Wenn Funktion und Differential zum Freund werden
Die Zukunft der Jugend steht im Zentrum des diesjährigen "Europäischen Forums Alpbach". Eine Generation, die mit Internet, Handy und sozialen Netzwerken aufgewachsen ist, wirft auch an Universitäten die Frage auf, wie mit den "digital Natives" am besten umzugehen sei. Führt der früh geübte Umgang mit Technik auch notwendigerweise zu einem tieferen Verständnis der zugrundeliegenden Technologien? Der Mathematiker Rudolf Taschner im Gespräch mit APA-Science.
Die Auseinandersetzung mit Smartphone, WWW und Co. deutet zumindest eine technische Neigung an. "So wie jemand, der gut rechnen kann, eine gewisse Affinität zur Mathematik hat, obwohl Mathematik etwas anderes ist als Rechnen, weist das Spiel mit technischen Geräten darauf hin, dass ein Zugang zur Technik vorliegt", erläutert der "math.space"-Gründer und Professor am Institut für Analysis und Scientific Computing an der TU-Wien.
"Viel Schrott"
Neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung wie beispielsweise Videoaufzeichnungen von Vorlesungen kann sich Taschner als sinnvolle Ergänzung vorstellen, warnt aber gleichzeitig davor, darin der Weisheit letzten Schluss zu sehen. Ein Internetvideo unterscheide sich stark vom persönlichen Erleben im Hörsaal: "Die Aura eines Theaterstücks ist nicht vergleichbar mit der eines Films." Auch dem Radio oder dem Fernsehen wurde bei deren Einführung und Verbreitung große Möglichkeiten attestiert. Hoffnungen auf eine Bildungsexplosion durch Radiovorträge, Schul- und Bildungsfernsehen haben sich in den Augen Taschners allerdings nicht erfüllt. Die 'Universum'-Reihe betrachtet er in diesem Zusammenhang als Ausnahme von der Regel "Fernsehen ist Schrott".
Auch das Internet löst bei Taschner keine große Euphorie aus: "Das Internet ist ein riesiger Schrotthaufen mit ein paar Perlen. So ist es, damit muss man leben." Die Interaktivität ist für ihn nur eingeschränkt gegeben, da man immer eine andere Person braucht, die zur gleichen Zeit ebenfalls online ist, und die reine Interaktionsmöglichkeit sagt noch nichts über die Qualität des Inhalts aus. So kann zu viel schnelle Interaktion "auf eine seichte Basis" führen, im Gegensatz zu den "hatschaten" Briefwechsel früherer Generationen. "Das hat dann zwei, drei Monate gedauert, bis die Person geantwortet hat, damit inhaltlich auch etwas drinsteht.“
Hintergründige Technik
Durch die alltägliche Anwendung technischer Geräte sind die zugrunde liegenden Funktionsweisen, die Technik dahinter, fast unsichtbar geworden. "Darum haben wir Mathematiker leider nicht das große Geld gemacht, sondern Bill Gates." Design, Umsetzung und Anwendung stehen im Vordergrund und verdecken in gewisser Weise die Grundlagen dahinter. "Die Oberflächengurus scheffeln das Mammon, und wir, die sozusagen den Hintergrund vorbereiten, können dann nur sagen, 'Naja, wir haben es eh gewusst'."
Den Unterschied zwischen der Mathematik und deren technischer Anwendung beschreibt Taschner anhand der Computer-Tomographie. Der Österreicher Johann Radon hatte bereits 1917 ein mathematisches Verfahren entwickelt, das erst in den 70er-Jahren dem britischen Techniker Godfrey Hounsfield nach Vorarbeiten des Physikers Allan Cormack als Basis für die tatsächliche Erfindung der Computer-Tomographie diente.
Die Möglichkeit, Freude und Reiz einer eigenen Entdeckung zu erleben, machen für Taschner technische Studien besonders schön: "Dass man auf die Idee kommt 'Ich habe etwas gefunden, was vielleicht noch niemand gefunden hat. Jetzt habe ich in der Welt etwas geschaffen'. Darum sollte jeder ständig studieren."
Mathematik als Fundament
Von Seiten der Industrie wurden in dem Arbeitskreis "Fachkräfte 2020" verschiedene Punkte erarbeitet, die den heimischen Fachkräftenachwuchs sichern sollen. Unter anderem sollten die sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) im gesamten Bildungssystem vom Kindergarten bis zur Universität verankert werden. Angesprochen auf die Rolle der Mathematik für das Verständnis von Technik und Naturwissenschaften meint Taschner: "Wenn Mathematik richtig gelehrt wird, ist das die conditio sine qua non. Dann ist sie das, was früher für die gesamten Wissenschaften die Philosophie war. Sozusagen das Fundament, auf dem dann alle auf festem Grund aufbauen können."
Um den Studenten Begriffe auch in einem größeren als dem unmittelbar technischen Kontext näher zu bringen, plant der Mathematiker in seiner Grundvorlesung "Einführung in die Mathematik", eigene Wege einzuschlagen. So soll den Zuhörern auch die Entstehung von Begrifflichkeiten wie Zahl, Funktion und Differential nähergebracht werden. Durch das Vermitteln der Herkunft und Geschichte dieser Ausdrücke könnten sie zu "Freunden" werden, so die Hoffnung Taschners.
Weiters soll den Studenten in seiner Vorlesung ein gewisser Freiraum zugutekommen: "Sie sind ganz frei. Aber natürlich muss man ihnen sagen, 'Herrschaften, die Freiheit verlangt von euch, dass ihr Verantwortung übernehmt. Ich werde euch keinen Leitfaden der Verantwortung geben, den müsst ihr euch selber zusammenschustern'." Die Übertragung von Verantwortung ist für Taschner ein wichtiges Element auf einer Universität und ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zur Schule: "In der Schule muss ich dafür sorgen, dass die Hausübungen brav gemacht werden. Auf der Universität ist es mir Gott sei Dank egal." Das Ergebnis dieses Zugangs möchte der bisweilen "Mathe-Lehrer der Nation" genannte in rund zwei Jahren überprüfen.
Gespräch statt Prüfung
Prüfungen und Zeugnisse sieht Taschner zwiespältig: "Wenn man ein Zeugnis ausstellt, dann teilt man der Gesellschaft mit, dass diese Kandidatin, dieser Kandidat befähigt ist, etwas zu können. Da hat man eine gewisse Verantwortung." Auch dem gängigen Ablauf von Prüfungen steht der Wissenschaftler kritisch gegenüber: "Es ist ja sinnlos, bei einer Prüfung eine Frage zu stellen, von der ich die Antwort besser weiß, als der, den ich frage. Wozu stelle ich die Frage? Das ist ja pervers."
Das Wissen und die Kompetenzen müssten bereits vorhanden sein, bevor es zu einer mündlichen Prüfung kommt, die dann in Form eines Gespräches und eines Austausches stattfinden sollte. Um dennoch sicherzustellen, dass die gewünschten Anforderungen erfüllt sind, kann sich der Mathematiker eine Unterteilung einer Prüfung in zwei Teile vorstellen. In einem schriftlichen Teil könnten "diese elenden Kompetenztests" untergebracht werden. In dem für Taschner wichtigeren, mündlichen Teil, dem Gespräch, könnte sich dann der Prüfer davon überzeugen, ob "die Saat des Verstehens aufgegangen" ist. "Natürlich, wenn jemand nicht weiß, was sechs mal sieben ist, dann hat es keinen Sinn, dass ich über die Schönheit des Unendlichen plappere", meint er zusammenfassend.
Die Freiheit, die der "Universitätslehrer" seinen Studenten geben möchte, hat er in seiner eigenen Studienzeit kennengelernt. "So etwas wie Studienpläne hat es, glaube ich, irgendwo gegeben, aber ich habe mich nie um einen gekümmert oder von irgendjemandem gehört, eigentlich solltest du das oder das machen. Es war eigentlich frei. Das ist heute undenkbar." Taschner würde sich für das heutige Studium inhaltlich und organisatorisch mehr Freiräume wünschen. Die Anwesenheit in Vorlesungen und die Prüfungszeitpunkte würde er dem Ermessen der Studenten überlassen. Diese Spielräume sollten auch den Universitäten als Institutionen eingeräumt werden.
„Heute plant man Bologna, wo ist Hegel?“
"Ein bisschen sollte der Staat, die Gesellschaft sagen, wir müssen der Universität doch den Freiraum geben, dass sie sich entwickeln kann ohne dass sie an Bologna und den ganzen Käse denken muss. Einfach frei. In der Hoffnung, dass dann irgendwas rauskommt." Eine starke Betonung der wirtschaftlichen Effizienz sei zwar nachvollziehbar, im Hochschulbereich allerdings nicht immer passend. "Es gibt Geistesgrößen, die vielleicht unter dem jetzigen Druck keine Chance gehabt hätten. Kant hat zehn Jahre keine einzige Zeile publiziert. Dann kam die 'Kritik der reinen Vernunft'. Der wäre im derzeitigen System rausgeschmissen worden."
Von der Politik wünscht sich Taschner mehr Autonomie und Selbstbestimmung. "Es hat keinen Sinn, die Universitäten in Europa alle gleichzurichten. Es gibt ja dann kein Interesse, zu sagen, ich gehe nach Heidelberg, wenn es dort dasselbe Programm wie hier gibt. Wozu?" Unterschiedliche Ausrichtungen und Schwerpunkte und weniger zentrale Pläne würden den europäischen Universitäten gut bekommen, ist der Mathematiker überzeugt und sieht sich von der Geschichte bestätigt. In den Fürstentümern im vornapoleonischen Deutschland entstand unkoordiniert eine Universitätslandschaft, die viele Geistesgrößen hervorgebracht habe. "Heute plant man Bologna. Wo ist Hegel?"
Abschließend verweist Taschner darauf, dass die Universität Wien in ihrem Gründungsjahr 1365 keine Universität im eigentlichen Sinne war, da die theologische Fakultät fehlte. Seit 2004 ist sie ebenfalls keine Volluniversität mehr, da in diesem Jahr die medizinische Fakultät ausgegliedert wurde. "Der Wandel wird weitergehen. Vielleicht heißt dann irgendetwas anderes Universität. Da habe ich keine Sorge, solange Europa und die geistige Kraft Europas da ist, und wir dafür sorgen, dass das so bleibt. Eine Universität Wien - in welcher Form auch immer - wird im ständigen Wandel weiterbestehen. Und das ist gut so."
Von Thomas Altmutter/APA-Science
Faktencheck Energiewende (Quelle: Klima- und Energiefonds)
Energieforschungserhebung 2014 (pdf)
Energieforschungsprogramm 2015: Einreichfrist 23.9.2015
Sessions zum Thema in Alpbach:
Energiewende: Gleiches Ziel - ungleicher Weg
Wasserstoff und Brennstoffzelle: Kommt der Marktdurchbruch?
Leuchtende Zukunft? Herausforderungen und Chancen der LED-Beleuchtung
Termine:
8. bis 11.9. 2015: International Symposium on Smart Electric Distribution Systems and Technologies (EDST 2015) (Wien)
15.9.: Energiegespräche TU Wien "Energieutopie oder Energiedystopie?" (Wien)
16.9.: Klima- und Energiemodellregionen: Pioniere der Energiewende - Finanzierung als Schlüssel für die Energiezukunft (Wien)
5. bis 7.10. 2015: Österreichische Photovoltaik-Tagung (Schwaz/Tirol)
Fakten
1945 gegründet
Drei Wochen Seminare, Symposien und Debatten
12 Symposien, 1 Seminarwoche, 5 Sommerschulen
4.000 Teilnehmer aus über 65 Ländern
700 Stipendiaten
650 Sprecher
>30 Alumni-Organisationen in 25 Ländern
Die Organisation
Das Europäische Forum Alpbach ist ein gemeinnütziger, unabhängiger Verein mit einem hauptamtlichen Organisationsteam. Es finanziert sich durch Teilnahmegebühren, öffentliche Förderungen sowie privates Sponsoring. Als Organisation ist das Europäische Forum Alpbach nicht nur für die Programmierung der gleichnamigen Konferenz im Sommer verantwortlich, sondern auch für eine Reihe anderer Veranstaltungen, die das ganze Jahr über in ganz Europa stattfinden.
Präsident: Franz Fischler (seit 2012)
Links
Fachhochschulforum (21.8.2013)
Universitätenforum (21.8.2013)
Technologiegespräche (22.-24.8.2013)
Fakten
1945 gegründet
Drei Wochen Seminare, Symposien und Debatten
12 Symposien, 1 Seminarwoche, 5 Sommerschulen
4.000 Teilnehmer aus über 65 Ländern
700 Stipendiaten
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>30 Alumni-Organisationen in 25 Ländern
Die Organisation
Das Europäische Forum Alpbach ist ein gemeinnütziger, unabhängiger Verein mit einem hauptamtlichen Organisationsteam. Es finanziert sich durch Teilnahmegebühren, öffentliche Förderungen sowie privates Sponsoring. Als Organisation ist das Europäische Forum Alpbach nicht nur für die Programmierung der gleichnamigen Konferenz im Sommer verantwortlich, sondern auch für eine Reihe anderer Veranstaltungen, die das ganze Jahr über in ganz Europa stattfinden.
Präsident: Franz Fischler (seit 2012)
Links
Fachhochschulforum (21.8.2013)
Universitätenforum (21.8.2013)
Technologiegespräche (22.-24.8.2013)
Dem Thema "Erwartungen - Die Zukunft der Jugend" widmet sich heuer vom 16. August bis 1. September das insgesamt 68. Europäische Forum Alpbach.
Es diskutieren etwa 4.000 internationale Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung aus mehr als 60 Nationen, darunter rund 700 Stipendiaten.
Das Programm aus Sicht von Wissenschaft und Bildung:
- 16.-22. August: Alpbacher Seminarwoche
- 17.-20. August: Gesundheitsgespräche
- 22. August: Fachhochschulforum
- 22. August: Universitätenforum
- 23.-25. August: Technologiegespräche