Geschichte ist im Haus
Es ist ein Projekt, das etwa genauso alt ist wie die Republik selbst, und seine Geschichte ist beinahe ebenso wechselvoll: Am 10. November wurde das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) feierlich eröffnet. Nach vielen Diskussionen ist das neue Museum nun in der Neuen Burg am Heldenplatz untergebracht. In die Freude über die Eröffnung mischt sich die Frage nach der Zukunft der Institution.
Derzeit ist das hdgö strukturell an die Nationalbibliothek angegliedert. Es sei geplant, das Haus in die Eigenständigkeit zu führen, gleichzeitig aber ans Parlament anzubinden, gab Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) bekannt: "Wenn man Republiksgeschichte vermitteln will, ist das ohne das Parlament nicht möglich." Angedacht sei eine ähnliche Konstruktion wie beim Nationalfonds oder dem Restitutionsfonds, sagte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Auch eine Umbenennung in "Haus der Republik" steht im Raum. Der Titel der Eröffnungsausstellung ist also durchaus doppeldeutig.
"Aufbruch ins Ungewisse"
"Aufbruch ins Ungewisse - Österreich seit 1918" heißt die Schau, die auf 750 Quadratmetern anhand von sieben Themen die vergangenen 100 Jahre Revue passieren lässt: "Hoch die Republik", "Wunder Wirtschaft?", "Diktatur, NS-Terror und Erinnerung", "Das ist Österreich!?", "Grenzen verändern?", "Gleiche Rechte?!" sowie die Installation "Macht Bilder". "Jeder Bereich funktioniert für sich", sagt Direktorin Monika Sommer. "Die gemeinsame Schnittmenge ist die Demokratie - und der dramatische Weg in die Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur und den NS-Terror." Sommer sah sich vor der Herkules-Aufgabe, innerhalb von eineinhalb Jahren eine Struktur aufzubauen, ein tragfähiges Konzept für die Republiks-Ausstellung zu entwickeln und dieses nach modernen museologischen Erkenntnissen umzusetzen (siehe auch Interview). Nicht nur die Sicht auf die Jahre zwischen 1933 und 1938 sorgte für Diskussionen in den insgesamt drei Beiräten, die dem Museumsteam von der Politik beigestellt wurden.
Viel wurde im Vorfeld über die Einbeziehung von Prunkstiege und Altan ("Führer-Balkon") diskutiert. Die nun gefundene Lösung sieht aufgrund rigoroser Brandschutz- und Sicherheitsbestimmungen eine möglichst geringe Verweildauer auf der Stiege und einige Informationen vor dem für Besucher gesperrten Altan vor. In dem zu der (nun doch nicht abgesiedelten) Sammlung Alter Musikinstrumente führenden weiteren Stiegenaufgang erinnert die kleine Sonderausstellung "Nur die Geigen sind geblieben. Alma und Arnold Rosé" an zwei Ikonen der Wiener Musikgeschichte, die mit dem März 1938 eine dramatische Zäsur in ihrem Leben erfahren mussten.
240 Besucher gleichzeitig
In den Ausstellungsräumen des hdgö dürfen sich nur 240 Besucher gleichzeitig aufhalten. Die Ausstellung läuft bis 17. Mai 2020. Ob das hdgö danach die vom Kunsthistorischen Museum gemieteten Räume freimachen muss und das zum KHM-Museumsverband gehörende Ephesos Museum den berühmte Fries des "Heroon von Trysa" in den dafür extra statisch verstärkten Räumen zeigen kann, ist vor allem eine politische Entscheidung. Kulturminister Blümel hält jedenfalls an der angekündigten Evaluierung des hdgö bis Jahresende fest. Erst danach werde die Standortsfrage geklärt. Direktorin Sommer verweist im APA-Interview auf die im Vergleich mit internationalen Geschichtsmuseen deutliche Unterdimensionierung des von ihr geleiteten Hauses: "Die Lösung ist entweder ein Neubau oder eine Erweiterung in der Neuen Burg." Möglich scheint aber auch, dass sich das "Haus der Republik" künftig einfach in Räumlichkeiten des renovierten Parlaments finden wird.
Blick über die Grenzen
Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass historische Museen in ihrer Genese oft recht ähnliche Probleme und Fragestellungen zu bewältigen haben, wenn sie für die Realisierung auch nicht so lange brauchen wie in Österreich (siehe "Europäische Zeitgeschichtsmuseen im Vergleich"). Ein Erfolgsbeispiel ist das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, das mit 850.000 Besuchern jährlich eines der meistbesuchten Museen in Deutschland ist. "Mit ausdrucksstarken Originalobjekten, einprägsamen Bildern und individuellen Zeitzeugenberichten vermitteln die Dauer- und Wechselausstellungen nicht nur Kenntnisse der Vergangenheit, sondern bieten auch emotionale Zugänge zu historischen Prozessen bis in die Gegenwart", sagte Historiker Hans Walter Hütter, der seit 2007 Stiftungs-Präsident der Institution ist.
"Die Zielgruppe muss immer im Fokus stehen. Die Arbeit muss wissenschaftlich basiert und unabhängig erfolgen. Wichtig ist die Reduzierung der Themenfülle, die Erzählung von Geschichten, die sich zur Geschichte verknüpfen. Fragen stellen ist spannender als Antworten geben", so Hütter, dessen Expertise auch in Wien gefragt ist: Er ist seit 2015 Mitglied des "Internationalen Beirates", seit Sommer 2018 Mitglied im "Wissenschaftlichen Beirat" des hdgö.
Zeitgeschichte ist "heiß"
Dass das Thema Zeitgeschichte in der öffentlichen Wahrnehmung atmet und lebt, ist durch die langwierigen Diskussionen um die Errichtung des hdgö hinreichend belegt. Historikerin Heidemarie Uhl von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sieht in Häusern der Geschichte so etwas wie "Seismografen der Gegenwart": "Einerseits sind das Orte, wo Geschichte immer ganz aktuell ausverhandelt wird. Es handelt sich ja um Zeitgeschichte mit ihren heißen Themen. Und andererseits sind es auch Orte, die zeigen, wie eine Gesellschaft gewissermaßen zu einem bestimmten Zeitpunkt tickt."
Weiters zeige sich, dass solche Museen immer auch eine "Charta einer liberalen demokratischen Gesellschaft" seien. Diese Offenheit manifestiere sich in einer offenen Auseinandersetzung mit konfliktreichen Phasen der Vergangenheit - was in vielen Ländern eben nicht funktioniere.
Niederösterreich - Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Funktioniert hat diese Auseinandersetzung offenbar sehr gut im Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich, das am 9. September 2017 eröffnet wurde und seither mehr als 100.000 Besucher verbuchen konnte (siehe "Haus der Geschichte in St. Pölten - Gleich und doch nicht gleich"). Geschichte sei facettenreich und vielschichtig genug, dass Österreich ohne weiteres mindestens zwei "Häuser der Geschichte" vertrage, erklärte Christian Rapp, der zu Beginn des Jahres Stefan Karner als wissenschaftlicher Leiter folgte, im Gespräch mit APA-Science.
Rapp hält es daher für wichtig und gut, dass es das Haus der Geschichte in Wien geben wird. Jetzt sei es an der Zeit, dass das hdgö endlich eröffnet, dass es etwas zu sehen gibt, damit "die Gerüchtenebel und Mutmaßungen, die es im Vorfeld gegeben hat, vertrieben werden", so Rapp. Die Häuser müssten in den nächsten Jahren zeigen, dass sie vor allem in der Interpretation der jüngsten Geschichte das Publikum mitwirken lassen und mit diesem Projekte realisieren. "Wir wollen das Museum mit den Menschen gemeinsam voranbringen. Es ist ein Ort der Kommunikation." Mittlerweile würden Museen anders wahrgenommen, verweist er auf die jüngere Generation. Diese würde Museen nicht mehr als Orte des "demütigen Lernens" sehen. "Ihre Ansprüche sind gestiegen."
Bewusstseinsbildung in Schule und Lehre
Das Bewusstsein für das Zeitgeschehen und politische Abläufe muss schon in der Schule geschärft werden, sind sich Experten einig (siehe "Lebensweltbezug herstellen: Politische Bildung in der Schule") - und nicht nur dort. Ein Verständnis für die Geschichte einer Gesellschaft sei auch ein Schlüssel zu Zugehörigkeit und Partizipation, sagt etwa der Historiker Peter Larndorfer, der an der Berufsschule für Gastgewerbe und der Pädagogischen Hochschule Wien unterrichtet: "Ich denke, hier liegt die besondere Herausforderung und das Spannende an historisch-politischer Bildung mit Lehrlingen."
Trotz fortschreitender Digitalisierung ist das Schulbuch immer noch das traditionelle Medium zur Vermittlung von Inhalten. Wenig überraschend ist deren inhaltliche Ausgestaltung gerade im Kontext mit Zeitgeschichte keine einfache. Lehrpläne und damit auch Schulbücher, die diese umzusetzen versuchen, tragen immer auch die jeweilige Vorstellung von Bildungspolitik in die Schule, sagt Thomas Hellmuth, Professor für Didaktik der Geschichte der Universität Wien: "Es darf nicht vergessen werden, dass das Bildungssystem zum Erhalt einer Gesellschaft beiträgt, indem es letztlich die geltenden Normen und Werte sozialisiert und reproduziert."
Service: "Aufbruch ins Ungewisse - Österreich seit 1918", Ausstellung im Haus der Geschichte Österreich (hdgö), Neue Burg, Heldenplatz, 10. November 2018 - 17. Mai 2020. www.hdgoe.at