"Märkte und Moral"
Das nunmehr siebte Universitätenforum in Alpbach beschäftigt sich in Anlehnung an das Generalthema des Europäischen Forums Alpbach mit einem Thema aus der Wertediskussion. Renommierte Vertreter/innen österreichischer Universitäten werden die Breite dieses Themas aus unterschiedlichen Fachdisziplinen mit verschiedenen Blickwinkeln und methodischen Ansätzen diskutieren. Im Zentrum der Vorträge und Panels stehen Fragen nach der Bewertung, der Entwicklung, aber auch der Erosion von Moral auf den Märkten. Dabei werden die Begriffe „Märkte“ und „Moral“ weit gefasst. So sollen die unterschiedlichsten Marktformen - von Märkten in der Medizin bis hin zu klassischen Finanzmärkten - thematisiert und deren moralische Aspekte im jeweiligen Fachkontext in den Blick kommen.
Die Marktwirtschaft im engeren Sinne wird zunehmend von einer Marktorientierung der gesamten Gesellschaft abgelöst. Dies wiederum führt zwangsläufig zu einer Umschichtung aller Normen und Werte. Schon deshalb ist eine Diskussion über die Rolle der Märkte in einer demokratischen Gesellschaft, über die entsprechenden Normen für die Vermarktung des Sozialen sowie über den gerechten Zugang zu Gütern unerlässlich. Das Universitätenforum will mit seiner heurigen Veranstaltung Denkanstöße liefern und einen Beitrag zur Neubewertung der ethischen Aspekte im wirtschaftlichen Handeln sowie des Wertewandels unserer Gesellschaft insgesamt geben. Obwohl es damit einen wirtschaftswissenschaftlichen Schwerpunkt setzt, erfüllt es trotzdem die Vorgabe der Interdisziplinarität, wie die Vielfalt der Vortrags- und Panel-Themen illustriert.
Die Rolle der Märkte in einer demokratischen Gesellschaft und der Schutz vor dem Ausverkauf moralischer Werte aufgrund marktorientierten Handelns bedürfen einer näheren wissenschaftlichen Durchleuchtung. Harvard-Professor Michael J. Sandel wendet sich in seinem vielbeachteten Buch „Was man für Geld nicht kaufen kann - Die moralischen Grenzen des Marktes“ (Berlin 2012) gegen die immer stärker um sich greifende Kommerzialisierung aller Lebensbereiche.
Folgende Fragestellungen seines Buches scheinen mir auch für die Diskussion des kommenden Universitätenforums relevant zu sein: Wo ist der Vermarktungsgedanke der Gesellschaft nützlich und wo beeinträchtigt er das soziale Gefüge bzw. die zwischenmenschlichen Beziehungen? Ist es vertretbar, öffentliche Ressourcen wie unsere Luft oder Wasser zu kommerzialisieren? Kann man von der Erwartung ausgehen, dass die Konsumenten jene Unternehmen belohnen, die ein stärkeres soziales und umweltbezogenes Engagement zeigen? Welche Dienstleistungen (z. B. Leihmutterschaft) und Produkte (z. B. Organe) tangieren Persönlichkeitsrechte?
Das Übergreifen von Märkten und marktorientiertem Denken auf Aspekte des Lebens, die bislang von Normen außerhalb des Marktes geregelt wurden, wirft eine Vielzahl von Fragestellungen auf, die nicht allein von der Moralphilosophie zu beantworten sind. Nur die Wissenschaften gemeinsam können dazu beitragen, dass eine Balance zwischen berechtigtem Profitstreben, Umweltschutz und Wahrung der Menschenrechte gefunden wird.
In einem Interview für die „Times Higher Education“ vom 11. Juli dieses Jahres wendet Michael J. Sandel seine Thesen nicht zuletzt auf die Hochschulpolitik an. Er verwahrt sich dagegen, Studierende als Konsumenten zu sehen und warnt vor möglichen negativen Einflüssen von Drittmittel auf die akademischen Werte und ethische Prinzipien. Er plädiert dafür, Hochschulbildung als öffentliches Gut und nicht als privates Gehege zu verstehen.
Neben Philosophie und Theologie haben sich vor allem die Geisteswissenschaften mit moralischen Fragen befasst, etwa seit der Zeit der Aufklärung, in der die sogenannten „moralischen Wochenschriften“ den literarischen Markt beherrschten. Allein in Deutschland sind für die Zeit zwischen 1713 und 1761 an die 182 Zeitschriften dieser Art nachzuweisen. Begründet in England durch Addison und Steele hat dieses Genre vor allem durch Bodmer und Breitinger in Zürich und durch Gottsched in Leipzig prominente Nachahmer im deutschsprachigen Raum gefunden. In diesen Publikationen wurden die - meist humorvoll oder auch satirisch betrachteten - Sitten der Zeit durch die Aufklärungsethik, wie sie unter anderen Immanuel Kant formuliert hatte, gemessen und beurteilt.
In der heutigen Zeit geschieht dies weniger in Wochenschriften als bei Kolloquien. So begann etwa das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung im Jahre 2006 eine neue Veranstaltungsreihe zu den beiden Begriffen „Markt“ und „Moral“. Darin bezeichnet dessen Direktor Wolfgang Streeck diese als „Facetten eines unvermeidlichen Themas“. Im Vorwort zum Tagungsband führt er aus: „Wie der Einfluss moralischer Handlungsorientierungen zu bewerten ist, ob er die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft verbessert oder beeinträchtigt, ob man angesichts von Wettbewerbsdruck überhaupt in relevantem Ausmaß mit moralisch orientiertem Handeln in wirtschaftlichen Kontexten rechnen kann und wie sich moralisches Handeln in die moderne Wirtschaftstheorie und -soziologie integrieren lässt, dies alles sind hoch aktuelle und zugleich hoch umstrittene Fragen. Sie rühren an unser Grundverständnis von Wirtschaft und an die Grundlagen des Verhältnisses zwischen Wirtschaft und Gesellschaft.“