Ausstellungsarchitektur für Geschichtslabor
Die Ausstellungsarchitektur für das Haus der Geschichte Österreich stammt von BWM Architekten. Im Juli 2017 war das Wiener Büro aus dem EU-weit ausgeschriebenen Wettbewerb hervorgegangen. Im APA-Interview schildert Johann Moser gemeinsam mit Ausstellungsgrafiker Stefan Fuhrer, wo die Herausforderungen lagen, wie sie den Labor-Gedanken umsetzen und mit der klassizistischen Architektur verfahren.
APA: Sie haben im Sommer 2017 den Wettbewerb für die Ausstellungsarchitektur des hdgö gewonnen. Teil der 1.800 zur Verfügung stehenden Quadratmeter ist auch das imposante Stiegenhaus. Wie werden Sie diesen riesigen Raum bespielen?
Johann Moser: "Imperiale Räume und republikanische Wirklichkeit" war ein Hauptmotto unseres Wettbewerbsentwurfs und das zeigt auch das Spannungsfeld auf, aus dem wir unsere gesamten Gestaltungsüberlegungen entwickelt haben. Das monumentale Prunkstiegenhaus ist ein dramaturgisches Erlebnis für sich - zu Beginn fühlt man sich als kleiner Untertan und ganz oben dann souverän erhaben in diesem sich schier ins Endlose biegenden marmornen Raumschiff. Hier verstehen wir unsere Aufgabe darin, einerseits dieses Architekturerlebnis nicht zu schmälern, aber zugleich die Besucher sicher durch den labyrinthischen Raum in unser neues Museum zu geleiten.
APA: Das heißt, viel mehr als das Leitsystem wird sich im Stiegenhaus nicht finden. Wie haben Sie das gelöst?
Stefan Fuhrer: Was das Leitsystem betrifft, haben wir das nicht rein grafisch, sondern mit einer Installation gelöst. Wir wollten etwas Erstaunlicheres schaffen als drei, vier Pfeile.
Moser: Unser Ansatz war, diese steinerne Beeindruckungsarchitektur nicht mit architektonischen Einbauten zu stören, sondern einen medialen Layer einzuführen. Mehr kann man diesem mächtigen Raum nicht aufbürden. Eine Lichtprojektion und Monitore als neues Medium in diesem alten Raum lassen jeden sofort lesen: Das führt zum neuen Haus der Geschichte. Das Medium ist die Botschaft für den neuen Mieter in diesen Heiligen Hallen.
APA: Auch die Ausstellungsräume stehen unter dem Eindruck der vorherrschenden Architektur der Neuen Burg. Wie gehen Sie damit in der tatsächlichen Ausstellung um?
Moser: Die durchgehende Frage war, wie man mit diesem imperialen Kontext angesichts des zeitgenössischen Selbstverständnisses des neuen Hauses der Geschichte zurechtkommt. Schließlich handelt es sich um Repräsentationsarchitektur der Monarchie, in der nun die Republik beginnt, über sich selbst nachzudenken, in Räumen, die den Habsburgern dienen sollten. Das war ein spannendes Moment. Uns war klar, dass wir nicht gegen die Dominanz dieser Architektur arbeiten können. Dort, wo sie klassizistisch-dekorativ ist, nutzen wir dieses Ambiente bewusst als Kontext für unsere Inszenierung, und dort wo es die Architektur erlaubt, wo es wenig Dekoration gibt, dort schauen wir, dass wir eine Atmosphäre schaffen, die bewusst das monarchische Ambiente völlig ausschaltet. Dass ein neutraler Raum entsteht, der überall sein könnte, in dem man befreit neu und anders auf die Geschichte schauen kann - wir nennen diesen Raum Geschichtslaboratorium.
APA: Im ersten Ausstellungsraum dominiert die ursprüngliche Architektur. Was wird dort zu sehen sein und wie haben Sie den Raum gestaltet?
Moser: Der erste Raum ist ein repräsentativer, klassizistischer Raum. Der ist sehr gut geeignet für das Thema 1918, also den Übergang von der Monarchie in die Republik. Wir haben uns für eine sehr szenische Setzung entschieden. Die Inszenierungsidee ist, mit einem einzigen Schritt mitten in die Ereignisse des 12. November 1918 einzutauchen. Es gibt ein zentrales Raumgerüst mit einer Doppelprojektion, in der Originalfilme von diesem Tag gezeigt werden. Integriert ist ein News-Ticker mit den Ereignissen dieses Tages. Der Besucher ist also zu Beginn mitten in die Aufmärsche vor dem Parlament am 12. November 1918 hineingeworfen.
Darum herum beschäftigt sich der Ausstellungsraum mit Themen wie der Sozialgesetzgebung, dem Erbe der Habsburger und der Neustrukturierung des Territoriums, der Verschiebung der Grenzen. Schlicht: Alles dreht sich um die neuen Herausforderungen in dieser total labilen, instabilen Zeit, in der man alles auch anders machen hätte können. Diesem Motiv ist auch die Gestaltung der Ausstellungsgeräte geschuldet, sie stehen auf Rädern, sind aus kräftigen metallenen Gerüstrohren gebaut und sprechen eine ganz andere Sprache als das feudale Ambiente rundherum. Die mobilen Geräte erscheinen wie fremde, ungebetene Gäste in dieser Umgebung. Auf einer Tribüne im Raum, die für Einführungen genutzt werden kann, können die Besucher über Kopfhörer Zeitzeugeninterviews lauschen und den anderen beim Ausstellungsbesuch zusehen.
APA: Was folgt auf den ersten, imperialen Raum?
Moser: Der große Hauptausstellungsraum bietet bewusst eine komplett andere Atmosphäre: Der Boden, die Wand und die Decke sind weiß - das Geschichtslabor: Wir setzen auf eine möglichst kontextfreie Art des Herangehens. Gleich mit dem ersten Schritt stößt man auf das heutige Österreich im europäischen Kontext - ein bewusster Sprung über 100 Jahre hinweg ins Heute. Architektonisch handelt es sich um einen aus Würfeln zusammengestellten Raum - eine abstrakte, räumliche Statistik, bildet das erste Themenfeld Ökonomie. Rechts geht es der Längswand entlang mit dem chronologischen Bildgedächtnis los, das auf 60 Metern Länge 100 Jahre österreichische Geschichte erzählt. Auffällige Neon-Jahreszahlen in Zehnjahres-Schritten geben einfache Orientierung. In der Raummitte folgen die insgesamt sieben Themeninseln wie die Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur, die Zeit des Nationalsozialismus, sowie Erinnern und Vergessen.
Wir arbeiten dabei auch viel mit Mikroinszenierungen, um die verschiedenen Themen intuitiv zugänglich zu machen. Diese funktionieren wie ein Schuhlöffel, um ins Thema einzusteigen und zu verstehen, worum es geht, ohne dass ich viel lesen muss. Beispielsweise beim Thema "Österreich/Identität", wo es auch um Vorurteile und das Österreich-Klischee geht. Es wird kleine, abstrahierte Almhütten geben, in der Mitte steht eine Heurigenbank mit einem interaktiven Spiel. Auch eine Selfie-Station auf einem einsitzigen Sessellift wird es geben. Das Thema "Grenze" setzen wir mit einer künstlerischen Installation wie bei der Passkontrolle am Flughafen "EU/Non-EU" um. Verschiedene Grenzgeschichten aus Österreich hinterlegen wir mit Gitterzäunen, die als Objektträger dienen. Alle diese unterschiedlichen Ausstellungsarchitekturen sind durch die Farbe weiß zu einer einheitlichen Raumwirkung zusammengefasst, eben der Assoziation des Labors.
APA: Am Ende findet sich wieder eine Tribüne. Wie soll sie bespielt werden?
Moser: Diese Tribüne dient als Echo, als Landschaft, wo man sich in jede Richtung draufsetzen kann. Rundherum wird es auch eine künstlerische Intervention mit einer Wandbeklebung von Nick Prokesch geben, wo Besucher selbst Nachrichten hinterlassen können.
APA: Herr Fuhrer, welche Rolle spielen die Ausstellungstexte und ihre grafische Gestaltung?
Fuhrer: Es gibt in der Ausstellung Textebenen für eilige und nicht-eilige Menschen: Es gibt jeweils einen Bereichs- und einen Kapiteltext. Das ist intuitiv, der Besucher merkt bald, dass es ein System gibt. Auch da herrscht der Laborgedanke: Die Hauptbereichstexte werden individuell gehandhabt, was die Darstellung betrifft, es wird immer auf die architektonische Situation eingegangen.
APA: Wird auch die Fensterseite mit Texten bespielt?
Fuhrer: Die Wandfläche haben wir freigespielt, auch im Kontrast zur gegenüberliegenden Zeitleiste.
Moser: Wir haben um jeden Quadratzentimeter Freifläche gekämpft und versucht, trotz der Fülle eine gewisse Leichtigkeit zu erreichen.
APA: Die rund 750 Quadratmeter Ausstellungsfläche umfassen drei Räume, die in eine Sackgasse münden. Der Besucher muss am Ende also wieder durch die Ausstellung zurück. Wie sind Sie damit umgegangen?
Moser: Es gibt keinen Rundgang, nach dem sich jeder Museumsgestalter sehnt. Man muss am Ende quasi wieder in Kaisers Garten zurück. Wir gehen aber davon aus, dass man als Besucher beim ersten Durchgehen sicher nicht alles sieht und dass es beim Zurückgehen genug Neues zu entdecken gibt oder - so ist die Hoffnung - dass man die Sachen nochmal anders anschaut, ein zweimaliges Nachdenken über die Objekte möglich wird.
Fuhrer: Im Besten Sinne hat man einen zweiten Blick auf 1918 und kann das ein bisschen anders rezipieren, aufgrund dessen, was man seit dem ersten Besuch des Raumes gesehen hat.
APA: Wie viele Personen dürfen sich gleichzeitig in der Ausstellung aufhalten?
Moser: 240 Personen dürfen gleichzeitig in der Ausstellung sein.
APA: Wird es für die Besucher eine Wegführung geben, sodass Sie beim Rein- und Rausgehen einem gewissen Pfad folgen?
Moser: Nein. Wir sind davon ausgegangen, dass der Ausstellungsraum wie ein Feld ist, ein Platz. Eine stringente Wegführung würde vor besonderen Objekten zu einem Stau führen. Es ist ein offenes Feld, man stolpert über Dinge, die einen vielleicht gar nicht interessiert hätten, weil andere Stationen gerade besetzt sind. Der Vorteil dieses Systems ist: Ich versäume das Interessante nicht, ich kann es mir holen, wann es mir recht ist.
APA: Wird es Verweilmöbel geben, um sich länger im Raum aufzuhalten und sich zu vertiefen?
Moser: Es gibt mehrere solche Einrichtungen: Zunächst die zwei Tribünenelemente im ersten und letzten Raum, weiters gibt es in allen Fensternischen Sitzmöglichkeiten. Dort kann ich mich aus dem Trubel rausziehen, den anderen aber dabei zuschauen, wie sie die Ausstellung betrachten. Und dann gibt es natürlich den Kaffeebereich, das war uns wichtig, da es in den Räumlichkeiten weit und breit keinen Kaffee und kein Getränk gibt. Wenn man ins Foyer geht, ist auf der einen Seite die Vermittlung, auf der anderen ein Platz zum Ausruhen und Stärken. Man kann aus der Ausstellung raus, sich hinsetzen und regenerieren und dann wieder in die Ausstellung zurückgehen. So kann man Leuten die Möglichkeit geben, mehrere Stunden im Haus der Geschichte zu verweilen.
(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)