Haus der Geschichte in St. Pölten - Gleich und doch nicht gleich
Mehr als ein Jahr vor dem Haus am Wiener Heldenplatz wurde das Haus der Geschichte in St. Pölten am 9. September 2017 offiziell eröffnet. Auf 3.000 Quadratmetern und mit über 2.000 Objekten, davon 800 aus den Landessammlungen Niederösterreich, präsentiert das Haus mit einer laufend erneuerten Dauerpräsentation und einer Sonderausstellung die Geschichte Niederösterreichs im zentraleuropäischen Kontext.
Mittlerweile wurden mehr als 100.000 Besucher verbucht. Es gab etwa 1.400 Führungen, davon 760 interaktive Vermittlungsprojekte mit Schulen. "Das kann sich schon sehen lassen", bilanziert Christian Rapp, der zu Beginn des Jahres Stefan Karner als wissenschaftlicher Leiter folgte (siehe: Historiker Karner will Nachdenken über Zukunft).
Geschichte sei facettenreich und vielschichtig genug, dass Österreich ohne weiteres mindestens zwei "Häuser der Geschichte" vertrage, erklärt er im Gespräch mit APA-Science. Rapp hält es daher für wichtig und gut, dass es das Haus der Geschichte in Wien geben wird. Jetzt sei es an der Zeit, dass das hdgö endlich eröffnet, dass es etwas zu sehen gibt, damit "die Gerüchtenebel und Mutmaßungen, die es im Vorfeld gegeben hat, vertrieben werden", so Rapp im Gespräch mit APA-Science. Im Vorfeld habe es selbstverständlich immer wieder einen Informationsaustausch zwischen den beiden Institutionen gegeben.
Rapp ist erfreut darüber, dass die finanzielle Zukunft der Institution in Wien nun besser abgesichert ist. Und natürlich würde eine Änderung des Namens in "Haus der Republik" manches in der Kommunikation der beiden Häuser erleichtern. Er gibt aber zu bedenken, dass ein solches "Haus der Republik" unter der Ägide des Parlaments gegenüber dem Publikum immer wieder zeigen müsse, dass es nicht nur verlängerter Arm oder eine Art Besucherzentrum des Parlamentes sei.
Bei aller Ähnlichkeit gibt es auch – wenig überraschend - Unterschiede. Ein zentraler ist, dass das HdG in NÖ im niederösterreichischen Landesmuseum, das seit 1902 besteht, wurzelt. Seit dem 19. Jahrhundert wird in NÖ gezielt gesammelt. "Unser Haus ist ein Teil des Landesmuseums, ähnlich wie im Universalmuseum Joanneum in Graz, wo es ebenfalls ein Museum für Geschichte gibt", verweist der Kulturwissenschafter auf Institutionen in Österreich, die aus Landessammlungen hervorgegangen sind.
In St. Pölten werde der Begriff Zeitgeschichte außerdem sehr weit gefasst, während man im Wiener Haus der Geschichte weitgehend Geschichte ab 1918 abbilde: "Wir gehen von der jeweiligen Fragestellung aus, dann kann es auch weiter zurück in der Zeit gehen. Unser Haus ist nicht chronologisch, sondern nach Themen aufgebaut, da braucht es dann auch manchmal großzügige historische Rückgriffe." Die Ausstellung im hdgö befasse sich demgegenüber zunächst mit der engeren Zeitgeschichte (1918 bis zur Gegenwart). Daran interessiert ihn besonders, wie die Themenpakete, aufbereitet werden.
Das Land im Blick
Ein nicht unbeträchtlicher Unterschied der beiden Häuser liegt für Rapp darin, dass in St. Pölten verstärkt der ländliche Raum berücksichtigt wird: "Die Geschichte des 20. Jahrhunderts wird zu oft aus der Perspektive großstädtischer Zentren erzählt. Die tiefgreifenden historischen Veränderungen haben sich in Dörfern und Kleinstädten oft ganz anders niedergeschlagen als in der Metropole."
Gerade in den vergangenen Gedenkjahren hat sich gezeigt, dass heute viele der spannendsten zeitgeschichtlichen Forschungen und Projekte auf der Ebene von Gemeinden, Regionen und von einzelnen Institutionen wie Firmen oder Behörden stattfinden. Die ",große nationale ́ Geschichte findet man ohnehin in den Schulbüchern", so Rapp.
In den kommenden Ausstellungen will man in St. Pölten auf Querschnittsthemen setzen, die sich nicht in die "klassischen historischen Eckdaten einordnen lassen." Rapp verweist diesbezüglich auf zwei Projekte im nächsten Jahr: "Meine Jugend - Deine Jugend: Eine Generation schreibt Geschichte", die mit Jugendlichen gemeinsam erarbeitet wird, und "Die Welt der Spionage". Daran zeige sich einmal mehr, dass es genügend Themen gebe, um mindestens zwei Institutionen, die sich mit Geschichte befassen, zu bespielen.
Für das und mit dem Publikum
Rapp merkt weiters an, dass "Haus der Geschichte" eigentlich ein Begriff aus den 1980er-Jahren ist". Beide Häuser hätten eine ähnliche Genese wie die deutschen Vorläufer der 80er-Jahre gehabt, bei denen Politiker gemeinsam mit Universitätsprofessoren beschlossen haben, solche Projekte umzusetzen. Heute würde man derartige Vorhaben von vorneherein wesentlich publikumszentrierter konzipieren. "Die Zeit, wo allein Wissenschaftler auf Universitätsinstituten bestimmen, was den Menschen mitzuteilen ist, ist vorbei."
Die Häuser müssten in den nächsten Jahren zeigen, dass sie vor allem in der Interpretation der jüngsten Geschichte das Publikum mitwirken lassen und mit diesem Projekte realisieren. "Wir wollen das Museum mit den Menschen gemeinsam voranbringen. Es ist ein Ort der Kommunikation." Egal ob Ausstellung, Vortrag oder Diskussion, sie seien nur Anlass für die eigene Auseinandersetzung mit Geschichte, Gesellschaft und politischer Kultur. Das Darüber reden, die daraus sich ergebenden Debatten machten die eigentliche Stärke eines solchen Hauses aus.
Mittlerweile würden Museen anders wahrgenommen, verweist er auf die jüngere Generation. Diese würde Museen nicht mehr als Orte des "demütigen Lernens" sehen. "Ihre Ansprüche sind gestiegen."
Zusammenarbeit gewünscht
Rapp kann sich synergetisches Potenzial zwischen den beiden Institutionen sehr gut vorstellen – genauso wie gemeinsame Projekte. Da gebe es schon Ideen. "Jetzt aber muss das Haus in Wien erst einmal starten und sein Publikum finden". Er wünscht sich von einem "Haus der Geschichte Österreich", dass es nicht ausschließlich in Wien tätig ist, sondern auch in die Länder geht und überregionale Projekte initiiert und mitgestaltet.
Wie beim hdgö ist auch dem niederösterreichischen Pendant im Vorfeld ein Beirat beratend zur Seite gestanden, der etwa 90 nationale und internationale Wissenschaftler umfasste. Der zukünftige wird viel kleiner (rund 10 Personen) sein und soll laut Rapp die Aufgabe haben, auf aktuelle Themen in der Forschung (Erkenntnisse, Methoden etc.) hinzuweisen. Mindestens so wichtig sei die laufende Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Instituten in Niederösterreich, wie etwa dem Institut für Geschichte des ländlichen Raumes, dem Zentrum für Migrationsforschung oder dem Institut für jüdische Geschichte Österreichs. "Die definitive Entscheidung für bestimmte Ausstellungen oder Projekte müssen wir aber letztlich selbst treffen", erklärt der Ausstellungsexperte.
Wo bleibt die Politik?
Wenn es um die Darstellung von Geschichte in großen öffentlichen Einrichtungen geht, kommt unweigerlich die Politik ins Spiel. Rapp hält fest, dass es bei der Konzeption des Hauses der Geschichte im Museum Niederösterreich keine politische Einmischung gegeben habe. Diese Zeiten seien seines Dafürhaltens vorbei. Er ist auch der Auffassung, dass in wichtigen Fragen der Zeitgeschichte mitunter die Fronten quer durch die politischen Lager verlaufen. Doch das eine ist die eigene Wahrnehmung, das andere die Zuschreibung einer politischen Färbung durch die Medien. "Und die ist durchaus wirkmächtig", weiß Rapp. Er sieht sie als Hypothek, die es abzubauen gilt. "Das wird uns gelingen, und ich glaube, auch dem Haus in Wien", meint er. Die aktuelle Ausstellung zur Revolution von "1848 - Die vergessene Revolution" ist zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung entstanden. Sie ist noch bis Ende Oktober im Palais Niederösterreich in Wien zu sehen.
Wo es hingehen soll
"Künftig werden wir uns besonders gesellschaftshistorischen Themen in unseren Ausstellungen widmen. Da haben wir den Anspruch, über Ausstellungen Themen zu setzen", so Rapp. So gebe es etwa Überlegungen, einmal die Häuslbauer der Nachkriegszeit in den Mittelpunkt zu stellen. Daran könne gut dokumentiert werden, wie es um die Chancen und die Zukunft des ländlichen Raums bestellt ist. Dazu wäre auch das Verhältnis zwischen Stadt und Land (Stichworte "Speckgürtel", Zersiedelung, aber auch Bevölkerungsrückgang in entlegenen ländlichen Gebieten) zu untersuchen. "Wo beginnt die Stadt, wo hört das Land auf? Wie sind Wien und NÖ miteinander verbunden?" Diese Themen könnten 2021 interessant werden, weil sich in diesem Jahr die Trennung von Niederösterreich und Wien zum 100. Male jährt.
Ein anderer wesentlicher Schwerpunkt ist der Aufbau von Netzwerken, zum einen zur Wissenschaft, zum anderen zu verschiedenen lokalen und regionalen Initiativen. Schon derzeit gebe es eine Menge engagierter Initiativen, die sich mit Zeitgeschichte beschäftigen. Rapp kann sich gut vorstellen, "Themen zu bündeln, aber auch Projekte in ländlichen Regionen zu streuen". Ebenso würden aber auch internationale Kooperationen vorangetrieben wie etwa beim Thema Spionage mit Sammlungen in Tschechien, Russland und Großbritannien.
Von Hermann Mörwald / APA-Science