter vorangetrieben.