Die Vermessung der Zukunft
Gigantische Spiegel im Weltraum und Sulfataerosole in der Stratosphäre blockieren das Sonnenlicht, während künstliche Algenblüten in den Ozeanen Kohlendioxid binden und es auf den Meeresgrund sinken lassen. Der Kampf gegen den Klimawandel ruft visionäre Wissenschafter, aber auch harsche Kritik auf den Plan. Pat Mooney, Leiter der kanadischen ETCGroup und Träger des alternativen Nobelpreises, mobilisiert gegen alle Formen des Geoengineering und möchte die Abschätzung von Technikfolgen fix innerhalb der Vereinten Nationen institutionalisiert wissen. Derartige Fragen zur Zukunft der Technologien und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft bilden die verbindenden Leitmotive des heurigen "Europäischen Forums Alpbach".
Nachhaltig war bei Umweltschützern nur der schale Eindruck, den das Abschlussdokument des UN-Nachhaltigkeitsgipfels Rio+20 im Juni hinterließ. Keine Lösungsansätze zu wichtigen Punkten wie Klimawandel, Meeresverschmutzung und Armut und keine verbindlichen Ziele seien enthalten, so der Tenor.
Trotz allem gab es darin auch positive Ansätze zu entdecken. Dass zumindest vor einer Form des Geoengineerings, der Meeresdüngung, spezifisch gewarnt wurde, wertet Mooney im Gespräch mit der APA als gutes Zeichen: "Wir glauben, das geht nicht weit genug, aber es gibt immerhin eine starke Unterstützung für ein Moratorium gegen jede Form der Meeresdüngung als eine Strategie gegen den Klimawandel." Nicht zuletzt auf Drängen der ETCGroup hat die UN-Biodiversitätskonvention 2010 ein De-Facto-Moratorium über alle Formen von Geoengineering verabschiedet. Die Umsetzung obliegt allerdings den Mitgliedstaaten.
Geoengineering als "billiger Ausweg"
Die größte Bedrohung für die Menschheit sei der Klimawandel, meint Mooney, und warnt gleichzeitig vor Schnellschüssen mit völlig unabsehbaren Folgen: "Geoengineering ist der billige und einfache Ausweg für die Regierungen." Die schlechteste und gleichzeitig bisher am aggressivsten propagierte unter allen Geoengineering-Visionen sei das "Sonnenstrahlen-Management". Die Idee: Sulfataerosole werden in die Stratosphäre geblasen und absorbieren das Sonnenlicht, die globale Temperatur sinkt.
Der Einsatz solcher verhältnismäßig billigen Technologien sei ein fatales Signal der Regierungen an die Gesellschaft, einfach wie bisher weiterzumachen. Probleme würden dadurch keine gelöst: "Es verringert die Temperaturen temporär, bis man aufhört, es einzusetzen, dann springt die Temperatur wieder zurück und es käme zu einer Krise."
Maßgeblich beteiligt war die mit nur acht auf drei Kontinente verteilten Mitarbeitern operierende NGO - oder CSO (Civil Society Organisation), wie sich die ETCGroup (gesprochen etcetera) selbst bezeichnet – im Rahmen von Rio+20 auch am Ruf nach einer Einrichtung für Technikfolgenabschätzung auf UN-Ebene. Der Bedarf dafür sei extrem dringend, findet Mooney, und die bisherige Vorgangsweise der UNO in dieser Hinsicht rätselhaft.
So habe es zum Zeitpunkt des Umweltgipfels von Rio de Janeiro 1992 bereits zwei derartige Einrichtungen in der UNO gegeben, die aber im Jahr darauf eingestellt wurden: "Damals haben sie die Geburt der Wissensgesellschaft angekündigt, um sich danach eine Frontal-Lobotomie zu verpassen", kommentiert der 65-jährige Träger des oft als "Alternativer Nobelpreis" bezeichneten "Right Livelihood Awards" von 1985 diesen Widerspruch.
Kampf gegen den Terminator
Die ETCGroup hat sich trotz "beinahe endloser Limitierungen" als ausgesprochen schlagkräftig erwiesen. Seit den späten 1970er Jahren kämpfen Mooney und sein Team unter anderem gegen Patente auf Leben und gegen Biotechnologie in der Landwirtschaft - hier speziell gegen die sogenannte Terminator-Technologie. Ein Terminator-Gen sorgt dabei dafür, dass der Samen einer Pflanze nicht mehr keimfähig ist und der Bauer jährlich neues Saatgut kaufen muss.
Die Terminator-Technologie bekannt zu machen und im Jahr 2000 ein Moratorium gegen deren Einsatz zu erreichen, ist für Mooney einer der größten Erfolge. Ein weiterer Meilenstein hat ebenfalls mit Samen zu tun. "Ende der 1970er forderten wir einen Vertrag, der den Austausch von Saatgut in der ganzen Welt regelt und das haben wir schließlich erreicht. Wir erhielten die Anerkennung dafür, aber es hat bis 2004 gedauert, den Vertrag ratifiziert zu bekommen", so der Umwelt-Aktivist über den "Internationalen Vertrag zu Pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft" im Rahmen der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) der Vereinten Nationen.
König für einen Tag
Könnte Mooney die Welt für einen Tag regieren, würde er viel beschäftigt sein - und die Macht wohl gleich gerne wieder zurückgeben, wie er anmerkt. Nicht allerdings, ohne vorher Monopole zu brechen, die die gesamte Lebensmittelkette kontrollieren und exklusive Patente zu verbieten. Der Agrar-Rebell würde auch "die Wall Street und die Banken und alles andere besetzen".
Der schlimmste anzunehmende Fall für die Zukunft sei, wenn nichts gegen den Klimawandel getan würde und dies Nahrungsmittel-Krisen und kriegerische Auseinandersetzungen nach sich ziehe. Darum müssten die Netzwerke der Zivilgesellschaft gestärkt werden und die Kommunen vermehrt in Richtung Selbstversorgung streben, um das Überleben zu ermöglichen. Aber selbst im besten Fall, wenn sofortige Maßnahmen wie eine drastische Reduktion von Treibhausgasen auf globaler Ebene ergriffen würden, werde sich mittelfristig an der klimatischen Entwicklung nichts ändern: "In den nächsten drei bis sechs Jahrzehnten werden sich die Bedingungen verschlechtern. Es sind sehr raue Zeiten."
Nick Bostrom: Existenzielle Bedrohungen
Kritische Überlegungen ("crucial considerations") zur Zukunft der Menschheit hat sich der schwedische Philosoph Nick Bostrom zur Lebensaufgabe gemacht. Ob molekulare Nanotechnologie, synthetische Biologie oder künstliche Intelligenz - besonders haben es ihm existenzielle Bedrohungen technologischer Natur angetan. Wie wahrscheinlich unsere Auslöschung noch in diesem Jahrhundert ist, darauf will sich der Direktor des Future of Humanity Institute freilich nicht festlegen.
"Wir versuchen, unsere strategische Situation zu verstehen. Wie die Dinge, die wir jetzt tun, die Menschheit auf lange Sicht beeinflussen können", erklärt Bostrom gegenüber der APA die "intellektuelle Pionierarbeit" des multidisziplinären Think Tanks an der Universität Oxford. "Ich glaube, dass Technologie in zunehmendem Maße die menschliche Grundbedingung formt. Viele der größten existenziellen Risiken werden von zukünftigen Technologien kommen. Gleichzeitig bieten sie ein enormes Versprechen, drängende humanitäre Probleme zu lösen." Also sollte man versuchen, Technologiepolitik generell globaler zu denken.
"Eines der Hauptprobleme ist, dass wir nicht einmal wissen, in welche Richtung wir gehen sollen. Sogar wenn wir sagen, dass wir über Technologie reden, ist es nicht offensichtlich, ob wir sie schneller oder langsamer entwickelt haben wollen. Bevor wir nicht eine Meinung über diese fundamentalen Dinge haben, scheint es sinnlos, bei einem bestimmten Thema in die eine oder die andere Richtung zu drängen. Wenn man die falsche Richtung einschlägt, kann man die Dinge auch schlimmer machen", so der 39-jährige Schwede, dessen akademischer Hintergrund die Bereiche Physik, computerbasierte Neurowissenschaft, mathematische Logik und Philosophie umfasst.
Gefahr der "maschinellen Superintelligenz"
Weit oben auf der Liste der größten theoretisch möglichen Bedrohungen sieht Bostrom "maschinelle Superintelligenz", ein Thema, über das er derzeit ein Buch schreibt. Diese Superintelligenz könne dann entstehen, "wenn wir irgendwann in der Lage sein werden, eine Art von künstlicher Intelligenz zu entwickeln, die den Menschen in allgemeiner Intelligenz gleichkommt und übertrifft". Wie weit wir auf dem Weg dorthin sind, sei schwer zu bestimmen. "Darum müssen wir eine Wahrscheinlichkeitsverteilung finden über eine ganze Reihe von Ankunftsdaten. Es könnte in zwei oder in acht Jahrzehnten passieren. Wir sollten die Wahrscheinlichkeiten für jede dieser Möglichkeiten errechnen."
Eine andere Bedrohung könne durch molekulare Nanotechnologie erwachsen und den Dingen, die man damit bauen könnte wie verschiedene Waffensysteme. Ähnlich sei es mit Anwendungen von synthetischer Biologie, mit denen man Designer-Krankheitskeime und andere Mikroorganismen mit Bedrohungspotenzial herstellen könnte.
Gefahr durch Totalitarismus
Der vierte Typus einer existenziellen Bedrohung liegt für Bostrom in "einer Art unterdrückerischem, globalem totalitären System". "Das ist deshalb interessant, weil wir hier nicht notwendigerweise von einem Untergangsszenario sprechen, sondern auch von einem permanenten oder drastischen Zerstören unserer möglichen Zukunft oder einer wünschenswerten Entwicklung." Man könne sich vorstellen, dass neue Technologien zur Überwachung oder Gedankenkontrolle dafür eingesetzt werden, eine globale Tyrannei dauerhaft stabil zu halten.
Geoengineering ist als potenzielle Gefahr wohl ernst zu nehmen, auf der Liste der existenziellen Bedrohungen aber weiter unten angesiedelt, meint Bostrom. „Ich glaube, viele der Ansätze für Geoengineering wären reversibel. Staaten könnten das relativ einfach wieder abdrehen.“ Anders wäre das bei Nanotechnologie, synthetischer Biologie und künstlicher Intelligenz. Hier könnten auch Individuen mit dem nötigen Hintergrundwissen existenzielle Katastrophen hervorrufen.
Über kurz oder lang...
Wie weit man in die Zukunft blicken kann, ist freilich ungewiss. "Meiner Ansicht nach gibt es nicht unbedingt eine gleichförmige Relation zwischen Distanz und Zeit, wenn es um die Vorhersehbarkeit geht. In anderen Worten, manchmal ist ein längerer Zeitrahmen leichter als ein mittlerer vorhersagbar. Das ist speziell der Fall, wenn wir in Betracht ziehen, welche bestimmten Technologien bis zu einer bestimmten Zeit entwickelt sein werden."
Man könne etwa unterschiedlicher Ansicht darüber sein, ob molekulare Nanotechnologie - also die Erschaffung einer neuen Welt aus Atomen, den Bausteinen der Materie, nach dem Legosteinprinzip - in 20 Jahren entwickelt sein wird. "Aber wir können ziemlich sicher sein, dass sie in 200 Jahren erfunden sein wird."
...jetzt ist der "Übergang"
Die Zeit, in der wir leben, würde Bostrom mit dem Begriff "Übergang" etikettieren. "Es ist eine gewaltige, massive Abnormität von jedem Punkt, den wir als den normalen menschlichen Zustand bezeichnen würden. Ich glaube nicht, dass der gegenwärtige Zustand noch lang andauern wird, darum schlage ich Übergang vor."
Service: Pat Roy Mooney (http://www.etcgroup.org) und Nick Bostrom (http://www.nickbostrom.com) referieren im Rahmen der Alpbacher Technologiegespräche zum Thema "Zukunftsszenarien: In welchen Zeiträumen können wir planen?"
Von Mario Wasserfaller/APA-Science
Faktencheck Energiewende (Quelle: Klima- und Energiefonds)
Energieforschungserhebung 2014 (pdf)
Energieforschungsprogramm 2015: Einreichfrist 23.9.2015
Sessions zum Thema in Alpbach:
Energiewende: Gleiches Ziel - ungleicher Weg
Wasserstoff und Brennstoffzelle: Kommt der Marktdurchbruch?
Leuchtende Zukunft? Herausforderungen und Chancen der LED-Beleuchtung
Termine:
8. bis 11.9. 2015: International Symposium on Smart Electric Distribution Systems and Technologies (EDST 2015) (Wien)
15.9.: Energiegespräche TU Wien "Energieutopie oder Energiedystopie?" (Wien)
16.9.: Klima- und Energiemodellregionen: Pioniere der Energiewende - Finanzierung als Schlüssel für die Energiezukunft (Wien)
5. bis 7.10. 2015: Österreichische Photovoltaik-Tagung (Schwaz/Tirol)
Fakten
1945 gegründet
Drei Wochen Seminare, Symposien und Debatten
12 Symposien, 1 Seminarwoche, 5 Sommerschulen
4.000 Teilnehmer aus über 65 Ländern
700 Stipendiaten
650 Sprecher
>30 Alumni-Organisationen in 25 Ländern
Die Organisation
Das Europäische Forum Alpbach ist ein gemeinnütziger, unabhängiger Verein mit einem hauptamtlichen Organisationsteam. Es finanziert sich durch Teilnahmegebühren, öffentliche Förderungen sowie privates Sponsoring. Als Organisation ist das Europäische Forum Alpbach nicht nur für die Programmierung der gleichnamigen Konferenz im Sommer verantwortlich, sondern auch für eine Reihe anderer Veranstaltungen, die das ganze Jahr über in ganz Europa stattfinden.
Präsident: Franz Fischler (seit 2012)
Links
Fachhochschulforum (21.8.2013)
Universitätenforum (21.8.2013)
Technologiegespräche (22.-24.8.2013)
Fakten
1945 gegründet
Drei Wochen Seminare, Symposien und Debatten
12 Symposien, 1 Seminarwoche, 5 Sommerschulen
4.000 Teilnehmer aus über 65 Ländern
700 Stipendiaten
650 Sprecher
>30 Alumni-Organisationen in 25 Ländern
Die Organisation
Das Europäische Forum Alpbach ist ein gemeinnütziger, unabhängiger Verein mit einem hauptamtlichen Organisationsteam. Es finanziert sich durch Teilnahmegebühren, öffentliche Förderungen sowie privates Sponsoring. Als Organisation ist das Europäische Forum Alpbach nicht nur für die Programmierung der gleichnamigen Konferenz im Sommer verantwortlich, sondern auch für eine Reihe anderer Veranstaltungen, die das ganze Jahr über in ganz Europa stattfinden.
Präsident: Franz Fischler (seit 2012)
Links
Fachhochschulforum (21.8.2013)
Universitätenforum (21.8.2013)
Technologiegespräche (22.-24.8.2013)
Dem Thema "Erwartungen - Die Zukunft der Jugend" widmet sich heuer vom 16. August bis 1. September das insgesamt 68. Europäische Forum Alpbach.
Es diskutieren etwa 4.000 internationale Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung aus mehr als 60 Nationen, darunter rund 700 Stipendiaten.
Das Programm aus Sicht von Wissenschaft und Bildung:
- 16.-22. August: Alpbacher Seminarwoche
- 17.-20. August: Gesundheitsgespräche
- 22. August: Fachhochschulforum
- 22. August: Universitätenforum
- 23.-25. August: Technologiegespräche