Fabriken in digitalen Welten
Die „Industrie 4.0” soll autonom, vernetzt und dadurch sparsamer und flexibler werden. In der Fabrik der Zukunft bilde sich das „Internet der Dinge” auf die Produktion ab, die sich dann weitgehend selbst steuert und optimiert, erklärte Jochen Schlick vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) im Gespräch mit der APA. Der Mensch stehe aber auch in der vierten industriellen Revolution im Mittelpunkt, so der Experte, der bei den Alpbacher Technologiegesprächen zum Thema „Industrie 4.0 - Auswirkungen auf die Arbeitswelt der Zukunft” referieren wird.
Die Welt der Industrie hat sich im Lauf der Geschichte schon mehrmals dramatisch verwandelt: Die erste industrielle Revolution im 18. Jahrhundert folgte auf die Erfindung der Dampfmaschine. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam das von Henry Ford eingeführte Fließband, das die Produktivität stark erhöhte. Die dritte Revolution Ende der 1970er-Jahre war durch die Automatisierung mit Hilfe von Robotern und programmierbaren Steuerungen geprägt.
„Cyber Physical Systems“
Die vierte Revolution, die nun von der Maschinenbaubranche ausgerufen wird, soll im Wesentlichen aus dem selbst steuernden Zusammenspiel von Maschinen und Werkstücken bestehen, die zu sogenannten „Cyber Physical Systems“ werden. Im Idealfall sucht sich dann ein Werkstück selbst seine Maschine, und lässt sich zum besten und effizientesten Zeitpunkt bearbeiten. Damit das funktioniert, wird das gesamte Fertigungs- und Logistiksystem virtuell modelliert und mit dem realen System verschmolzen.
Das ist auch das Grundprinzip hinter dem sogenannten „Internet der Dinge”, bei dem Ort und Status von mit Sensoren digitalisierten Objekten jederzeit per Computer abrufbar sind. Ein klassisches Beispiel kommt aus dem Bereich des Ubiquitous Computing: Der Kühlschrank, der die Milch selbstständig auf die Einkaufsliste setzt, wenn sie zur Neige geht. In der industriellen Dimension wird diese Digitalisierung notwendig, damit Produkte und Lose per RFID-Technik jederzeit und überall verfolgt werden können.
„Die Kernidee ist der Umgang mit Informationen. Ich habe durchgängig Informationen über meine Produkte, über Produktionsressourcen, über Mitarbeiter, über Wertschöpfungspartner und ich optimiere damit meine Wertschöpfungsprozesse”, fasst Schlick den Grundgedanken hinter dem vor allem seit der Hannover Messe 2011 propagierten Begriff „Industrie 4.0” zusammen.
„Das Internet der Dinge bildet die Brücke zwischen der realen und der im Rechner abgebildeten Welt. Das heißt, der inhaltliche Kern ist, effektiv an Informationen aus der realen Welt zu kommen, indem man unter anderem auf Internettechnologien aufsetzt”, so der stellvertretende Leiter des Forschungsbereichs „Innovative Fabriksysteme” am DFKI.
Menschenleere Produktion „Blödsinn“
Der Mensch spiele aber auch in der aktuellen industriellen Revolution, die Schlick lieber als Evolution bezeichnet, noch eine tragende Rolle: „Ja, und zwar ganz massiv. In der heutigen Produktion ist es bei weitem noch nicht so, dass sich die Produkte ihre eigene Maschine suchen.” Von der sturen Automatisierungsphilosophie des Computer Integrated Manufacturing (CIM), zentrales Element der dritten industriellen Revolution, habe man sich immer mehr verabschiedet. „Diese menschenleere Produktion ist eigentlich Blödsinn, weil es gibt dann in der Produktion niemanden mehr, der die Prozesse noch versteht.”
Für Facharbeiter werde es wichtiger, dass neben der technischen auch noch eine kommunikative und organisatorische Qualifikation hinzukommt. Auch kreative Prozesse sieht Schlick in Zukunft ausschließlich beim Menschen: „Die Produktion ist ja nur ein Element im Lebenszyklus eines Produktes. Bevor ein Produkt gefertigt werden kann, muss es ja erst einmal entwickelt werden.” Die Internet- und Fabriktechnologien seien sehr divers, und würden sehr weit auseinanderliegen. Damit sei der Bedarf nach qualifizierten Fachkräften ungebremst: „Es wird unmöglich sein, dass sich ein Fabrikmechatroniker in der vollen Breite der IT auskennt. Genauso wird sich ein IT-Spezialist unmöglich mit der ganzen Palette der Mechatronik auskennen.”
Wertschöpfungsketten im Wandel
Mit neuen Produktionsphilosophien und -technologien unterliegen auch die Wertschöpfungsketten der Zukunft einem Wandel. Will man in Zukunft mit einer Innovation im Bereich Mobilität punkten, wird es wahrscheinlich nicht reichen, wenn man lediglich ein neues Auto entwickelt. Die Wertschöpfungsketten der Zukunft müssten viel weiter gedacht werden, um mit einer Entwicklung die ständig steigende Komplexität sinnvoll bewältigen zu können und einen tatsächlichen Mehrwert zu schaffen, zeigt sich Sabine Herlitschka, Vorstand für Forschung und Entwicklung bei Infineon Technologies Austria, gegenüber der APA überzeugt. Das „globale Dorf“ gebe es in vielen Bereichen bereits. Welche Chancen sich darin bieten, diskutieren Experten im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung bei den Technologiegesprächen in Alpbach.
Die Anforderungen an die Wertschöpfungsketten der Zukunft umfassen weit mehr als die Optimierung von Produktion und Logistik, ist sich Herlitschka sicher. Sie wird in Alpbach in das Thema einführen. „Was wir zeigen werden, ist, dass hier ganz wesentliche Veränderungen stattfinden, die uns einholen und dass sich das auf verschiedenen Wegen auf die Wertschöpfungskette niederschlägt.“ Diese Umwälzungen gingen einher mit den großen globalen Herausforderungen, wie etwa der Veränderung der Mobilität und Energienetze sowie dem noch stärkeren Trend in Richtung Dienstleistungsgesellschaft.
Kombination verschiedener Lösungen
„Um ein griffiges Beispiel aus der Mobilität zu bringen: Es wird vermutlich ziemlich altmodisch sein, ein Auto anzubieten“, erklärte Herlitschka. Es wird vermutlich weniger um einzelne Produkte, sondern mehr die Kombination von verschiedenen Lösungen für bestimmte Anforderungen gehen. Das werde etwa bei der Elektromobilität klar, bei der das einzelne Auto allein, ohne die dazugehörende Strom-Tankstellen-Infrastruktur keinen Sinn macht. Um diese Infrastruktur sinnvoll aufbauen und betreiben zu können, muss sich wiederum auch die Energieversorgung entsprechend verändern. Das Produkt „Auto“ braucht also weit mehr, als sich selbst. Das stelle eine zukünftige Entwicklung, „jenseits dessen, was man normal als Wertschöpfungskette mit Begriffen wie Logistik, Zulieferer, Produzent und Abnehmer versteht“, dar.
Auch das Thema Nachhaltigkeit etwa im Sinne von Wiederverwertung von knappen Rohstoffen, die bereits einmal in einem Produkt ihre Dienste verrichtet haben - also schon einmal die Wertschöpfungskette durchliefen - werde vermutlich wichtiger. In der Diskussion „Ökonomie versus Ökologie“ ergeben sich auch Marktpotenziale, so die Expertin.
Firmen müssten sich zukünftig entsprechend stärker mit branchenfremden Technologien auseinandersetzen - das Innovationssystem werde breiter. „Einerseits verschwinden die Branchengrenzen mehr und mehr, andererseits braucht man aber auch neue Geschäftsmodelle“, so Herlitschka. Die Frage sei: „Was bietet man denn wirklich an? Ist es noch ein Produkt oder ist es eigentlich ein Service und für welche Services kann man etwas verlangen und wofür nicht.“
Kunden im Vordergrund
Ein weiterer Aspekt sei, dass die Kunden stärker in den Vordergrund rücken. Das klinge zwar „trivial, aber man wird sich viel stärker überlegen müssen, was die Kunden wirklich brauchen und wollen“. Auch für ein Unternehmen, das wie Infineon eher im „Business-to-Business-Bereich“ tätig ist, gehe es weniger darum, nur darauf zu achten, was technisch möglich ist, sondern, was wirklich sinnvoll ist.
Das alles immer komplexer wird, ist ein altes Schlagwort und als Erkenntnis nicht neu, es gehe aber nun verstärkt um den Umgang damit. Herlitschka: „Man wird dann die Nase vorne haben, wenn man es schafft Ansätze zu entwickeln, die Komplexität nicht wegzureden oder zu vermeiden, sondern sie irgendwie vernünftig zu managen.“
Das Mittel der Wahl, um dem in Forschung und Entwicklung zu begegnen, ist kein Unbekanntes - nämlich die Kooperation. Heute könne keine Organisation für sich alleine so gut sein, dass sie alle Antworten selbst findet.
Möglichkeiten nicht ausgeschöpft
Die Möglichkeiten, wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem universitären Bereich auch in die Wertschöpfungskette mitzunehmen, sieht Herlitschka noch nicht ausgeschöpft. „Die Unis sollten viel systematischer rausgehen und auch tatsächlich offensiv auf Unternehmen und Partner zugehen.“ Einige heimische Institutionen täten das bereits. Infineon habe etwa gute Partnerschaften in diese Richtung aufgebaut, „ich glaube aber, dass da noch viele Potenziale bestehen“, so die Managerin.
Im Hinblick auf die ambitionierten Ziele der Wachstums- und Wettbewerbsstrategie der europäischen Kommission „Europa 2020“, sei klar, „dass wir auch in Europa die besten Kräfte, jenseits von etablierten Kulturen, zusammenführen müssen. Da ist viel zu tun.“ Der Arbeitskreis in Alpbach trage diesem Anspruch insofern Rechnung, dass hochrangige Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, der Handelsdelegierte aus New York, Christian Kesberg, die Leiterin des heimischen Office of Science and Technology (OST) in Peking, Birgit Murr, und junge Menschen teilnehmen.
Von Nikolaus Täuber u. Mario Wasserfaller / APA-Science